Archäologische Funde an Hinrichtungsstätte Galgenberg – wo Scharfrichter verstümmelten und töteten

Markus Brauer/

Funde auf Richtstätten belegen, wie die Todesstrafe im Mittelalter und der Neuzeit vollzogen wurde. Dabei kommt es zu Erkenntnissen, die mitunter kaum schriftlich überliefert wurden.

 
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Ein Schädel wird von einer Archäologin an der Ausgrabungsstätte freigelegt. Auf dem ehemaligen Galgenberg finden derzeit archäologische Ausgrabungen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt statt. Foto: dpa/Matthias Bein

Archäologen haben auf dem ehemaligen Galgenberg in Quedlinburg (Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt) eine seltene Körperbestattung in einem hölzernen Sarg entdeckt. „Diese vergleichsweise würdevolle Bestattung im Bereich einer Richtstätte deutet eher auf eine Selbsttötung als auf eine Hinrichtung hin“, sagt Archäologin Marita Genesis vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle.

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Das im Sarg auf dem Rücken liegende Skelett mit im Bauchbereich gefalteten Händen war sehr gut erhalten. Darüber hinaus wurde dem Toten möglicherweise eine Rosenkranzkette mitgegeben.“ Fragmente von Bernsteinperlen weisen darauf hin. Damals durften Menschen, die den Freitod wählten, nicht auf einem regulären Friedhof beerdigt werden.

Historisch nachweisbar ist der Galgen auf dem heutigen Galgenberg am Lehofsweg seit 1662. Foto: dpa/Matthias Bein

Angst vor Wiedergänger auf der Richtstätte

Bei einem weiteren Fund war ein Mann auf dem Rücken liegend auf der Richtstätte begraben worden. Auf dem Brustbereich des Mannes lagen große Steine. Möglicherweise handelte es sich um ein sogenanntes „Wiedergängergrab“. Aus Angst vor der Rückkehr des Toten wurde sein Leichnam beschwert und somit im Grab gebunden.

Die Hinrichtungsstätte wurde vom Scharfrichter und seinen Gesellen regelmäßig beräumt. Diese Vorgänge sind eindeutig im archäologischen Befund nachweisbar. In Knochengruben stapelten sich die durch Verwesungsprozesse abgetrennten Körperteile der Gehängten oder Geräderten als Skelettreste wahllos nebeneinander und aufeinander in mehreren Schichten.

Zahlreiche Funde menschlicher Skelette und Skelettteile belegen die Ausübung der Hohen Gerichtsbarkeit an diesem Platz, der 1809 aufgegeben wurde. Foto: dpa/Matthias Bein

Neben menschlichen Überresten wurden auch Kleidungsreste wie Knöpfe und Schnallen, sowie Keramikfragmente gefunden. „Das deutet darauf hin, dass nicht alle Verurteilten in einem Büßerhemd getötet wurden, sondern mitunter in ihrer Alltagskleidung zur Richtstätte geführt wurden“, erläutert Genesis.

Rechtsgeschichte wird durch Funde erforscht

„Die Erforschung der Rechtsgeschichte wird noch immer in den großen Städten fast ausschließlich durch schriftliche Quellen getragen. Die archäologische Erfassung der Richtplätze, von denen es noch mehrere Tausend unberührt im Boden geben dürfte, korrigiert das Bild der Urteilsvollstreckungen erheblich“, betont Genesis.

Diese Glasperle wurde auf dem Grabungsfeld am Galgenberg gefunden. Foto: dpa/Matthias Bein
Genauso wie dieser Sargnagel. Foto: dpa/Matthias Bein

„Insbesondere die tatsächlichen angewandten Todesstrafen und die angetroffenen Daten zur Alters- und Geschlechterdifferenzierung lassen ein völlig neues Bild tatsächlicher Urteilsvollstreckungen auf den Richtplätzen des Mittelalters und der Neuzeit entstehen.“

Historisch nachweisbar ist der Galgen auf dem ehemaligen Galgenberg am heutigen Lehofsweg seit dem Jahr 1662. Der Galgen wurde mehrfach erneuert. Die Galgenanlage aus drei Pfosten konnte vier bis sieben Meter lang sein, sodass gleichzeitig mehrere Verurteilte gehängt werden konnten. Die Todesstrafe wurde in Quedlinburg bis 1809 öffentlich vollzogen.

Die Galgenanlage aus drei Pfosten konnte vier bis sieben Meter lang sein, sodass gleichzeitig mehrere Verurteilte gehängt werden konnten. Foto: dpa/Matthias Bein

Glaube an Wiedergänger und Untote in der Geschichte weit verbreitet

Der Aberglaube an Untote ist uralt – und existiert bis heute. Dass Verstorbene ruhelos seine können, davor fürchteten sich Menschen seit es Bestattungsriten gibt.

Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit war der Aberglaube weit verbreitet, dass die Untoten aus der Gemeinschaft der Lebenden und Toten ausgeschlossen und dazu verdammt sind auf Erden umher zu wandeln.

Der französische Ethnologe Michel Leiris beschreibt diese Wiedergänger in seinem Buch „L’Afrique Fantôme“ („Phantom Afrika“, 1934) als „Individuen, die man künstlich in einen Scheintodzustand versetzt, beerdigt, dann wieder ausgegraben und geweckt hat und die infolgedessen folgsam wie Lasttiere sind, da sie ja gutgläubig annehmen müssen, dass sie tot sind“.

Leiris fand Hinweise auf Untote im haitianischen Voodoo-Kult und in der Religion der Yoruba, einem Volk im Südwesten Nigerias. Im zwar christianisierten, aber immer noch von heidnischen Bräuchen durchtränkten Leben der Haitianer besitzen Voodoo-Hexer und Priesterinnen die geheimnisvolle Fähigkeit, Lebende mit einem Fluch zu belegen, so dass sie scheintot sind.

Nekrophobie – die Angst vor den Untoten

Die Angst vor den Untoten lässt sich auch psychologisch erklären. Nekrophobie – das Gegenteil ist Nekrophilie, die Liebe zum Tod und zu Toten – ist eine spezielle Art der Phobie, die sich in einer krankhaft übersteigerten Angst vor Toten und toten Dingen wie Leichen, Kadavern oder Mumien ausdrückt.

Die Betroffenen haben eine regelrechte Höllenangst vor der Nähe zu Sterbenden, Friedhöfen und Krankenhäusern.