Aus der Region Mangel trotz vieler Leerstände

Carsten Hoefer
Wer im boomenden Landkreis München ein gebrauchtes Einfamilienhaus kaufen will, muss dafür im Schnitt 1,5 Millionen Euro auf den Tisch legen, in Selb bekommt man dafür ungefähr 15 gleichwertige Häuser. Quelle: Unbekannt

Der deutsche Wohnungsmarkt könnte Stoff für absurdes Theater liefern: Hunderttausende Wohnungen fehlen - gleichzeitig stehen fast zwei Millionen Wohnungen leer.

 
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Selb/München - In Sachen Wohnungsmarkt ist die Nachrichtenlage eindeutig: Es fehlen Wohnungen in Deutschland, viele Wohnungen. Gut 400 000 Wohnungen im Jahr müssten neu gebaut werden, um den Bedarf zu decken, schätzen Bundesbauministerin Barbara Hendricks, SPD, und viele Fachleute. Doch das ist nur eine Hälfte des Bilds: In ländlichen Regionen Deutschlands stehen fast zwei Millionen Wohnungen leer, schätzt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Deutschland ist zweigeteilt: In vielen Städten wächst die Bevölkerung wegen Zuwanderung und prosperierender Wirtschaft. Auf dem Land aber schwindet eine alternde Bevölkerung allmählich, keineswegs nur in Ostdeutschland. Eigentümlich: Sogar in manchen Kommunen mit schrumpfender Bevölkerung fehlen Wohnungen. Die Bedeutung des Worts Immobilie - unbeweglich - illustriert den Kern des Problems: Die Bürger wandern und ziehen um, nicht jedoch ihre Häuser.

Beispiel Bayern: Wer im boomenden Landkreis München ein gebrauchtes Einfamilienhaus kaufen will, muss dafür im Schnitt 1,5 Millionen Euro auf den Tisch legen, wie dem Immobilienmarktbericht der Staatsregierung zu entnehmen ist. Nur 270 Kilometer weiter nordöstlich könnte man in Selb im Kreis Wunsiedel für den gleichen Preis ungefähr fünfzehn gleichwertige Häuser kaufen, ein gebrauchtes Eigenheim ist bereits für 100 000 Euro zu haben. "Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle, das weiter zunimmt", sagt Stephan Kippes, Leiter der Marktforschung beim Immobilienverband Deutschland Süd.

Die Stadt Selb war einst Deutschlands Porzellanhauptstadt. Der Niedergang der Porzellanindustrie stürzte die Stadt in eine schwere Krise: Seit 1970 hat Selb 40 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Die Einwohnerzahl ist von 25 000 auf 15 000 zurückgegangen, ein weiterer Rückgang wird in den nächsten Jahren erwartet, wie fast überall im Norden und Osten Bayerns.

Bauamtsleiter Helmut Resch beziffert den Wohnungsleerstand auf sieben Prozent. "Das war vor einigen Jahren sogar noch höher", sagt er. Nimmt man den Rückgang der Bevölkerung als Maßstab, müssten in Selb eigentlich noch wesentlich mehr Wohnungen leer stehen.

Die Stadtverwaltung hat einige nicht mehr benötigte Wohngebäude der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft abreißen lassen - und außerdem brauchen die Bürger heute wesentlich mehr Platz als früher. "Die Personenzahl pro Wohnung geht zurück", sagt Immobilienexperte Kippes. "Das ist ein Trend, der den Bevölkerungsrückgang teilweise kompensiert."

In Bayern gibt es heute 6,2 Millionen Wohnungen, fast doppelt so viele wie 1970. Die Bevölkerung dagegen wuchs nur um ein Fünftel.

Und trotzdem fehlen Wohnungen - sogar in Selb. Die wirtschaftliche Talfahrt ist beendet, die Arbeitslosigkeit von weit über zehn auf unter fünf Prozent zurückgegangen, neue Arbeitsplätze sind entstanden. "Die Firmen kommen auf uns zu und sagen: Baut uns Wohnungen", berichtet Resch. Denn die leer stehenden Wohnungen sind alt und unattraktiv, auf dem Stand der Fünfziger- und Sechzigerjahre, niemand will dort einziehen. Moderner Wohnraum ist gefragt.

Ein noch eigentümlicheres Bild bietet sich im Osten Deutschlands: Mecklenburg-Vorpommern etwa hat seit der Wiedervereinigung gut 300 000 Einwohner verloren, heute leben in dem am dünnsten besiedelten Bundesland noch 1,6 Millionen Menschen.

Die Zahl der Wohngebäude ist in den vergangenen 20 Jahren dennoch um gut 100 000 gestiegen, wie Zahlen des Statistischen Landesamts zeigen. Doch fehlen punktuell immer noch Wohnungen, etwa in Rostock. Die Verwaltung der 200 000-Einwohner-Stadt startete im Sommer 2015 eine Wohnungsbauoffensive, da sie im Laufe der nächsten Jahre mit mehreren Tausend zusätzlichen Neubürgern rechnet.

Eine treffende Beschreibung der Lage fand im Herbst Andreas Ibel, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft: "Wir haben eigentlich genug Wohnraum in Deutschland - aber wir haben ihn an der falschen Stelle."

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