Coburg Niemand schöpfte Verdacht

Von Norbert Küglein
Andrea G. verbirgt ihr Gesicht. Die 45-Jährige hat am Dienstag durch ihren Anwalt Till Wagler (rechts) erklären lassen, dass sie vier Kinder getötet hat, die sie zwischen 2004 und 2013 heimlich zur Welt brachte. Foto: Rosenbusch

Die Schwangerschaften der Wallenfelserin fallen Freunden nicht auf. Die Schwankungen des Körpergewichts erklärt sie mit den Wechseljahren.

 
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Coburg/Wallenfels - "Komm, lass uns noch ein paar schöne Stunden verleben." Andrea G., die Angeklagte im Babymord-Prozess, will ihre Festnahme so lange wie möglich hinauszögern. Aber am 13. November 2015 wird schon im Fernsehen über die Leichenfunde in Wallenfels berichtet. Ihr neuer Freund, mit dem sie sich in einer Pension im Landkreis Kronach aufhält, erfährt erst aus den Medien, dass die 45-Jährige für die Babymorde verantwortlich ist. "Das habe ich gemacht", sagte sie zu dem 56-Jährigen, der am Mittwoch vor dem Landgericht als Zeuge aussagt.

Der Mann hat Andrea G. dann dazu gedrängt, sich der Polizei zu stellen. Dazu kommt es aber nicht mehr. Der 56-Jährige wird vor der Sparkasse Kronach festgenommen; wenig später stürmen Polizisten das Zimmer, in dem sich Andrea G. aufhält. Vor Gericht beschreibt der letzte Lebensgefährte die Angeklagte als "ganz liebes Mädchen", mit dem er sich sogar eine Ehe hätte vorstellen können. Die intimen Kontakte, zu denen es im Sommer 2015 fast täglich kommt, empfindet Andrea G. seinen Schilderungen zufolge als "sehr zärtlich". Ganz anders offenbar als das Zusammensein mit ihrem zweiten Mann. "Der", so erzählt der Zeuge, "ist aus dem Wirtshaus gekommen und hat sie genommen, ob sie wollte oder nicht." Sogar von Vergewaltigung spricht der Ex-Freund.

Davon ist aber weder in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft noch in anderen Aussagen die Rede. Selbst Andrea G. hat in einer Vernehmung bestritten, durch ihren Mann sexuell missbraucht worden zu sein.

Und was wusste Johann G. über die toten Kinder? Hätte der Ehemann nicht erkennen müssen, dass seine Frau heimlich Babys ausgetragen hat? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Vernehmung am zweiten Prozesstag in Coburg. Für den der Beihilfe zum Mord angeklagten ehemaligen Metzgermeister aus Wallenfels ist die Klärung dieses Sachverhalts von großer Bedeutung, denn die Staatsanwaltschaft unterstellt dem Vater der getöteten Kinder, die Taten seiner Frau billigend in Kauf genommen zu haben.

Belastet wird er bisher nur durch seine Noch-Ehefrau. Im Streit habe sie ihn darauf hingewiesen, dass sie noch einmal schwanger geworden sei und dass tote Kinder im Haus seien. "Aber da hat er sich nicht dafür interessiert", wird Andrea G. aus einer polizeilichen Vernehmung zitiert. Alle anderen Zeugen haben keine eindeutigen Schwangerschaftsanzeichen bei der 45-jährigen Wallenfelserin festgestellt.

Im polizeilichen Vernehmungsprotokoll des ersten Ehemanns der Angeklagten liest man beispielsweise, dass es schon beim ersten Kind keine auffällige Zunahme des Bauchumfangs gegeben haben soll. Ähnlich sagt der Bruder von Johann G. aus: "Mir ist nie etwas aufgefallen."Auch zwei Freundinnen, mit denen sich die Angeklagte regelmäßig trifft, hätten bei ihr keine Veränderungen bemerkt.

Und doch mehren sich nach 2012 die Hinweise auf Veränderungen. Im familiären Umfeld fällt auf, dass Andrea G. etwas dicker geworden ist. "Sie besaß Kleidung in allen Konfektionsgrößen. Manchmal hatte sie zugenommen, dann war sie wieder schlanker. Das erklärte sie mit den Wechseljahren und hormonellen Schwankungen", sagt die Stieftochter der Angeklagten. Auch anderen Zeugen muss Andrea G. die Geschichte von Wechseljahr-Beschwerden erzählt haben. Deshalb betrachteten sie das schwankende Gewicht von Andrea G. als normal.

Durch die Zeugenaussagen verdichtet sich am Mittwoch das Bild, dass Andrea G. eine Frau mit zwei Gesichtern sein könnte. Nach außen freundlich und sehr bedacht, in der Öffentlichkeit immer in einem guten Licht zu erscheinen, gegenüber Familienangehörigen aber eher verschlossen und - vor allem in finanziellen Dingen - auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Sie leiht sich Geld, das sie nicht oder nur zögerlich zurückbezahlt, um ihre Kaufsucht zu stillen, oder bestiehlt Kinder und Stiefkinder.

Zeugen bestätigten ferner die Einschätzung des Noch-Ehemanns, der am ersten Verhandlungstag gesagt hatte, sie sei "eine notorische Lügnerin". "Die hat überhaupt keinen Charakter", urteilt die Mutter der Angeklagten im Zeugenstand.

Zur Sprache kommt auch der zunehmende Alkoholkonsum von Andrea G. Freunde erleben sie zwischen 2013 und 2015 immer öfter betrunken. Ob das vielleicht Absicht war, um das Leben, das in ihrem Schoß wuchs, zu schädigen? Die Frauenärztin der Angeklagten kann dazu nichts sagen. Andrea G. habe sie zuletzt 2002 gesehen. Am Anfang wird noch über Verhütung gesprochen, und sie erhält die Pille. Zu einer vereinbarten Sterilisation erscheint die 45-Jährige nicht mehr.

Sie war ein liebes Mädel.

Der Ex-Freund der Angeklagten

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