Alte Gastwirtschaften Schwarzer Rauch im Roten Ochsen

Pia Bayer

Im November 1961 wütet ein Großbrand in einer der fünf Memmelsdorfer Gaststätten. Bis weit in den Itzgrund sind die Rauchschwaden zu sehen. Heinz Jahn und seine Familie können sich gerade noch retten.

 
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Eine historische Ansicht der ehemaligen Gaststätte „Zum Roten Ochsen“ an der heutigen Memmelsdorfer Hauptstraße. Das Gemälde hängt im Esszimmer von Heinz Jahn. Seine Familie betrieb die Gaststätte über mehrere Generationen. Letzter Wirt im Gasthaus war bis 1991 Heinz Jahns Neffe Herbert, der heute in Ebern lebt. Foto: Pia Bayer/Archiv: Heinz Jahn (4

Es ist früh um halb fünf. Heinz Jahn wäscht sich gerade im Bad, als er die Nachbarin draußen schreien hört. „Ich wollte mich für die Arbeit fertig machen, ich musste die Leute zusammenfahren vom Hofmann in Seßlach aus mit dem Bus“, erinnert sich der zu diesem Zeitpunkt 18-jährige Heinz Jahn. Es ist November 1961. In der Gaststätte Jahn bricht gerade der größte Brand in der jüngeren Memmelsdorfer Geschichte aus.

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„Draußen hat die Luthers Gretel geschrien: Es brennt! Es brennt!“, erzählt Heinz Jahn. Seine Mutter kommt, um den 18-Jährigen ebenfalls zu alarmieren. Auf dem Weg zur Küche sieht Heinz Jahn bereits, wie der Qualm durch die Lüftung ins Kücheninnere dringt. Gemeinsam weckt er die restlichen Familienmitglieder auf: Im oberen Stock der Gaststätte schlafen sein Bruder Rudi, dessen Frau Dora und die vier Kinder. Gemeinsam tragen sie die Kinder auf die Straße. „Es war sehr kalt draußen“, erinnert sich Heinz Jahn. Es stürmt orkanartig.

Jahns Vater Heinrich betreibt zu dieser Zeit die Gaststätte „Zum Roten Ochsen“ in Memmelsdorf. Das Wohnhaus mit Keller und Malzgewölbe, Brauhaus, Stadel, Schweineställen, Futterkammer, Schlachthaus, Backöfen und Hofraum trägt die alte Hausnummer 46. Schon die Großeltern Johann und Anna waren Wirte in diesem Anwesen, dessen Geschichte bis mindestens zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Im November 1961 scheint das weitere Schicksal des geschichtsträchtigen Gasthauses und der Jahnschen Familientradition plötzlich ungewiss.

1924 hatte sich hier der Gesangverein Liederkranz Memmelsdorf gegründet. Später hielt er dort auch Veranstaltungen ab: vor dem Krieg Theatervorstellungen, nach dem Krieg Faschingsbälle – „im sehr schön dekorierten Tanzsaal“, weiß Heinz Jahn noch. In eben jenem Saal bricht der Großbrand im November 1961 aus.

„Wir haben noch im Bett gelegen, dann kam der Alarm“, erinnert sich auch Ewald Baetz noch. „Draußen hat man den Rauch dann schon gesehen“, erzählt er weiter. Selbst in Schottenstein sei der Qualm deutlich zu erkennen gewesen, ergänzt seine Frau Helga, eine gebürtige Schottensteinerin.

Als Floriansjünger eilt Ewald Baetz schnellstmöglich zur Einsatzstelle. Heinz Jahn und sein Bruder Rudi wollen derweil nachsehen, woher der Rauch kommt. Sie stoßen die Tür zum ehemaligen Tanzsaal auf. „Ein Fehler“, wie sich bald zeigt. Das Feuer zieht Luft, die Flammen züngeln ihnen entgegen und breiten sich weiter aus. „Wir haben es gerade noch die Treppe hinuntergeschafft“, erinnert sich Heinz Jahn.

„Am Anfang hat es nur vorne gebrannt, dann ging der Brand durch die Nebengebäude durch in den Stodel.“ Doch das habe keiner gesehen, wegen der Ziegel, berichtet Ewald Baetz vom damaligen Einsatzort. „Dann kam der Arnold von Welsberg und hat das Kommando übernommen.“ Der Befehl lautet: eine Wasserwand zwischen die Scheune des Anwesens Jahn und das angrenzende Wohnhaus Morgenroth legen. „Genau richtig“, stellt Baetz rückblickend fest.

Allein die Wehr Memmelsdorf steht mit drei Wasserrohren bereit. Zusätzlich rücken die Feuerwehren aus Setzelsdorf, Untermerzbach, Schottenstein, Heilgersdorf, Kaltenbrunn, die Wehr aus Coburg und der Löschzug der Stadt Ebern an. Selbst die Bamberger Wehr fährt nach Unterfranken, wird aber nicht mehr gebraucht.

Aller Mühen zum Trotz fällt das gesamte Obergeschoss den Flammen zum Opfer. Der Schaden an der Gaststätte beläuft sich auf über 100. 000 D-Mark. Die Firma Lindner, Eggolsheim, die zu dieser Zeit einen Zweigbetrieb zur Herstellung von elektrischen Geräten im ehemaligen Tanzsaal der Familie Jahn unterhält, erleidet ebenfalls Totalschaden. „Ein Ölofen der Firma hat das Feuer ausgelöst“, weiß Heinz Jahn heute.

„Wir haben stundenlang nur da reingespritzt“, erinnert sich Ewald Baetz weiter an den kräfteraubenden Einsatz und erzählt, wie er am späten Nachmittag gemeinsam mit weiteren Feuerwehrlern noch im Heu der angrenzenden Scheune gestochert hat: „Da waren riesige Glutnester. Das mussten wir alles auseinandermachen.“

Nach dem Brand bietet sich ein Bild der Verwüstung. Was nicht das Feuer zerstört hat, ist vom vielen Wasser völlig zerweicht. Mit Hilfe der Versicherung wird die Gaststätte allerdings wieder aufgebaut, sodass nach Heinz Jahns Vater Heinrich noch sein Bruder Rudi und sein Neffe Herbert Wirte in Memmelsdorf werden. Auch die Firma Lindner betreibt bis Mitte der 1970er Jahre erneut eine Produktion im Obergeschoss.

Bis 1991 schenken Herbert Jahn und seine Frau Christine als letzte Wirte im „Roten Ochsen“ aus, dann verkaufen sie das Anwesen. „Immer höhere Auflagen seitens der Ämter“, „vier Kinder“ und „gesundheitliche Probleme“ zählt Herbert Jahn, der heute in Ebern lebt, als Gründe für das Aus der Gaststätten-Tradition auf. In der Folge finden zeitweise Flüchtlinge im großen Gebäude Unterkunft. Seit ihrem Auszug steht es leer.