Arbeitsbedingungen in der Pflege Den schönen Worten müssen endlich Taten folgen

Stephan Stöckel
Foto: Rido - stock.adobe.com

„Mehr Respekt für die Pflege“ – das ist der Tenor bei einer Diskussion in Redwitz. Dazu gibt es auch eine Online-Petition.

 
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Redwitz - „Wegen einer rezeptfreien Salbe muss ich fünfmal den Arzt anrufen.“ Für Pflegedienstleiterin Carmen Kluck vom AWO-Sozialzentrum in Redwitz sind solche Lappalien nervenaufreibend. „Wir bürokratisieren uns zu Tode“, machte sie kürzlich bei einer Podiumsdiskussion in der Einrichtung ihrem Ärger Luft. Mit einer Online-Petition unter dem Motto „Mehr Respekt für die Pflege, dann klatschen wir!“ möchte die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mittel- und Oberfranken an dieser Situation etwas ändern. Bessere Rahmenbedingen für alle Pflegekräfte ist das Ziel der Eingabe, die dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek übergeben werden soll.

Den schönen Worten, die die Beschäftigten während der Pandemie gehört hätten, müssten endlich Taten folgen, waren sich Pflegekräfte, Politiker, Heimbewohner und deren Angehörige einig. Den Gedanken, die Pandemie sei Auslöser der Unzufriedenheit, schob Steffen Coburger, der Gesamtleiter der Einrichtung, beiseite: „Die Covid-19-Pandemie ist nicht die Krise, sondern ihr Brandbeschleuniger.“ Wie ein Brennglas habe sie viele Missstände und Handlungsbedarfe erbarmungslos offengelegt. Eine davon ist die Dokumentationswut, die Heimbewohner Wilhelm Steinberg brandmarkte. „Wer schaut danach, wenn ich einmal gestorben bin?“, fragte er. Statt immer mehr Zeit am Computer zu verbringen, sollte diese mehr in die Pflege investiert werden. Als Zuhörer gewann man den Eindruck, dass die in der Ausbildung erworbene fachliche Praxis im beruflichen Alltag nicht mehr gilt. Kluck fühlt sich unter Generalverdacht gestellt, wenn sie nachweisen muss, dass Wundliegen nicht im Altenheim, sondern im Krankenhaus passiert ist. „Und das, obwohl der Überleitungsbericht der Klinik eine deutliche Sprache spricht.“ Man müsse den Mitarbeitern zugestehen, wieder mehr selbstverantwortlich zu arbeiten, stimmte Coburger zu.

Pflegefremde Tätigkeiten, die mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit der Pflegefachkräfte ausmachten, mangelnde Anerkennung und Personalschlüssel, die nicht der Realität entsprächen, machten den Pflegeberuf immer unattraktiver, kritisierte der Leiter. Mit fatalen Folgen: „Jede dritte Pflegekraft zieht inzwischen ihren baldigen Berufsausstieg in Erwägung.“ Mit Blick auf die 4,2 Millionen Pflegebedürftigen und 1,7 Millionen Demenzkranken fragte er: „Können und wollen wir uns das leisten? Oder sind wir bereit, die Gründe hierfür wahrzunehmen und über Reformen nachzudenken?“ Lisa Teichtweier, die in der ambulanten Pflege als Pflegedienstleiterin tätig ist, berichtete vom Zeitdruck, unter dem die Beschäftigten stehen. Mit seinem Gewissen vereinbaren zu müssen, alte Menschen ohne tröstende Worte zurückzulassen, weil das von den Krankenkassen nicht bezahlt werde, stimme einen traurig, sagte sie.

„Bleibt Eurem Job treu, Ihr werdet gebraucht“, ermunterte der stellvertretende Landrat des Landkreises Lichtenfels, Helmut Fischer, die Mitarbeiter. SPD-Landtagsabgeordneter Michael Busch zeigte Verständnis für die Probleme in der Pflegebranche, verhehlte aber nicht, worauf die Dokumentationswut zurückzuführen sei – nämlich auf die schwarzen Schafe, die es in der Branche durchaus gebe. Die Politik allein könne es nicht richten. „Wir brauchen eine Gesellschaft, die erkennt, dass wir alle alt werden und irgendwann einmal Pflege brauchen“, so Busch. „Dann würde man den Beruf anders sehen.“

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