Eigener Inhalt Arbeit und zurück

Wolfgang Plank
 Quelle: Unbekannt

Es gab eine Zeit, da fand der Mensch seine Arbeit dort, wo er auch lebte. Kontor, Werkstatt, Schreibtisch – alles war meist nur ein paar lächerliche Gehminuten entfernt. Eher selten musste man Richtung Job längere Zeit unterwegs sein. Und gar andernorts sein Tagwerk zu verrichten - die ganz große Ausnahme.

 
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Vor gut 100 Jahren, haben Statistiker ermittelt, verließ gerade einmal jeder zehnte Erwerbstätige seinen Wohnort. Vor 60 Jahren war es immer noch nur jeder Vierte. Und heute? Da finden bereits mehr als 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ihre Arbeit nur mehr jenseits der Gemeindegrenze. Mehr als 18 Millionen Menschen hierzulande pendeln.

Das ständige Hin und Her kostet Stunden, nicht selten einen halben Arbeitstag zusätzlich. Manchmal nur am Wochenende, meistens aber tagein, tagaus. Oft über Jahre hinweg. Fast jede Minute davon ist vergeudet. Im Zug kann man vielleicht noch ein bisschen lesen oder am Laptop arbeiten. Aber im Auto? Und trotzdem steigt die Zahl der Pendler in Deutschland stetig. Und die Wege werden immer weiter.

Dabei klingt die Idee im Grunde nicht schlecht: hier die Arbeit, dort das Vergnügen. Job in der Stadt, Häuschen auf dem Land. Nach dem grauen Alltag ab ins Grüne. Wundervoll. Wenn bloß die tägliche Fahrerei nicht wäre, die kostbare Zeit, der viele Sprit. Und der Dauer-Stress, nicht nur auf den Straßen, sondern auch mit den Regierenden. In deren Augen sacken Hinundherfahrer in der City die dicke Kohle ein, wohnen preiswert im Paradies – und wollen für diesen Luxus auch noch ihre Steuerschuld gemindert wissen. Immer wieder gelangen Finanzminister – und jüngst auch das Umweltbundeamt – daher zu der Überzeugung, dass Pendler für ihr Plaisierchen gefälligst zahlen sollen.

Die Wirklichkeit indes sieht deutlich weniger idyllisch aus. Zum Spaß oder weil es sich finanziell lohnen würde, nimmt gewiss niemand die tägliche Reise auf sich. Die meisten haben schlicht keine Wahl. Sie fahren einfach nur ihrem Job hinterher. Der nämlich findet sich kaum noch um die Ecke. Womöglich war er da einmal, ist jetzt aber woanders. Eben nicht mehr dort, wo man sich dereinst eingerichtet hatte. Wo man womöglich genau deswegen hingezogen ist.

Schon immer war Arbeit in Bewegung. Doch seit dem, was so schick Globalisierung genannt wird, ist sie es in immer kürzeren Abständen. Stets auf dem Weg dorthin, wo der, der sie gibt, den größten Nutzen sieht. Und die Nehmer? Nur die Wenigsten können es sich leisten sie einfach ziehen zu lassen. Die meisten folgen. Per Auto, Zug, U-Bahn, Fußmarsch – nicht selten in Kombination. Klar könnte man umziehen. Mal wieder. Sofern man sich Wohnung oder Haus in der Stadt überhaupt leisten kann. Aber was hülfe selbst das bei befristeten Verträgen, wechselnden Arbeitgebern, oder wenn beide Partner berufstätig sind? Was soll dann der andere machen – kündigen oder eben auch pendeln?

So bleibt der tägliche Verlust. Weil der Tag auch für Pendler nicht mehr als 24 Stunden hat, fehlt die Zeit des Fahrens. Oft reicht sie dann nicht mehr für Hobbys, Sport oder anderen Ausgleich. Unter dem langen Arbeitsweg leidet nicht selten die Beziehung, auch das Sozialleben verkümmert. In der Folge sind Pendler körperlich meist weniger aktiv und im Schnitt öfter übergewichtig. Ständiger Zeitdruck senkt das allgemeine Wohlbefinden. Weil sich alles zugunsten der Arbeit verschiebt, geht erholsamer Schlaf verloren. All das führt nicht selten zu Kopf- und Rückenschmerzen, dauerhaften Erkältungen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Und: Pendeln geht im Wortsinn auf die Nerven. Zur normalen Fahrt kommt psychischer Druck. Unpünktlichkeit, Zug-Ausfälle – all das zehrt. Im Auto ist es keinen Deut besser. Ständig und überall drohen Staus, Baustellen, Umleitungen. Dazu stets das Risiko einer Panne und die Sorge, in einen Unfall verwickelt zu werden. Die Folgen: Nervosität, erhöhter Blutdruck, Schlafstörungen, Depressionen, Burnout. Eine britische Studie sieht Berufspendler größeren Stress-Spitzen ausgesetzt als Jet-Piloten im Kampfeinsatz.

Doch was wäre die Alternative? Im Ballungsraum nach einer Bleibe suchen? Dort, wo die meiste Arbeit wartet? Besser nicht. Denn genau das bringt die Städte dem Kollaps näher. Zu viel Verkehr, zu viele Staus, zu viele Abgase. Womöglich hilft ein bisschen Geduld. Erste Unternehmen orientieren sich schon wieder nach draußen. Auch für sie sind die Mieten dort niedriger, die Grundstücke billiger, der Platz großzügiger. Der vielleicht wichtigste Vorteil aber: deutlich weniger gestresste Mitarbeiter.

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