Ahorn - Es dauert genau 217 Seiten lang. 217 Seiten, in denen der Leser das Prickeln im Bauch spürt, die Spannung in ihm hochsteigt und er kaum erwarten kann, bis der Mord passiert. Die erste Leiche im soeben erschienenen Krimi "Dohlenhatz" der in Coburg geborenen Autorin Friederike Schmöe erscheint tatsächlich erst auf Seite 218. Die sympathische Schriftstellerin lacht bei ihrer schaurig-schönen Lesestunde im Ahorner Schlupfwinkel: "Das sind meine Leser nicht gewohnt. Für sie muss es immer gleich zu Beginn Tote geben." Dafür sieht der Tote aber auch wirklich nicht mehr sehr appetitlich aus, wie die mit Bissspuren versehene Wade so aus dem Waldboden herausragt, von surrenden, gemeinen Wespen umgeben.

Klar ist Katinka Palfy, Privatdetektivin und Hauptfigur in Schmöes Krimireihe, längst dran am Fall, doch hier ist sie erst einmal zu spät. Nach zahlreichen Verbrecher-Werken, die in Bamberg spielen, der Stadt, in der die studierte Germanistin lebt und arbeitet, bildet die Vestestadt nun wieder die Kulisse zu einem spannenden Thriller, der in verschiedenen Zeitepochen spielt.

Sprung über 500 Jahre

"Sogar mit einem Krimi kann man in die Zukunft springen", lacht Schmöe, "dies mag manche erstaunen." Sie macht den Sprung in das 16. Jahrhundert, in das Jahr 1530, als Martin Luther auf der Veste lebte, hüpft dann in den Sommer von 2017 und schwenkt zu Beginn des Buches zurück in den Dezember 1989, als ein paar Jugendliche aus Oberfranken sich aufmachen, den Osten zu erkunden, nach Thüringen fahren, dort mit Bratwurst und Glühwein begrüßt und zu einer Geburtstagsfeier eingeladen werden.

Es beginnt angenehm, man trinkt und isst zusammen, "Ihm" fällt ein Mädchen mit Locken auf, er gefällt ihr ebenfalls, sie küssen sich, doch bevor sich etwas entwickeln kann, bekommt er schon einen Schlag versetzt. Angeblich ist sie vergeben, hat schon einen Freund. Frustriert und leicht alkoholisiert steigt er ins Auto, tritt aufs Gaspedal und will nur weg hier. Die Frauenbeine sieht er nicht. Hört nur den heftigen Schlag und fährt weiter....

Im Grunde hat Katinka Palfy Urlaub, möchte, als gelernte Historikerin und Archäologin, die Bayerische Landesausstellung in Coburg besuchen und dann mit ihrem Freund, dem hochkorrekten Polizeihauptkommissar Harduin Uttenreuther, ein paar Tage in Berlin bei ihrer Schwester Melissa verbringen. Diese hat ein neues Glück namens Hotte, 1,97 Meter groß und Basketballtrainer. Da diese Glücksstunden selten von längerer Dauer sind, möchte Katinka sich beeilen, Hotte kennen zu lernen. Doch während sie so gemütlich auf dem Marktplatz sitzt und ihren Latte Macchiato schlürft, erscheint ein knochiger Arm vor ihr auf dem Tisch, hinterlässt einen Zettel und verschwindet rasch um die Ecke. Es geht um eine Liebesaffäre, Erpressung und um kaltblütigen Mord an einem Coburger Stadtrat ("ich musste lange recherchieren, um nicht zufällig einen Namen zu nehmen, der wirklich einmal zu einem Stadtrat gehörte", schmunzelt Friederike Schmöe).

Klar, dass die Privatdetektivin ihren Urlaub somit erst einmal auf Eis legen und verschieben muss. Sie wird in ein Netzwerk aus Freundschaft, Hass, Angst, Betrug und Verrat verflochten. Ein Bauunternehmer, der seltsame Machenschaften betreibt. Affären, die locker begangen werden. Erpresserbriefe, die wie von Zauberhand auf Gartentischen erscheinen.

Und als Zwischenkapitel die Zeit von Luther auf der Veste. Die Küchenmagd Veronika, die den Doktor aus der Ferne und heimlich beobachtet. Die Tag für Tag und Nacht für Nacht furchtbare Bilder vor Augen hat. Die um Erbarmen und Vergebung fleht und Entsetzliches getan, aber auch erlebt hat.

In "Dohlenhatz" geht es um das Thema Schuld. "Seit es Menschen gibt, ist dies eine wichtige Frage", so die Autorin, "jemand kann in etwas hineinrutschen, kommt nicht mehr raus, kriegt die Krise und dann passiert noch etwas. Der Stoff ist uralt und gleichzeitig hochaktuell." Sie verknüpft das Thema mit Historie und dem Menschen, der eine neue Sicht auf Schuld in der Bibel "entdeckte": Martin Luther.

Trockener Humor

Schmöe lässt ihre Leser eintauchen in die Welt der Vergangenheit auf der Veste Coburg, beschreibt liebevoll und detailliert die trutzige Burg ihrer Heimatstadt und das frühere dortige Leben. Doch sie entführt auch auf den heutigen Coburger Marktplatz mit den Cafés und der Eisdiele, erläutert die Bauweise der Morizkirche und bietet Einblicke in hübsche Wohngebiete. Unter den Zahlen, die als Überschriften der einzelnen Kapitel stehen, erscheinen Daten mit genauen Tageszeitenangaben, die noch mehr Spannung erzeugen und den Leser zwischen Vergangenheit und Gegenwart, bzw. Zukunft wechseln lassen.

Zwischen den Zeilen liest sich Friederike Schmöes trockener Humor. Da erklärt und liest sie schmunzelnd von der wütenden Evi, die mit Vollhorst Karl den Urlaub nie wieder im Wohnmobil verbringen möchte. Die Toilette ist kaputt und was gibt es Entwürdigenderes für eine Frau, als im Gebüsch auf der Brandensteins-ebene die Hosen runter zu lassen und dann dabei auch noch plötzlich ganz nahe Männerstimmen zu vernehmen? Schmöe lässt aber auch auf romantischer Ebene aufhorchen: Schließlich sind Katinka Palfy und Harduin Uttenreuther ein Paar, wenn auch ein etwas seltsames...

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Am 22. März liest Friederike Schmöe ab 20 Uhr im Bürgertreff Redwitz an der Rodach. Am 29. März liest und streitet die Autorin in der Coburger Stadtbücherei mit dem Theologen Ottmar Fuchs über das Thema "Verbrechen und Schuld".