"Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit." Das ist kein Satz, der von Angela Merkel stammt. Kurt Schumacher hat ihn gesagt, der erste Nachkriegsvorsitzende der SPD. Aber die Kanzlerin ist ja selten davor zurückgeschreckt, geistige Anleihen bei der SPD zu nehmen. Und tatsächlich ziert die Schumacher-Formulierung wie eine Vignette viele Bundestagsreden der Regierungschefin. Selten muss man sich Tieferes dabei denken. Aber im Lichte der Flüchtlingsthematik gewinnt der Satz neue Brisanz. Auf den ersten Blick nämlich wirkt er wie ein Kontrastprogramm zu einem anderen Merkel-Satz, dem trotzig-optimistischen "Wir schaffen das". Im Schumacher-Wort schwingt all die harte und nüchterne Pragmatik mit, die den politischen Weg dieses Mannes kennzeichnete. Im Merkel-Appell scheint sich anderes zu spiegeln: viel Pathos zum Beispiel. Und im Hintergrund hört man die Beschwörung von Werten mit, die übrigens keine exklusiv christlichen sind: Nächstenliebe und Solidarität. Realpolitik oder wertegebundenes Engagement. Das sind die Pole, zwischen denen die Politik in der gegenwärtigen Asylpolitik schwingt.