Herr Stauch, sagen Ihnen die Namen Barbara Lochbihler, Sebastian H. Fischer und Monika Hohlmeier etwas?

Ja, natürlich. Das sind drei Kandidaten für die Europawahl. Lochbihler tritt in Bayern für die Grünen an, Fischer in Oberfranken für die SPD und Hohlmeier für die CSU.


Ihre Wahlplakate hängen auch in Kronach. Glauben Sie, dass auch die Kronacher Wähler diese Kandidaten kennen?

Nein, das tun sicher die Wenigsten – bis auf Monika Hohlmeier, die im Landkreis schon bekannt ist.


Warum sollte ein Wähler zu einer Wahl gehen, wenn er die Kandidaten nicht kennt?

Das ist das große Problem bei der Europawahl. Es gibt riesige Wahlkreise. Kandidaten können kaum persönliche Beziehungen zu den Menschen aufbauen. Das kann man aber auch nicht lösen.

Gehen deshalb immer weniger Deutsche zur Europawahl?

Das ist sicher ein Grund dafür. Ein anderer ist: Für einen Kronacher ist Europa die sechste politische Ebene
nach Gemeinde, Landkreis, Bezirk, Land und Bund. Das durchschaut kein Mensch mehr.


Wie würden Sie einen Nichtwähler motivieren, am 25. Mai trotzdem an die Urne zu gehen?
Der Journalist Heribert Prandl hat einmal gesagt: „Die EU war das Ende eines 1000-jährigen Krieges in Europa.“ Ein sehr treffender Satz. Es gibt viele Politikfelder, die nur noch auf europäischer Ebene behandelt werden können. Verbraucherschutz zum Beispiel, Klimaschutz oder Datenschutz im Internet. Auch die Kontrolle der Finanzmärkte ist
für einen Nationalstaatallein nicht mehrmöglich. Europa ist für viele Wähler weit weg.


Was haben die Menschen im Frankenwald von Brüssel?
Auch der Landkreis Kronach profi tiert massiv von europäischen Fördermitteln. Denken Sie nur an das Tropenhaus in Kleintettau. Zudem ist der Frankenwald in den vergangenen Jahrzehnten häufig in den Genuss von „Leader+“-Mitteln gekommen. Der Wähler sollte sich bewusst machen, dass ein großer Teil der Regional- und Strukturpolitik vom EU-Parlament mitbestimmt wird. Und: Auch in Kronach zahlt man mit dem Euro! Die EUsollte uns also nicht egal sein. Die Europwahl ist in meinen Augen die wichtigste Wahl überhaupt.


Vielen Bürgern sind die EU-Institutionen fremd. Sie verstehen den Aufbau nicht.

Das stimmt. Das habe ich bei meinem Europa-Wahlkampf 2009 auch festgestellt. Parteien und Medien sollten sich angewöhnen, Europa den Bürgern Stück für Stück näher zu bringen. Das System ist nicht so kompliziert, wie viele immer behaupten. Demokratie braucht aber auch Bürger, die sich politisch weiterbilden. Auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung im Internet wird Europa wirklich gut und verständlich erklärt.


Bereitet Ihnen das Desinteresse an Europa und die schwindende Wahlbeteiligung Sorge?

Ja, denn die EU kann daran zerbrechen. Sie steht am Scheideweg, die nationalen Egoismen
nehmen überhand. Der Politik fehlen Visionen, wie es mit Europa weitergehen kann. Sie muss den Mut haben zu definieren, wo man hinwill. Der derzeitige Schwebezustand ist nicht gut. Genauso wenig wie die Geheimdiplomatie im Hinterzimmer, die gerade wieder bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA praktiziert wird. Da fehlt es an der Transparenz für die Bürger.


Brauchen die Europäer mehr Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung?

Ja. Vor allem in Deutschland. Wie in anderen EU-Staaten, müsste auch bei uns über neue EU-Verträge per Volksentscheid abgestimmt werden. Volksbegehren gibt es ja schon auf europäischer Ebene – jüngst zum Beispiel gegen die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Wenn eine Million Menschen aus mindestens sieben EU-Staaten
ein Begehren unterstützen, muss sich die EU-Kommission mit dem Thema beschäftigen. W
enn sie die Initiative aber nicht annimmt, ist das Thema gestorben. Es fehlt die Möglichkeit
eines Volksentscheids.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Europawahlen gibt es so etwas wie Spitzenkandidaten. Ein Fortschritt?

Ja, unbedingt. Das ist ein Quantensprung für die EU. Nicht mehr die Regierungschefs der Mitgliedsländer, sondern die stärkste Fraktion im EU-Parlament soll den Kommissions-Präsidenten wählen. Die beiden Kandidaten Jean-Claude Junker für die konservative Europäische Volkspartei EVP und Martin Schulz für die Sozialisten sind wohl die prominentesten. Ich schätze beide Politiker sehr.


Beide haben sich kürzlich im deutschen Fernsehen ein TV-Duell geliefert...

Ja, und ich war erstaunt über die Qualität ihrer Beiträge. Sie haben beide das Zeug dazu, den Regierungschefs die Stirn zu bieten. Ich glaube, dass das Interesse an Europa spürbar steigen würde, wenn sich das System mit den Spitzenkandidaten dauerhaft einspielen würde.


Was wünschen Sie sich von der EU?

Weniger Staubsauger oder Glühbirnenverordnungen. Europa sollte sich mehr um die großen Themen kümmern, um die Energiewende oder eine gemeinsame Steuerpolitik zum Beispiel. Der Internet-Händler Amazon zahlt in Europa keinen
Cent. Noch fehlt hier aber der Wille.


Welche Vision haben Sie für Europa?

Ich bin überzeugter Europäer. Schon immer. Der Nationalstaat ist ein Irrweg der Geschichte. Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa. Die Fragen stellte Petra Bordasch

Zur Person
Carlo Stauch ist Politologe, Historiker, Volkswirt - und seit Kurzem Geschäftsführer der ASCO Teuschnitz.
2009 trat der Kronacher für die SPD als Kandidat bei der Europawahl an. Der 48-Jährige ist Dozent und Seminarleiter an der Frankenakademie in Schney bei Lichtenfels, die von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird. Seine Schwerpunkte sind Europäische Union, Finanzmarkt/Globalisierung und Geschichte der Demokratie.