Coburg - Mit der bereits zur Tradition gewordenen Autoren-Gala ging am Donnerstag Abend die Veranstaltungsreihe "Coburg liest!" zu Ende. Den fulminanten Schlusspunkt unter eine Woche intensiver Lese- und Literaturerlebnisse setzte der österreichischen Autor Michael Köhlmeier, den Kerstin Kircher vom "Coburg liest!"-Team im vollbesetzten Saal des Gemeindezentrums St. Augustin begrüßte.

Wer nun erwartet hatte, dass im Mittelpunkt des Abends die Vorstellung des neuen Romans "Zwei Herren am Strand" - die Hauptfiguren sind Charles Chaplin und Winston Churchill - stehen würde, hatte sich getäuscht. Für Michael Köhlmeier war Coburg eben nicht eine weitere Station auf einer Lesereise, sondern er erfüllte das Konzept der Autoren-Gala mit prallem Leben, indem er charmant plauderte und gescheit erzählte, Verschiedenes aus seinem reichen literarischen Werk vorstellte und sympathisch und zugewandt auf die Fragen aus dem Publikum einging.

"Bevor Max kam" heißt ein Zyklus von 55 Kurzgeschichten, in denen Köhlmeier sich dem großen literarischen Motiv seiner Heimat - dem Wiener Kaffeehaus - widmet. Der Ich-Erzähler wartet jeden Mittwoch auf seinen Freund Max (der allerdings nie in Erscheinung tritt), und während dieser Zeit begegnet er Menschen, die ihm Geschichten aus ihrem Leben erzählen. So wird in "Die traurigste Geschichte" der Untergang eines Volkes thematisiert, "Die allertraurigste Geschichte" berichtet vom Sterben der Frau Pietsch, und in "Unter Dieben" geht es um einen zehnjährigen Jungen, der bei dem Langfinger Herrn Albert in die Lehre geht.

"Ich schreibe gerne lange Bücher", erzählt Köhlmeier und greift zu "Abendland", in dem fünf Jahre Arbeit stecken. Der Autor beschränkt sich auf den knapp 800 Seiten nicht nur darauf, die Lebensgeschichte des exzentrischen Mathematikers und Jazz-Fans Carl Jacob Candoris zu erzählen, sondern er entwirft ein Panorama der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sebastian Lukasser heißt hier der Ich-Erzähler: "Mein Alter Ego", sagt Köhlmeier und fügt augenzwinkernd hinzu: "Mit diesem anderen Ich kann ich umspringen wie ich will. Ich muss nicht die Wahrheit sagen."

Auch in "Madalyn" und den "Abenteuern des Joel Spazierer" trifft der Leser wieder auf jenen Sebastian Lukasser, der - wie Köhlmeier verrät - auch in seinem nächsten Werk, an dem er gerade arbeitet, wieder auftreten wird.

Überhaupt hat er eine ganz besondere Beziehung zu seinen Figuren. Sie kommen zu ihm, sie führen ein Eigenleben: "Der Autor muss hinter seiner Figur hergehen", ist Köhlmeier überzeugt und erklärt: "Wenn eine Figur zu mir kommt und ist Briefmarkensammler, dann muss ich mich eben mit Briefmarken beschäftigen."

Johannes Schmidt, einer der Organisatoren von "Coburg liest!" moderiert das Gespräch mit dem Publikum, in dessen Verlauf Michael Köhlmeier seine Besorgnis über die vernachlässigte Bildung äußert: "Das Humboldt'sche Bildungsideal ist in den Müll gewandert", bedauert er und fügt ein flammendes Plädoyer für den Lateinunterricht an: "Die Logik einer Sprache kennenzulernen, fördert das logische Denken. Schließlich ist die Sprache die Grundlage unseres Denkens."

Mit herzlichem Applaus dankt das Publikum dem sympathischen Schriftsteller, der von Buchhändlerin Irmgard Clausen verabschiedet wird. Und Michael Köhlmeier verspricht lächelnd: "Wenn mich Coburg nochmal einlädt, komme ich sogar zu Fuß!"

Vita

Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard/Vorarlberg geboren. Er studierte von 1970 bis 1978 Politikwissenschaft und Germanistik in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt am Main. Seit Anfang der 1980er Jahre ist ein umfangreiches Romanwerk entstanden, neben einer großen Zahl von kürzeren Texten und feuilletonistischen Beiträgen. Sehr erfolgreich war die vom Bayerischen Fernsehen ausgestrahlte 80-teilige Serie "Mythen - Michael Köhlmeier erzählt Sagen des klassischen Altertums". Zu den bekanntesten Veröffentlichungen zählen die Romane "Abendland", "Die Abenteuer des Joel Spazierer" und "Madalyn". Im vergangenen Jahr erschien im Hanser Verlag "Zwei Herren am Strand".


Coburger Reminiszenzen

"Wenn ich hier aus dem Fenster blicke, sehe ich auf St. Augustin. Dort wurden meine Eltern getraut." Michael Köhlmeier hat eine ganz besondere Beziehung zu Coburg: seine Mutter stammte aus der Vestestadt, war Sekretärin bei der Handwerkskammer. Bei einem Spaziergang im Hofgarten lernt Pauline den österreichischen Leutnant Ludwig kennen, der sie als "Kriegsbeute", wie sie es schmunzelnd bezeichnete, mit nach Vorarlberg nimmt. (In dem Roman "Bleib über Nacht" schildert Michael Köhlmeier die Geschichte seiner Eltern.)

"Meine Mutter hatte immer Heimweh nach Coburg", erinnert sich Michael Köhlmeier. Jedes Osterfest verbrachte die Familie hier, jedes zweite Jahr durfte er als Bub sechs Wochen Sommerferien bei seinen oberfränkischen Verwandten verbringen. "Coburg war für mich der Inbegriff einer Großstadt!" Hier aß er seine erste Banane, immer noch lässt er sich zu Weihnachten Coburger Schmätzchen schicken, und bis heute schwärmt er für die Coburger Bratwurst, denn "in Vorarlberg schmecken alle Würste gleich".

In Coburg sah er seinen ersten Kinofilm: "Giganten" mit James Dean.

Seine Tante wohnte in der Badergasse, in jenem Haus, in dessen Erdgeschoss sich das Lichtspielhaus befand. "Es war ein etwas räudiges Kino", blickt Köhlmeier zurück. "Es war auch eine Kneipe mit dabei. Und neben dem Hauseingang war die Toilette. Es roch nach Zigarettenrauch, Bierdunst, Pisse und Bohnerwachs. Das war das große Parfüm meiner Kindheit."