Noch von 2009 bis 2014 bewegten sich die Unfallzahlen mit Wildbeteiligung relativ konstant bei zirka 600 Fällen pro Jahr. Seit 2015 stiegen die Zahlen jedoch sprunghaft auf das aktuelle Niveau an. Die Gesamtunfallzahlen entwickelten sich ähnlich: Auch hier ein deutlicher Anstieg von rund 2000 Unfällen in den Jahren vor 2015 auf zunächst 2395 und aktuell 2419. Rund drei Viertel der zusätzlichen Unfälle seit 2015 scheinen also dem Wildwechsel verschuldet.
Um den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen, holt sich die Polizei seit 2015 die nötige Expertise in Sachen Wildtiere unter anderem bei den für die Jagd zuständigen Mitarbeitern im Landratsamt, Jagdpächtern und Vertretern von Verkehrsbehörden ein.
Gemeinsame Analysen hätten laut Scherrers Bericht tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der extremen Witterung in den vergangenen Jahren und der steigenden Zahl von Wildunfällen erkennen lassen. Durch im Schnitt höhere Temperaturen und Trockenheit im Sommer sei das Wild unter anderem gezwungen weitere Wege auf der Futtersuche zurückzulegen - und damit auch häufiger die Straßen im Landkreis zu überqueren.
Der Faktor Mensch spiele jedoch eine ebenso große Rolle. So würde auch die intensive Landwirtschaft in den Haßbergen die Statistik negativ beeinflussen, erläutert Scherrer in seinem Bericht. Wegen der Bewirtschaftung von Ackerflächen bis an die Straßenränder würden Tieren oft nötige Ruheflächen zwischen Äckern und Straßen fehlen. In Waldstücken selbst könnten die Tiere zudem immer seltener zur Ruhe kommen - wegen des hohen Aufkommens von Spaziergängern, Freizeitsportlern oder Hundebesitzern.
Allerdings würden sich Autofahrer häufig auch selbst in erhöhte Gefahr bringen. Die Auswertung von Unfallschwerpunkten habe nämlich ergeben, dass neun von zehn Wildunfällen tatsächlich in den bereits mit Warnschildern markierten Bereichen passieren. Und meist deswegen, weil Autofahrer die Beschilderung ignorieren und an den kritischen Stellen zu schnell fahren.
Um die Zahl der Wildunfälle zu reduzieren, prüft Scherrer mit einem Kollegen derzeit noch, ob eine Änderung der Beschilderung notwendig ist. Hierfür wurden in den vergangenen Wochen wie in jedem Jahr die Unfallschwerpunkte ausgewertet. Mit seinen Kollegen möchte er aber auch das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer besonders in den Fokus nehmen. Wie im vergangenen Jahr will die Polizei daher auch in diesem Frühjahr Geschwindigkeitsmessungen durchführen, das Gespräch zu den Fahrern suchen und Flyer verteilen.
Dabei soll ein Gedanke im Mittelpunkt stehen, den es an die Fahrer weiterzugeben gelte. "Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt nur, wenn alles passt", erklärt der Polizist. Das gelte besonders an Stellen mit erhöhter Wildwechselgefahr aber nicht nur dort. Wenn die Sonne blende, die Straße beschädigt sei, der Reifendruck vielleicht nicht passe oder man als Fahrzeugführer nicht ganz fit oder von der Arbeit gestresst sei gelte es, die Geschwindigkeit anzupassen. Sprich: Den Fuß vom Gas zu nehmen.
Dass an vielen Stellen im Landkreis Haßberge jederzeit ein Tier auf der Straße stehen könne, erschwere die Situation noch. "Wenn ich ein zwei Zentner schweres Wildschwein mit 100 überfahre, ist mein Auto Schrott", führt Scherrer aus. Die Verletzungsgefahr sei enorm hoch. Mit 60 km/h komme man eventuell mit einem Blechschaden davon oder könne gar anhalten. Langsamer fahren sei also die wirksamste Methode, um die Gefahr für die Menschen auf den Straßen im Landkreis zu mindern. "Wir müssen beim Autofahrer ansetzen. Das Wild kennt keine Regeln", sagt Scherrer.
Die steigenden Gesamtzahl der Unfälle in den letzten Jahren lässt sich laut Stefan Scherrer aber nicht unbedingt nur auf den Faktor Wildtiere zurückverfolgen. Im Jahr 2018 alleine wurden nämlich auch 170 Fahrzeuge neu zugelassen. Abgesehen davon, dass also schlicht mehr Fahrzeuge unterwegs sind, bedeutet dies in der Regel auch eine größere Risikogruppe der "jungen Erwachsenen" als Fahranfänger. Der demografische Wandel und damit einhergehend immer älter werdende Autofahrer spiele laut Scherrer ebenfalls eine Rolle.
Junge Menschen (18 bis 24 Jahre) oder Senioren (ab 65 Jahren) waren in 2018 insgesamt in 347 Unfällen verwickelt und in fast zwei Drittel der Fälle auch die Verursacher. Seit Jahren bietet die Polizei in Zusammenarbeit mit der Verkehrswacht daher auch Sicherheitstrainings für Fahranfänger an. Im vergangenen Jahr hatten von über 800 eingeladenen immerhin 129 junge Fahrer am Programm "Könner durch Er-Fahrung" mitgemacht. Darüber hinaus haben Polizisten gut ein Dutzend Vorträge bei Seniorenverbänden abgehalten.
Ein erster Erfolg ist erkennbar: Die Zahl der Unfälle mit Beteiligung junger Fahrer sank 2018 minimal im Vergleich zum Vorjahr: um fünf auf 191. Hatten 2017 noch 60 Prozent der jungen Fahrer den Unfall sogar verschuldet, sank diese Quote im vergangenen Jahr auf 56 Prozent. Laut Scherrers Bericht ein Trend, der sich in den letzten Jahren immer mehr festige. Die Zahl der Fahrsicherheitstrainings soll daher in diesem Jahr sogar von fünf auf sechs aufgestockt werden.
Bei den Unfällen mit Beteiligung von Senioren konnte im vergangenen Jahr erstmals seit Jahren ein Rückgang verzeichnet werden. So gab es mit 156 Unfällen im vergangenen Jahr 20 weniger als noch im Jahr davor. Und auch hier konnte die Quote der von den Senioren verursachten Unfälle von knapp 69 auf 62 gesenkt werden.
Allerdings gebe es laut Scherrers Bericht gerade bei den älteren Fahrern "großen Anlass zur Sorge". Ein Großteil der Senioren stehe den Präventionsveranstaltungen nämlich noch immer ablehnend gegenüber. Außerdem: "Verkehrsprävention ist für uns Polizisten leider nur die Kür", gibt Scherrer zu. Diese müsse neben den alltäglichen Tätigkeiten erledigt werden und erzeuge meist Überstunden.
Um trotzdem gerade bei den Senioren die Arbeit noch intensivieren zu können, suchen Polizei und Verkehrswacht derzeit nach einem ehrenamtlichen Projektleiter, der sich um die Präventionsarbeit für Senioren im Straßenverkehr einsetzt.