1. Mai in Coburg Große Aufgaben für Unternehmen und Gesellschaft

Norbert KJlüglein
Jürgen Apfel von der IG Metall (links) und Mathias Eckardt vom DGB fordern zu solidarischem Handeln auf. Foto: Norbert Klueglein

DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt und IG-Metall- Bevollmächtigter Jürgen Apfel erwarten große Umbrüche. Die Folgen des Ukraine-Krieges und die Anpassung an den Klimawandel werden die Arbeitswelt verändern. Solidarität sei nötig, damit die Gesellschaft nicht auseinanderbricht.

 
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„Maifeiern finden wir gut“, sagt Jürgen Apfel, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Coburg. Und dann fügt er schmunzelnd hinzu: „Jeder sollte feiern. Allerdings erst, wenn er auf unserer Maikundgebung war.“ Was wie ein flotter Spruch klingt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Ohne die Arbeiterbewegung gäbe es am 1. Mai keinen Feiertag. Weder in Deutschland noch in anderen Ländern. Somit ist die Maikundgebung, die in Coburg um 10 Uhr auf dem Albertsplatz beginnt, sozusagen die Mutter aller Maifeiern.

1886 riefen nordamerikanische Gewerkschaften zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik auf. Das war an einem 1. Mai. Damals orientierte man sich zur Durchsetzung der Forderungen an Massendemonstrationen, die 1856 in Australien stattgefunden hatten – ebenfalls an einem 1. Mai. Auch da ging es um den Achtstundentag. Seitdem nutzen Gewerkschaften dieses Datum, um für Arbeitnehmerrechte auf die Straße zu gehen.

Erstmals 1919

In Coburg passierte das übrigens erstmals am 1. Mai 1919. Der damalige Coburger SPD-Politiker Franz Klingler – er war Abgeordneter des bayerischen Landtags und Herausgeber des sozialdemokratischen „Coburger Volksblatts“ – sprach im Saal der Hofbräu- Gaststätte in der Mohrenstraße. Heute steht dort das Gebäude des Kaufhofs. Anschließend gab es einen Demonstrationszug von Gewerkschaftern und Mitgliedern der SPD durch die Coburger Innenstadt. Der Historiker Hubertus Habel hat das Ereignis in seinen Forschungsarbeiten ausführlich beschrieben.

In den 1930er-Jahren vereinnahmten die Nationalsozialisten die Arbeiterbewegung und benannten den 1. Mai in „Tag der nationalen Arbeit“ um. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Maikundgebungen im Westen erst wieder mit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 erlaubt. In Coburg organisierten die Gewerkschaften in den 1950er-Jahren die ersten Aufmärsche. Sie hatten enormen Zulauf, wie alte Fotos beweisen. Im Jahr 1957 reichte das Rund auf dem Schlossplatz fast nicht aus, um die Massen aufzunehmen. Sogar auf den Arkaden standen die Menschen, um den Reden zu lauschen, die von den Stufen des Theaters aus gehalten wurden.

Enorme Herausforderungen

Heute ist das etwas anders. Abgesehen von den großen Metropolen ziehen die Maikundgebungen eine eher überschaubare Zahl an Zuhörern an. „Wenngleich es gerade jetzt enorme Herausforderungen gibt, die genauso auf die Gewerkschaften wie auf die gesamte Bevölkerung zukommen“, sagt Mathias Eckardt, DGB-Regionsgeschäftsführer für Oberfranken in einem NP-Gespräch. Die Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs und die längst überfällige Anpassung an den Klimawandel wird seiner Meinung nach nicht nur zu erheblichen Veränderungen in den Unternehmen, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft führen. „Wir werden eine neue Ordnung in Europa bekommen“, sagt Eckardt. Die Gewerkschaften müssten jetzt die Voraussetzungen schaffen, damit die Transformationen in der Arbeitswelt nicht zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gingen. „Wir müssen die Flüchtlingsströme bewältigen und sehen gerade, dass die Globalisierung, so wie sie lange Zeit propagiert wurde, nicht mehr funktioniert“, beschreibt der DGB-Regionalgeschäftsführer das Szenario. Dazu kämen gestörte Materialflüsse, Rohstoffknappheit und immens gestiegene Energiekosten. „Das kann zu Produktionsausfällen und schlimmstenfalls Verlagerungen in Billiglohnländer führen“, warnt Eckardt. Wobei – die Höhe des Arbeitsentgelts wird in Zukunft wohl nur ein Faktor sein, der über die Qualität eines Industriestandorts bestimmt. „Die Energiekosten können eine Überlebensfrage für manche Unternehmen werden“, prophezeit der DGB-Sprecher. Wenn Energie in Nachbarländern dauerhaft günstiger wäre als in Deutschland, könne das einen erheblichen Standortnachteil darstellen. Für die Glasindustrie, an der im Raum Kronach rund 2000 Arbeitsplätze hängen, und für den Maschinenbau, der vor allem für Coburg wichtig ist, läuteten schon heute die Alarmglocken. „Wir müssen endlich in die regenerativen Energien einsteigen und Hürden, wie die 10H-Regelung in Bayern, beseitigen“, fordert Mathias Eckardt. Dazu gehöre es seiner Meinung nach auch, Ja zu Stromtrassen zu sagen, die Windstrom von der Küste in den Süden transportieren. „Wir müssen den Industriestandort Deutschland erhalten, weil wir das wirtschaftliche Zugpferd in Europa sind“, fordert der Gewerkschafter. Andernfalls wären zahlreiche finanzielle Leistungen, die Deutschland für Europa und gerade aktuell für die Ukraine erbringe, nicht mehr möglich.

Große Erwartungshaltung

Mit Blick auf die beginnende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie weiß IG-Metall-Bevollmächtigter Jürgen Apfel, dass die Erwartungshaltung der Kolleginnen und Kollegen sehr groß sei. Schon jetzt hinkten die Löhne den Preisen deutlich hinterher. Deshalb fordert Apfel einen Abschluss in der Tarifrunde 2022, „der die Teilhabe sicherstellt“. Die letzte wirkliche Tariferhöhung in der Branche wäre 2018 verhandelt worden. In den Gesprächen der vergangenen Jahre wäre es hauptsächlich um Einmalzahlungen gegangen. Nach Einschätzung die IG-Metall-Bevollmächtigten stünden deshalb die Chancen für eine Anpassung des Lohnniveaus in der Region „gar nicht so schlecht“. Abgesehen von einigen Unternehmen in der Metallindustrie, die unter dem Wegbrechen des Ost-Geschäfts litten, bewertet er die Geschäftsentwicklung „von sehr gut bis zufriedenstellend“.

Das Motto der Maikundgebung in Coburg steht in diesem Jahr übrigens unter dem Motto: „Gemeinsam Zukunft gestalten!“ Apfel sieht darin die Aufforderung, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel solidarisch und gerecht zu gestalten. „Was wir nach den Corona-Jahren brauchen, ist wieder mehr Zusammenhalt und Solidarität in der Gesellschaft – und das nicht nur am 1. Mai“, fordert er.

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