Eigener Inhalt Das Diesel-Dilemma

Wolfgang Plank

Es gehört zu den Grundübeln des politischen Betriebs: Jahrzehnte lang schauen die Verantwortlichen bei einem Missstand entweder weg oder bloß zu - um dann, wenn sie Rechtslage oder öffentliche Stimmung für hinreichend erdrückend halten, in hektischen Aktionismus zu verfallen. Nichts wie hin zur Spitze der Reformbewegung.

 
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In Echtzeit ist dieses Phänomen derzeit in Sachen Atemluft zu beobachten. Über Dekaden hat es das führende bundesdeutsche Polit-Personal einen, pardon, Dreck interessiert, wie viel von selbigem in unseren Städten aufgewirbelt wird. Jetzt aber, wo nicht mehr nur ein paar Umweltschützer jammern, sondern Gerichte auf Luftreinhaltung pochen und sogar die EU mit Strafen droht, jetzt soll es hopplahopp den Diesel den Zylinderkopf kosten.

Dass der an all dem winzigen Abrieb, der durch die Luft und hinein in unsere Lungen wirbelt, nur höchst begrenzten Anteil hat – was soll’s. Hauptsache, ein Schuldiger ist ausgemacht. Große Kampagne, Alter-Stinker-Stempel für alles unter Euro 6 – und Ende der Fahrt in die City. Dass Hamburg die ersten Straßen sperrt, München kurz davor ist, während Stuttgart schon wieder den Rückwärtsgang einlegt, passt ins Bild kompletter Verwirrung.

Irgendein Plan jedenfalls ist nicht auszumachen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt kümmert sich um die Maut, während seine Umwelt-Kollegin Barbara Hendricks von Zeit zu Zeit Kapitulationserklärungen gegenüber den Autobauern abgibt. Und in den Bundesländern ist von Tiefschlaf bis Hektik so ziemlich jede Stimmung vertreten. Mal heißt der Teufel Feinstaub, mal Stickoxid, mal CO2. Egal. Irgendwas mit Klima und Luft halt. Und selbstverständlich nun rasch ein Verbot.

Jetzt, da allmählich dem Letzten klar wird, dass unter einen willkürlichen Diesel-Bann selbst Autos fallen, die vor anderthalb Jahren hierzulande noch als Neuwagen verkauft werden durften, kommen offenbar nicht nur Automobilverbänden Zweifel. Zumal selbst modernste Diesel sich in Sachen Feinstaub kaum von Euro 4 und 5 unterscheiden, und die Kleinst-Partikel überhaupt nur zu gut einem Viertel aus Motoren stammen – im Übrigen nicht zu knapp auch aus direkt einspritzenden Benzinern.

Der mit Abstand meiste Feinstaub nämlich entsteht durch Abrieb. An Kupplungsscheiben, an Bremsbelägen, an Reifen und Keilriemen. Völlig egal, mit welchem Sprit man unterwegs ist. Das Mikropulver fällt bei Kraftwerken an, bei Industriebetrieben, in der Landwirtschaft – und selbstverständlich kommt es aus jedem heimischen Schornstein. Und dann wären da noch Ruß, Sandkörnchen und Pollen. Selbst wer einen Sack Zement in den Mischer kippt oder sich eine Zigarette anzündet, setzt Feinstaub frei.

Natürlich darf das kein Freibrief für den Diesel sein und für erhöhten Ausstoß von Stickstoffdioxid. Und da ist es eben Sache der Politik, für Rahmenbedingungen zu sorgen und für Kontrolle. Nicht für Fahrverbote. Wer in Deutschland etwas auf den Markt bringt, braucht Brief und Siegel. Bei Staubsaugern ebenso wie bei Kinderspielzeug. Nur bei Autos wird seit Jahrzehnten stillschweigend geduldet, dass das, was hinten rauskommt, nicht annähernd dem entspricht, was behauptet wird, Schwarz auf Weiß im Zertifikat. Zum Schaden der Atemluft. Wären Motoren so sauber, wie staatliche Stellen es ein ums andere Mal bescheinigen – es gäbe das ganze Problem nicht. Höchste Zeit also, auf die Einhaltung der Grenzwerte zu pochen. Notfalls mit Strafen.

Das mag für die Hersteller ungemütlich sein, weil Selbstzünder, die auch außerhalb des Labors sauber sein sollen, kaum noch ohne Chemie hinter dem Brennraum auskommen. Und womöglich wird sich derart komplizierte Technik künftig nur mehr bei großen und teuren Autos rechnen. Zumal sie auch immer mehr Platz braucht. Aber der in der Drehfrequenz einer Gebetsmühle erhobene Einwand "Arbeitsplätze in Gefahr" darf eben auch nicht länger den offenkundigen Rechtsbruch rechtfertigen.

Im Gegenteil: Für sauberere Motoren braucht man viele kluge Köpfe. Irgendjemand muss ja all die Verbesserungen ersinnen – die variablen Ventilsteuerungen, die ausgeklügelten Turbolader oder die Zylinder-Abschaltungen, die vor jedem Zündvorgang prüfen, ob es den Funken nun braucht oder nicht.

Ausreichend Druck auf die Hersteller sollte also im Interesse der Politik sein. Kommt der saubere Diesel nämlich nicht bald, werden sich immer mehr Kunden ganz abwenden. Und spätestens dann bekommen auch die Staatenlenker ein Problem. Schließlich haben die den sparsamen Antrieb für ihre CO2-Obergrenzen fest eingeplant. Feinstaub hin, Stickoxid her.

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