Neustadt/Stanford - Ihr 850-jähriges Jubiläum feiert sie in diesem Jahr: Die Gebrannte Brücke, ehemalige Grenzmarkierung zwischen Ost- und Westdeutschland (Neue Presse vom 8. Februar). Hier verlief der Zaun, der nach 1945 Deutsche von Deutschen trennte. Mehr als vier Jahrzehnte beeinflusste das unmenschliche Bauwerk auch das Leben der Bürger in Neustadt und Sonneberg. Es unterbrach die Begegnungen von Nachbarn, Freunden und Arbeitskollegen. Erst die Grenzöffnung im Jahr 1989 beendete die Teilung Deutschlands. Die Gebrannte Brücke wurde zum Symbol der Einheit.

Auf Spurensuche

Die US-amerikanische Historikerin Edith Sheffer ist seit vielen Jahren auf Spurensuche, wie sich das Leben diesseits und jenseits der Grenze in den Partnerstädten Sonneberg und Neustadt seit der Teilung in Ost- und Westdeutschland 1945 veränderte. Bei ihrer Arbeit hat sie regionale Archive nach geeigneten Informationen durchkämmt und unzählige Interviews mit Zeitzeugen aus der Region geführt. Die Ergebnisse ihrer Forschung liegen seit Ende vergangenen Jahres in einem in englischer Sprache erschienenen Buch vor. Der Titel lautet: "Burned Bridge: How the East and West Germans made the Iron Curtain" (deutsch: "Die Gebrannte Brücke: Wie Ost- und Westdeutsche die Grenze erschaffen haben"). Die Studie lässt erwarten, dass aktuelle historische Sichtweisen überdacht werden müssen. Doch auch regionale Befindlichkeiten in Neustadt und Sonneberg sind auf den Prüfstand gestellt.

Als unumstrittene Tatsache in der Wissenschaft - und auch im Bewusstsein der Bevölkerung - galt bislang: Auf den Schreibtischen der alliierten Siegermächte in Moskau und Washington wurde der Ausbau der innerdeutschen Grenze erdacht und geplant. Als Ursache für den Ausbau galt der nach 1945 sich zuspitzende Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion, den beiden Supermächten im Kalten Krieg.

Edith Sheffer stellt in ihrer Studie den Forschungsstand zwar nicht grundsätzlich infrage, erweitert ihn aber um eine bis dato vernachlässigte Perspektive: Die der Menschen in der Grenzregion. Aus ihrer Sicht haben die entlang der Grenze in Ost und West lebenden Menschen durch ihre Verhaltensweisen und Einstellungen in der Nachkriegszeit selbst zu einer Stabilisierung und zur zunehmenden Befestigung der Grenzsicherungsanlagen beigetragen.

Bei ihrem letzten Besuch in Neustadt im Jahr 2010 hatte Edith Sheffer gegenüber der Neuen Presse ihr besonderes Interesse für die Nachkriegssituation an der "Gebrannten Brücke" erklärt: "Ich verstehe unter dem Titel "Burned Bridge" eher so etwas wie zerbrochene Beziehungen". Diese "zerbrochenen Beziehungen" zwischen den Menschen in Sonneberg und Neustadt bezeichnet sie in ihrem Buch nun als Auslöser für den kontinuierlichen Ausbau der Grenzsicherung in den Nachkriegsjahrzehnten.

Örtliche Problemlagen

Das Ende des Zweiten Weltkrieges hätte, wie Sheffer auf fundierter Quellenbasis betont, das Sicherheitsempfinden der Menschen an der Grenze auf eine harte Probe gestellt. Die Situation an der Zonengrenze, nach Kriegsende noch eine grüne und ohne großen Aufwand zu querende Grenze, war gekennzeichnet von einer Reihe akuter örtlicher Problemlagen: Einen hohen Grad an Kriminalität, von Schmuggel und Flüchtlingswanderung von Ost nach West, einer Häufung von Geschlechtskrankheiten, hohe Truppenkonzentrationen und politische Einflussnahme auf die Menschen der jeweils anderen Besatzungszone.

Die Gerüchteküche brodelte. Beispielsweise wurde das Gespenst einer zusätzlichen Landnahme des sowjetischen Militärs auf Neustadter Gebiet an die Wand gemalt. Das steigerte die Verunsicherung der Menschen zusätzlich. Als Folge davon nahm der Wunsch der Bevölkerung nach Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen mehr und mehr zu. Öffentliche Proteste auf dem Neustadter Marktplatz verliehen dem Ausdruck.

Die Grenze sei folglich nicht nur ein Produkt, sondern ihrerseits ein Produzent des Kalten Krieges - und nicht nur entstanden infolge der politischen Isolation von Ost und West, sondern auch aufgrund der Interaktion der Menschen auf beiden Seiten.

Edith Sheffer bringt die Entstehung der Grenze auf eine kurze Formel: "Die Grenze ist damals in den Köpfen entstanden und nach der Anfangseuphorie der Wende weiter in den Köpfen vorhanden", sagt Sheffer. Gänzlich unumstritten ist in Fachkreisen die These der amerikanischen Autorin jedoch nicht.

Nutzen für Neustadt

Für die Stadt Neustadt kann die Studie womöglich bei allem Pro und Contra in ganz praktischer Weise Nutzen bringen. Der frühere Neustadter Stadtrat, Frank Altrichter, selbst Historiker, hat die Autorin bei ihrer Arbeit vor Ort eine Zeit lang begleitet. Er sieht die Forschungsarbeit als wichtigen Ansatzpunkt für eine Neugestaltung der Grenzinformationsstelle: "Das Interesse der internationalen Forschung bestätigt einmal mehr die historische Sondersituation der Region Neustadt-Sonneberg für die Grenz- und Territorialgeschichte Deutschlands."

Ich verstehe unter dem Titel Burned Bridge so etwas wie zerbrochene Beziehungen.

Prof. Dr. Edith Sheffer


Zur Person

Prof. Dr. Edith Sheffer lehrt an der Stanford University in Kalifornien. Sie erhielt 2008 eine Förderung der Andrew-W.-Mellon-Stiftung, die sich vor allem auf die Gebiete Wissenschaft und Kunst erstreckt. Seit 2010 gehört Sheffer der Geschichtsfakultät an. Jetzt ist ihr Buch erschienen, das die konventionelle Geschichte um den Eisernen Vorhang anficht. Darin erklärt sie, dass die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland nicht einfach von den Supermächten des Kalten Kriegs erschaffen wurde, sondern ein Auswuchs des verängstigten Nachkriegsdenken auf beiden Seiten der späteren Grenze war. Sheffers Forschungs- und Lehrinteresse umfasst das moderne Europa und Deutschland, darunter besonders die soziale und kulturelle Geschichte des 20. Jahrhunderts.