Der Premier persönlich schenkt ein
Die BBC berichtete kurz vor Veröffentlichung des Gray-Berichts unter Berufung auf Augenzeugen, der Premier selbst habe Feiernden Alkohol nachgeschenkt. Regelmäßig sei zu "Wine-time Fridays" geladen worden. Manchmal seien Räume so voll gewesen, dass sich einige bei anderen auf den Schoß setzen mussten. Zu einer Abschiedsfeier habe die damalige Chefin der Ethik-Abteilung eine Karaoke-Anlage mitgebracht.
Für Ermittlerin Gray steht fest, wer die Schuld an diesem Verhalten trägt - die politische Führung sowie die Chefs des Öffentlichen Diensts, des sogenannten Civil Service. "An den Veranstaltungen, die ich untersucht habe, nahmen Führungsfiguren der Regierung teil", schrieb Gray. "Viele dieser Events hätten nicht zugelassen werden dürfen." Mitarbeiter seien davon ausgegangen, dass ihre Teilnahme erlaubt sei, da auch führende Politiker anwesend gewesen seien.
Auch wenn Johnson nicht namentlich als Schuldiger genannt wurde: Für die Opposition ist er das Gesicht der Affäre, schließlich passierten die Ausschweifungen in seinem Amtssitz, während die Menschen im Land weder Verwandte besuchen noch sich von Sterbenden verabschieden konnten. "Der Bericht legt die Fäulnis offen, die sich unter diesem Premierminister in der Downing Street Nummer 10 ausgebreitet hat", sagte Labour-Chef Keir Starmer. Wenn Johnson angesichts dieses "Katalogs der Kriminalität" nicht gehe, müsse seine Partei ihn hinauswerfen, forderte der Oppositionsführer. Ian Blackford, Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP), rief: "Er hat sich nur aus einem Grund entschuldigt: Weil er ertappt wurde."
Johnson setzt auf "Carry on"
Das sehen auch die meisten Briten so: In einer Yougov-Umfrage fordern 59 Prozent Johnsons Rücktritt. Doch der Premier zieht partout keine persönlichen Konsequenzen und verweist darauf, dass die wichtigsten Personen in Downing Street bereits ausgetauscht worden seien. Auch der oberste Regierungsbeamte Simon Case, den viele für die tolerierte Partykultur verantwortlich machen, bleibt im Amt.
Vielmehr wurde am Mittwoch offensichtlich, dass Johnson mit "Partygate" endgültig abschließen will. Die Vorwürfe spielte er herunter. Es handele sich um einige wenige Verstöße in mehr als 600 Tagen der Pandemie, in einem fünfstöckigen Haus mit mehr als 5300 Quadratmetern Fläche, in dem Hunderte Menschen arbeiten, betonte der Premier. Unterstützung fand er bei Mitgliedern seiner Konservativen Partei. Der frühere Bauminister Robert Jenrick forderte, "eine neue Seite aufzuschlagen".
Auch Johnson betonte, er wolle nun nach vorne blicken, es gebe genügend größere Probleme, die er angehen wolle. Dass er als erster amtierender Premier wegen der Teilnahme an einer Lockdown-Party von der Polizei eine Strafe erhielt, dass die Polizei mehr als 120 Strafbescheide an Dutzende seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilte, dass Downing Street damit "die am schwersten bestrafte Straße des Landes" wurde - damit hielt sich der 57-Jährige nicht lange auf. Als einziges Tory-Mitglied forderte Tobias Ellwood, bereits als Johnson-Kritiker bekannt, den Premier noch im Sitzungssaal zum Rücktritt auf.
Spannend wird nun sein, wie die breite Masse der Hinterbänkler reagiert. Sprechen 54 der 359 Tory-Abgeordneten gegen Johnson aus, kommt es zu einem parteiinternen Misstrauensvotum. Doch zunächst wirkte ein solcher Schritt ferner denn je.