Aus der Region Mit der Spraydose fürs Leben lernen

Von Catherine Simon
Jessica (links) und Denise, Teilnehmerinnen des Graffiti Workshops, arbeiten an einem Kunstwerk an einer Mauer. Die ganze Gruppe verziert eine 30 Quadratmeter große Gebäudewand auf einem Sportplatz mit einem Schriftzug. Quelle: Unbekannt

Für viele sind Graffiti ein Ärgernis, für andere ist das Sprühen eine Kunstform, die Kreativität und Selbstbewusstsein fördert. Ein Trainer aus Nürnberg macht sich dies zunutze.

 
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Nürnberg/Roßtal - Mit schwarzer Farbe sprüht Markus die Umrisse eines großen A. Eine der Linien gerät krumm. "Du machst alles aus der Hand heraus", erklärt Graffiti-Lehrer Carlos Lorente das Problem. "Immer aus dem ganzen Körper", sagt der 37-Jährige und macht es vor: Der Arm bleibt beim Sprühen gerade, die Bewegung kommt aus dem Oberkörper. Markus versucht es. Die Linie wird gerade.

Mit seiner Graffiti-Akademie "Stylescouts" - bestehend aus Lorente, drei weiteren Graffiti-Künstlern und einer Sozialpädagogin - hat sich der 37-Jährige vor vier Jahren selbstständig gemacht. Er gibt Kurse für Jugendliche, Erwachsene und Firmen, Anfänger und Sprüh-Profis. Auch in der Jugendarbeit und als Kunstlehrer ist Lorente tätig. Er selbst malt seit 20 Jahren Graffiti.

"Stylescouts" könne man als die "erste und einzige Graffiti-Akademie in Deutschland" bezeichnen, sagt Lorente. Es gebe zwar mittlerweile unzählige gute Workshops zu dem Thema. Doch er wolle das Thema mit Pädagogik verbinden und seinen Kursen einen roten Faden geben. "Wir haben zudem meist die komplette Farbpalette mit 120 bis 150 Dosen dabei. Weil wir damit eine recht große Materialschlacht abfeiern, sind wir auch nicht die Günstigsten", gibt er zu. Ein eintägiger Kurs für einen Erwachsenen kostet um die 130 Euro. Die Honorare für die Jugendworkshops, meist im Auftrag von Schulen, Kommunen oder öffentlichen Trägern, orientierten sich an den üblichen Sätzen in der Jugendarbeit.

Viele Schulen wünschten sich inzwischen derartige Angebote, sagt Lorente. "Das Thema ist sehr beliebt, weil es ganz nah an der Lebenswelt der Jugendlichen ist." Graffiti-Sprayer seien einfach "cool", sagen Tanja, 16, und Denise, 14. Die Mädchen machen wie Markus bei einem zweitägigen Workshop für Jugendliche in Roßtal nahe Nürnberg mit. Die Gruppe verziert dabei eine 30 Quadratmeter große Gebäudewand auf einem Sportplatz mit einem Schriftzug. Erst durch den Workshop sei ihnen klar geworden, dass das Sprühen nicht so leicht sei, wie es aussehe, sagt Tanja. Außerdem haben die Schüler gelernt, dass man nicht überall sprayen darf - etwa auf fremdem Eigentum. "Das ist illegal", erklärt Timo, 12. "Dafür kann man bestraft werden."

Neben den rechtlichen Grundlagen vermitteln die Trainer grundlegende Techniken für Linien, Flächen und Farbverläufe. "Das ist manchmal knifflig, denn man hat - anders als etwa beim Zeichnen - ja keinen Kontakt mit dem Medium", erklärt Lorente. Außerdem bekommen die Schüler eine Einführung in die Hip-Hop-Kultur, zu der Graffiti gehört, und zur Materialkunde. Weiter wichtig: Die Masken und Handschuhe, die beim Sprayen immer getragen werden müssen. "Ist schließlich nicht gesund, was in den Dosen drin ist."

Oft sind bei den Workshops junge Leute dabei, die als auffällig gelten oder einen schwierigen Hintergrund haben, wie Lorente schildert. Damit hat er Erfahrung: Sieben Jahre lang hat er bei einer Hilfsorganisation mit straffälligen Jugendlichen gearbeitet. "Dabei habe ich gemerkt, dass Graffiti ein tolles Werkzeug ist, um bestimmte Denkprozesse auszulösen", sagt der gelernte Mediengestalter. "Die Jugendlichen können dabei Selbstbewusstsein tanken und ihre Kreativität entdecken." Außerdem wachsen die Teilnehmer als Team zusammen.

Bei dieser Arbeit habe er auch einen Jugendlichen betreut, den sein Umfeld längst aufgegeben hatte. "Im Workshop hat er sich massiv geöffnet, und danach habe ich noch viele Projekte mit ihm gemacht. Er hat dann den Realschulabschluss und eine Ausbildung zum Koch gemacht", erzählt Lorente. Graffiti allein hätten ihm sicher nicht geholfen. Sie seien aber ein "wichtiges Ventil" gewesen.

Ähnlich sieht das Sozialpädagoge Philip Koppenhöfer von der Diakonie Schweinfurt. Er hat seine Bachelorarbeit zu Graffiti in der Jugendarbeit geschrieben. In den Gruppen erhielten die Jugendlichen zudem oft Anerkennung, die sie woanders nicht bekommen. Das gebe ihnen auch eine politische Stimme. Die Erfahrung des manchmal mühsamen Sprühen-Lernens könnten sie zudem auf andere Lebensbereiche übertragen: "Wenn ich an etwas dran bleibe, kann ich auch etwas erreichen."

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