Weidhausen/Baku Warten auf das Wunder

Die Geschichte des Flüchtlingsjungen Aslan aus Weidhausen berührte in diesem Sommer eine ganze Region. Er und seine Familie wurden abgeschoben. Vergessen sind sie nicht.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Weidhausen/Baku - Ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum, Lichterketten und Kugeln sowie zwei Paar Winterschuhe: Wenn überall in Coburg Bescherung gefeiert wird, dann herrscht knapp 4000 Kilometer entfernt in Aserbaidschan schon seit Tagen große Freude über Geschenke. Denn auch wenn dort das Weihnachtsfest eigentlich auf den 31. Dezember fällt, sind Aslan (6) und seine Schwester Nurlana (14) schon länger völlig aus dem Häuschen. Ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum schmückt ein Zimmer ihrer Unterkunft. Sieht man die Tapeten im Hintergrund, könnte man meinen, die Kinder fiebern in einer völlig normalen Umgebung dem Fest entgegen. Doch in ihrem zu Hause ist derzeit nur wenig normal. Aslan, seine Schwester sowie ein weiterer Bruder (17) und die Mutter leben in primitivsten Verhältnissen.

Neue Chance für abgelehnte Asylbewerber

Die Bundesregierung will mehr Fachkräfte nach Deutschland locken und abgelehnten Asylbewerbern mit Job eine Chance auf Daueraufenthalt geben. "Im Kern geht es darum, dass wir nicht die Falschen abschieben", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu den neuen Regeln, die das Bundeskabinett letzte Woche beschlossen hat. Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, die Pläne könnten auch einen Beitrag dazu leisten, die illegale Migration zurückzudrängen. Die Unionsfraktion hat Nachbesserungsbedarf angemeldet.

Das Kabinett hatte zuvor einen Gesetzentwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Es sieht vor, dass die Hürden für die Einreise von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten gesenkt werden. Wer qualifiziert ist und gut Deutsch spricht, soll auch ohne Arbeitsvertrag kommen dürfen, um sich einen Job zu suchen. Das war bisher nur für Hochschulabsolventen möglich. Damit will die Regierung den Fachkräftemangel beheben, der laut Heil in einigen Branchen und Regionen schon jetzt ein "Wachstumshemmnis" ist.

Das eigene Geld reicht kaum, um über die Runden zu kommen. Dass trotzdem derzeit ein Weihnachtsbaum Licht in den tristen Alltag bringt, verdankt die Familie dem Helferkreis Flüchtlinge aus Weidhausen sowie den Erzieherinnen und dem Elternbeirat des evangelischen Kindergartens "Kleine Welt" in der Landkreis-Gemeinde. Diesen besuchte Aslan noch im Sommer dieses Jahres, bis er und seine Familie in den frühen Morgenstunden geholt und abgeschoben wurden. Das Entsetzen über dieses Vorgehen war damals in der Gemeinde riesig - die Bereitschaft zu helfen, jedoch auch.

"Wir halten ständig Verbindung zur Familie, vor allem zur 14-jährigen Tochter, deren Deutsch sehr gut ist", erzählt Ute Faber vom Helferkreis Flüchtlinge in Weidhausen. Zusammen mit anderen Ehrenamtlichen hatte sie sich um die Familie, die im April 2017 nach Weidhausen gekommen war, gekümmert. Nach ihrer Abschiebung sorgten die Helfer dafür, dass Mutter und Kinder auch nach ihrer Rückkehr ins Land nicht ohne alles dastehen. "Der Vater der Familie lebt nicht bei ihnen. Er war gezwungen, direkt nach der Ankunft in Aserbaidschan unterzutauchen", erzählt Ute Faber. Er hatte politisches Asyl in Deutschland beantragt, das ihm nicht gewährt wurde. "Bevor sie nach Deutschland flohen, hat man die Mutter bedroht, dass man ihr die Kinder wegnehmen würde, wenn sie sich nicht von ihrem Mann trennt", weiß Faber. Der Vater halte sich nun von ihnen fern, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden. "Nurlana hofft, dass ihr Papa nun wenigstens an Weihnachten zu ihnen kommt und das Fest mit ihnen feiert."

Dass es für die Familie überhaupt eines geben wird, hat sie der Spendenbereitschaft der Menschen in Weidhausen und Sonnefeld zu verdanken. Die Erzieherin der "Kleinen Welt", Monika Pechauf, und der Elternbeirat unter Leitung von Julia Buchdrucker haben Spendenaktionen initiiert. Aus dem Mehl, das die Familie zurück gelassen hat, wurde Kuchen gebacken und am St. Martinstag Laugengebäck verkauft. Denn noch immer ist der sechsjährige Aslan in seinem Kindergarten präsent. Auch die Schule, die Nurlana besuchte, hält noch Kontakt zu dem Mädchen. "Einige ehemalige Klassenkameraden schreiben ihr regelmäßig. Auch von dort ging ein Weihnachtspäckchen auf die Reise. Sie war so beliebt", erinnert sich Ute Faber. Sie hat sich vorgenommen, in naher Zukunft selbst nach Aserbaidschan zu reisen, um die Familie zu besuchen.

Bis dahin muss die kranke Mutter alleine für das Wohl der Kinder sorgen. "Sie hat jetzt eine Putzstelle und arbeitet zwischen sechs und acht Stunden täglich, um die 120 Euro zusammenzubringen, mit denen der ganze Monat bestritten werden muss", so Faber. Doch das sei schon ein Fortschritt. "Vorher war die Familie völlig mittellos, weil es bisher keine Unterstützung vom Staat gibt."

Die jüngeren Kinder besuchen seit September die Schule. Aslan ist in die erste Klasse gekommen, seine Schwester Nurlana, die in Weidhausen wegen ihrer schnell erworbenen Deutschkenntnisse noch immer gelobt wird, besucht die 8. Klasse. "Sie wollte so gerne Kranken- und Gesundheitspflegerin oder medizinische Fachangestellte werden", erzählt Ute Faber. Sie selbst hat das Mädchen bei einer Hausarbeit zu diesem Thema unterstützt. "Ihre Hoffnung war so groß, hier einen guten Schulabschluss zu machen." Und auch jetzt glaube die 14-Jährige noch, dass vielleicht ein Wunder geschieht und sie zurück kommen darf. In ihrem Dankesbrief an die Helfer in Weidhausen heißt es: "Deutschland war für uns ein Himmel. Und ihr seid die Engel."

Autor

Bilder