Aiwanger im Rampenlicht Hubert fliegen die Herzen zu

Jürgen Umlauft
Ein bisschen merkte man Hubert Aiwanger eingangs die Ereignisse der vergangenen Tage an. Doch als er sicher war, im Bierzelt auf dem politischen Gillamoos viele Unterstützer zu haben, lief der Freie-Wähler-Chef zur Bierzelt-Höchstform auf. Foto: picture alliance/dpa/Sven Hoppe

Auf dem Gillamoos treten in den Festzelten Politiker aller Couleur in einen Wettstreit der markigen Sprüche. Auf einen von ihnen waren die Zuhörer besonders gespannt.

 
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Es ist kurz nach 9 Uhr, fast noch eine Stunde bis zum offiziellen Beginn des politischen Gillamoos in Abensberg. Das Festzelt der CSU ist schon gut besucht, man bekommt aber noch locker einen Platz. Bei Grünen, SPD und FDP ist die Besetzung zu dieser Zeit eher schütter. In den Weißbier-Stadl bei den Freien Wählern kommt dagegen schon längst keiner mehr rein, auch der Biergarten davor ist voll. Trotzdem drängen immer mehr Menschen nach. Sie alle wollen zu Hubert Aiwanger. Nach den Debatten und Wirren um das Nazi-Flugblatt in seiner Schultasche ist er der Mann der Stunde.

Beim Chef der Freien Wähler spielt auf dem Gillamoos 2023 die Musik. Da kann die Konkurrenz nebenan leibhaftige Bundesvorsitzende und Ministerpräsidenten aufbieten, Aiwanger schlägt sie alle. Als zünftige Blasmusik sein Kommen ankündigt, brandet im und vorm Stadl Jubel auf. Für seine Verhältnisse geradezu schüchtern winkt Aiwanger in die Menge. Er scheint noch nicht sicher zu sein, ob ihm die Anwesenden alle wohlgesonnen sind. Vielleicht hat ihn auch irritiert, dass man drei Personenschützer für ihn abgestellt hat. Aber nach donnernden „Hubert-Hubert“-Rufen und rhythmischem Klatschen lösen sich die Gesichtszüge. Aiwanger hat Heimspiel in Niederbayern. Die Menschen sind gekommen, um sich mit ihm zu solidarisieren und ihn zu feiern. Sie wollen den Mann, über den die Republik nun seit gut einer Woche debattiert, sehen, hören, hautnah erleben.

Eine knappe Stunde wird Aiwanger reden, doch vorab sei berichtet, worüber er kein einziges Wort verlieren wird: die „Flugblatt-Affäre“. Das Thema räumen vorher andere ab. Seine Generalsekretärin Susann Enders beklagt eine politisch motivierte Kampagne gegen ihren Chef. Fraktionsgeschäftsführer Fabian Mehring erteilt die Absolution. Er kenne Aiwanger nun seit 15 Jahren, er habe in dieser Zeit „keinen Funken Zweifel an der Gesinnung dieses Mannes“ gehabt. „Unser Hubert Aiwanger hat mehr Demokratieverständnis im kleinen Finger, als die Menschen zusammen, die dieses Kesseltreiben gegen ihn veranstalten“, sagt er. Zumindest hier im Saal erntet Mehring keinen Widerspruch.

Dann betritt Aiwanger die Bühne. Die Ärmel hochgekrempelt, der Blick entschlossen und konzentriert. In die gespannte Erwartung der Zuhörer hinein kommen aber keine deftigen Sprüche und keine Abrechnung mit seinen Kritikern und Anklägern. Aiwanger redet sachlich, für seine Verhältnisse argumentiert er extrem differenziert. Selbst bei Aufwühlthemen wie dem Gendern, der Zuwanderung oder dem Streit um kulturelle Aneignung mit Winnetou-Kostümen. Statt billige Pointen zulasten von Trans-Personen zu machen, fordert Aiwanger zum Beispiel mehr Fingerspitzengefühl und Hilfe für wirklich Betroffene, kritisiert aber auch die Liberalität der Ampel in dieser Frage.

Ähnlich äußert er sich beim Thema Cannabis, und als er auf das Heizungsgesetz der Ampel zu sprechen kommt, schwadroniert er nicht mehr wie damals in Erding von der schweigenden Mehrheit, die sich die Demokratie zurückholen müsse, sondern mahnt an, dass Politik die „tiefe Betroffenheit einer überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft“ mehr im Blick haben müsse. Es brauche mehr vernünftige Politik mit gesundem Menschenverstand als „ideologische Ampel-Politik“. Womit Aiwanger bei seinem Kernthema angelangt ist. Es geht ihm um die „Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft“, die von Vorschriften, Bürokratie und zu hohen Abgaben demotiviert würden. Für die müsse Politik gemacht werden, sonst sei die Demokratie „in höchster Gefahr“, weil diese Menschen enttäuscht zu Radikalen nach rechts und links abwandern würden.

Um diese in der Mitte zu halten, müssten die Probleme im Land „klar beim Namen benannt“ werden, betont Aiwanger. Genau das tue er, weil er dieses Land liebe und für eine gute Zukunft rüsten wolle. Deshalb unterziehe er sich auch „diesem Spießrutenlauf“. Es ist der einzige Nebensatz, den Aiwanger seinen Kritikern widmet. Mit Populismus habe das nichts zu tun, verteidigt er sich. Leistung müsse in der Gesellschaft wieder wertgeschätzt und honoriert werden, nicht „kaputt bürokratisiert“. Es müsse allen arbeitenden Menschen mehr Netto vom Brutto bleiben. „Heute muss man sich als junger Mensch weniger rechtfertigen, wenn man nicht arbeitet, und mehr, wenn man arbeitet“, kritisiert er eine Schieflage im Sozialstaat. Das kommt an im Weißbierstadl. „Bravo, Hubert!“, rufen einige, immer wieder tönt es „Hubert, Hubert!“.

Auf der Zielgeraden traut sich Aiwanger dann zur Freude des Publikums doch noch ein paar typische Aiwanger-Sätze. „Der Lauterbach soll sich darum kümmern, dass es den Zahnärzten gut geht, und nicht darum, dass er Cannabis einführt“, lästert er über den Bundesgesundheitsminister. Zur besseren Integration will Aiwanger Kriegsflüchtlinge aus Syrien und der Ukraine auch ohne Sprachkenntnisse schneller in Arbeit bringen, zum Beispiel als Aushilfen in der Gastronomie: „Das ist der Wurschtsalat, den trägst an den Tisch – da braucht’s vorher keinen Deutsch-Grammatikkurs!“ Warum kriege man in Deutschland solch pragmatische Lösungen nicht mehr hin, fragt er.

Am Ende seiner Rede blickt Aiwanger in Hunderte leuchtende Augenpaare. Auch ohne verbale Grenzüberschreitung hat er sein Publikum offenbar begeistern können, ein „Wir gegen die“-Gefühl erzeugt. Mit Inbrunst werden abschließend Bayern-Hymne und Deutschlandlied gesungen. Draußen stehen sie derweil Spalier, um bei Aiwangers Auszug wenigstens einen Blick auf ihren Hubert zu erhaschen. Die Matadore der anderen Parteien sind da längst weg.

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