Azubis dringend gesucht Eine Frage der Perspektive

Nicht nur im Handwerk werden derzeit Auszubildende gesucht. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Martin Schutt

Die Betriebe in Oberfranken suchen händeringend nach Auszubildenden. Die Pandemie ist nur ein Grund, weshalb viele Unternehmen bei der Suche leer ausgehen. Ein Überblick.

 
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Hof / Bayreuth / Coburg - Es wird derzeit viel geklagt, gemahnt und befürchtet auf dem Ausbildungsmarkt in Oberfranken. Betriebe und Kammern sehen einen Fachkräftemangel auf sich zukommen und klagen über unreife Bewerber. Schüler fühlen sich nicht ausreichend informiert und kämpfen um ihren Abschluss. Angehenden Azubis wünschen sich mehr Flexibilität und eine berufliche Perspektive. Lehrer und Schulen hingegen versuchen das Beste aus dem Lockdown zu machen – nicht immer erfolgreich. Auf allen lasten die Folgen der Pandemie. Ein Überblick.

Bewerber halten sich zurück

Es ist eine paradoxe Situation. Selten gab es so viele offene Stellen, die nach dem Abschluss auf die Schüler warten. Und dennoch fürchten nicht wenige von ihnen um ihre berufliche Zukunft. Grund ist wie so häufig die Pandemie. Absolventen von Mittelschule, Realschule und Gymnasien möchten sich bewerben. Sie wollen einen Ausbildungsplatz finden und sich beruflich weiterentwickeln; ein Stück Normalität erwerben. Doch sie fürchten, dass ihre Ausbildung nicht sicher sein könnte, weil sie die schwierige Situation vieler Betriebe kennen. Dabei wären diese bereit sie auszubilden, wie die oberfränkischen Kammern versichern. Sie suchen sogar händeringend nach ihnen. Werden sie lange nicht fündig, könnte sich ihre Situation weiter verschlechtern. Die Befürchtungen könnten sich schon bald bewahrheiten, nicht wegen der Pandemie – sondern weil sich niemand beworben hat.

Was heißt schon Qualität?

Betriebe können sich immer seltener aussuchen, wen sie einstellen. Deswegen landen heute Bewerbungen auf den Schreibtischen, die es vor einigen Jahren nicht einmal durch die Vorauswahl geschafft hätten. Hat die Qualität der Bewerber tatsächlich abgenommen?

Schwierig zu sagen, findet Peter Belina von der IHK Oberfranken. „Aus Mangel an Bewerbern sehen sich manche Unternehmen eben inzwischen auch Zeugnisse an, die eine Vier vor dem Komma haben.“ Aber woran lässt sie sich überhaupt festmachen, die viel diskutierte Ausbildungsreife?

Hendrik Schödel, Bezirksvorsitzender des bayerischen Lehrerverbands für Oberfranken, ist sich unsicher. „Wie will man das messen? An der Motivation? Der Konzentrationsfähigkeit? Oder der Auffassungsgabe?“, fragt er sich. Er berichtet davon, dass heute viele Kinder bei ihrer Einschulung bereits lesen können. Und die Abiturnoten würden von Jahr zu Jahr besser. Pauschal lasse sich nicht sagen, dass die Bildung immer mehr abnimmt.

Vielleicht ist es ja umgekehrt. Dass nicht Bewerbungen, sondern die Lehre vielerorts nicht besser wird. „Nicht jeder Schüler will den Ausbildungsplatz haben der gerade offen ist“, meint Hendrik Schödel. Er findet: Die Betriebe müssten sich mehr darauf einstellen, was junge Menschen heute wollen. Und das sei nicht der klassische Arbeitstag von neun bis fünf, sondern Flexibilität und ein modernes Arbeitskonzept.

Auch das Handwerk hat goldenen Boden

„Viele Azubis beklagen sich über mangelnde Unterstützung und die Qualität ihrer Ausbildung“, berichtet Paul Hummer, Jugendsekretär des DGB für Oberfranken. Die Anspruchshaltung der Auszubildenden sei gewachsen. Daneben würden sie auf Fortbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen achten, „Goodies“ wie Handys, Tablets und Firmenwagen seien da eher Nebensache.

Dabei ist Hummer auch bewusst, dass gerade kleinere Betriebe das nicht immer leisten können. Gerade das Handwerk tue sich zunehmend schwer, Nachwuchs zu finden. Mit dafür verantwortlich sei eine Über-Akademisierung der Gesellschaft, die das Handwerk zunehmend unattraktiv erscheinen ließe.

Auch die Handwerkskammer in Oberfranken hat diesen Trend beobachtet. „Wir müssen noch stärker in die Köpfe bringen, dass auch das Handwerk hervorragende Karrierechancen bietet“, meint Frank Grökel, Leiter der Nachwuchsförderung der Handwerkskammer. Nirgends sei es so einfach sein eigener Chef zu werden. Unter den Bewerbern seien übrigens auch immer häufiger Abiturienten dabei. Sie zu finden, werde allerdings derzeit nicht einfacher.

Kontakt und Praxis fehlen

„Leider konnten viele Präsenzveranstaltungen im vergangenen Jahr nicht stattfinden“, informiert Christian Brossmann, Sprecher der IHK zu Coburg. Betrieben falle es dadurch schwer, mit potenziellen Kandidaten in Kontakt zu kommen. Daneben seien momentan Praktika und gemeinsame Projekte an Schulen nicht möglich.

Das könnte noch zum Problem werden, fürchtet Stefan Stadelmann, Leiter des Schulamts Hof. Er berichtet davon, wie schwer es den Mittelschulen derzeit fällt, ihre Schüler auf Bewerbung und Beruf vorzubereiten. „Manche Dinge können nur durch die Person des Lehrers vermittelt werden“, ist Stadelmann überzeugt. Die Schulen würden derzeit zwar einiges versuchen, um Schüler auf ihren späteren Beruf vorzubereiten, doch oft funktioniere das online nicht.

Er sorgt sich um die Chancen, die Absolventen später einmal haben werden. „Es hat zwar geheißen, durch die Pandemie werde niemand benachteiligt. Ich fürchte aber, die Realität sieht anders aus“, sagt er. Betriebe hätten zurecht ein gewisses Anspruchsdenken, doch was tun, wenn Schüler durch den Lockdown Defizite haben? Es stelle sich die Frage, ob Betriebe fehlendes Wissen ausgleichen wollen – und können.

„Gebt der Jugend eine Perspektive“

Viele versuchen es, so zum Beispiel die Firma Roth Baumeister aus Wunsiedel. „Ein Auszubildender hatte zu Hause nicht die technische Ausstattung, um am digitalen Berufsschulunterricht teilzunehmen – wir haben ihm dann kurzerhand einen Raum in unserer Firma zur Verfügung gestellt“, erzählt Veronika Sirch, die Geschäftsführerin. Das Ziel ihres Unternehmens sei es, einmal gute Gesellen zu beschäftigen. Sie ist überzeugt: „Wenn man den jungen Leuten eine Perspektive bietet, ist es kein Problem geeignete Azubis zu finden“.

Nicht jeder Betrieb ist gleich

Je nach Branche stellt sich die Suche nach Auszubildenden unterschiedlich schwierig dar. Einem Bauunternehmer oder Dienstleister fällt es derzeit leichter seine Stellen zu besetzen als einem Gastronom oder Friseur. Das zeigt auch ein Blick in die Region.

„Wir haben für kommendes Ausbildungsjahr bereits drei Stellen besetzt“, berichtet Veronika Sirch, Geschäftsführerin von Roth Baumeister in Wunsiedel. Es sei durch den demografischen Wandel in Oberfranken nicht einfacher geworden, genügend Auszubildende zu finden.

Vielleicht sei das aber gar nicht schlecht, meint die Unternehmerin. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, dass sich die Betriebe um die Auszubildenden bemühen. Kurzpraktika seien dabei ein gutes Mittel, um den den Jugendlichen einen Eindruck von ihrem möglichen Arbeitgeber zu vermitteln. Momentan sei das eher schwierig, meint Sirch. Größere Probleme bei der Suche nach Lehrlingen sieht sie aktuell auf das Unternehmen allerdings nicht zukommen. „Aktuell verspüren wir durch Corona keine all zu große Verzögerung“.

Etwas schwerer fällt es der Firma Rehau ihre Lehrstellen zu besetzen. „Aktuell sind für das Ausbildungsjahr 2021 noch 23 von 52 Ausbildungsplätzen offen“, informiert Andrea Schmidt, Sprecherin der Firma Rehau. Generell sei es derzeit schwierig, für den technischen Bereich Auszubildende zu finden. Sie beobachtet bei den Schülern eine wachsende Unsicherheit; vielen fehle derzeit die Orientierung.

„Die Corona-Pandemie hat die Ausbildung stark verändert: Dort, wo es möglich ist, erfolgt die Ausbildung virtuell“, erzählt Schmidt. Dass die Qualität der Bewerber sich in den vergangenen Jahren verändert habe, diesen Eindruck hat sie nicht. „Wir sehen eher eine Veränderung. Die Jugendlichen haben andere Werte, Ansichten, Potenziale.“ Auszubildenden sei heute wichtig, dass die Lehre zu ihren eigenen Interessen passt. Die Firma Rehau bemühe sich daher darum, den Lehrlingen flexibles Arbeiten, ein kreatives Umfeld und mehr Urlaub zu bieten.

Kammern: Es wird weiter ausgebildet

Egal ob Handel, Handwerk oder Industrie – viele Ausbildungsstellen bleiben derzeit unbesetzt. Aber woran liegt es, dass immer mehr Betriebe bei der Suche nach Lehrlingen leer ausgehen?

„Uns fehlte der Schub aus den Ausbildungsmessen, Praktika, persönlichen Kontakten und Beratungsgesprächen“, erklärt Frank Grökel, Leiter der Nachwuchsförderung bei der Handwerkskammer Oberfranken. Zudem verspüre man derzeit eine deutliche Zurückhaltung bei den Jugendlichen, gerade bei Friseuren und in der Gastronomie. Der Trend zum Studium halte an, wenngleich er leicht rückläufig sei. „Während vor ein paar Jahren nur gut jeder zwanzigste Auszubildende im Handwerk ein Abitur hatte, ist der Anteil mittlerweile auf über elf Prozent angestiegen“, erläutert Grökel.

In Coburg fehlte den Betrieben vor allem der Kontakt zu potenziellen Bewerbern. „Viele Vorstellungsgespräche können entweder gar nicht stattfinden oder werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben“, berichtet Christian Brossmann, Sprecher der IHK zu Coburg.

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage könne man derzeit aber keinen Rückgang bei dem Ausbildungswillen der Betriebe feststellen. Das bestätigten auch Zahlen der Arbeitsagentur. Demnach komme derzeit rechnerisch auf einen Bewerber zwei offene Stellen. Um den Trend zum Studium aufzufangen, fordert die Kammer eine Stärkung der dualen Ausbildung. „Es ist Aufgabe der Politik, das Image der dualen Berufsausbildung zu verbessern“, betont Brossmann.

In den letzten Jahren hat sich viel verändert, findet Peter Belina, Pressesprecher der IHK Oberfranken. „Früher konnten sich die Betriebe ihre Lehrlinge aussuchen, heute ist es umgekehrt“. Das führe dazu, dass Bewerber länger zögern und ihre Ausbildung häufiger abbrechen. Viele Schulabgänger würden sich für ein Studium entscheiden, weil sie es im Moment für die sicherere Alternative halten, doch das sei nicht immer der Fall.

Die Jugend will mehr als Gimmicks

Die Qualität der Auszubildenden wird immer schlechter? Eher im Gegenteil. Findet zumindest Paul Hummer, Jugendreferent des DGB für Oberfranken. Aus seiner Sicht gibt es gleich mehrere Aspekte, die eine Ausbildungsstelle für Jugendliche unattraktiv machen.

Dass Stellen unbesetzt bleiben sei für ihn dadurch nur verständlich. „Ein wichtiger Punkt ist der Standort. Ländliche Gebiete ohne Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sind für viele junge Menschen unattraktiv“, meint Hummer. Dass einige Betriebe ihren Auszubildenden inzwischen deshalb Firmenwagen anbieten, gleiche den Wunsch nach einer urbanen Umgebung nicht aus.

Oft fehle es im Betrieb an Zukunftsperspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Anspruchshaltung vieler Bewerber sei in der Hinsicht deutlich gestiegen. Auch der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz. „Schüler und Auszubildende sind verunsichert, ob ihr Abschluss im Corona-Jahr gleich viel Wert ist“, meint der Jugendreferent. Einige würden sich daher eher für ein Studium entscheiden, da sie sich davon bessere Zukunftsaussichten versprechen.

„So mancher Student merkt allerdings nach dem zweiten oder dritten Semester, dass ihre beruflichen Perspektiven dadurch auch nicht rosiger sind“, erläutert Hummer. Studienabbrecher sollten daher besser darüber informiert werden, welche Alternativen es für sie in den Betrieben gibt.

Die Politik solle ebenfalls aktiv werden. Hummer: „Es muss endlich ein Signal gesetzt werden, dass der Standort Deutschland trotz Pandemie nicht den Bach heruntergeht“. Unternehmen warnt er vor einem Investitionsstau, der würde die Situation nur verschlimmern.

Jugendliche, die sich bereits in einer Ausbildung befinden, müssten bestmöglich gefördert werden. Eine Möglichkeit seien Nachförderprogramme, die schulische Defizite durch die Pandemie ausgleichen. Es müsse alles dafür getan werden, dass Auszubildende durch die Pandemie nicht auf der Strecke bleiben.

„Eine Frage der Gerechtigkeit“

Die Schulen kämpfen aktuell mit den Folgen von Lockdown und Distanzunterricht. Welchen Einfluss das auf die Chancen ihrer Schüler auf dem Arbeitsmarkt hat, darüber herrschen unterschiedliche Ansichten.

Uwe Dörfer, Leiter des Schulamts Coburg, findet: Der Begriff „Corona-Jahrgang“ werde der Situation nicht gerecht. Er geht nicht davon aus, dass sich der Abschluss unter beschwerten Bedingungen negativ auf die Suche nach einer Ausbildung auswirkt. Es sei zwar für die Kinder und Jugendlichen alles andere als einfach, aber sie würden sich um einen guten Abschluss bemühen. Er ist davon überzeugt, dass ihnen trotz aller Belastungen noch genügend Motivation bleibe, um sich auf die Suche nach einer Ausbildung zu konzentrieren.

Sein Kollege, Stefan Stadelmann aus Hof, macht sich größere Sorgen um die berufliche Zukunft seiner Schüler. In den vergangenen Wochen hat er eine zunehmend niedergeschlagene Stimmung bei ihnen beobachtet. Vielen fehle der Präsenzunterricht – und damit auch die Motivation. Gerade Schülern mit höherem Unterstützungsbedarf.

Für ihn wird der Lockdown an Schulen zunehmend zu einer Frage der Gerechtigkeit. „Ich frage mich, was passiert, wenn ein Unternehmen eine Bewerbung von einem Hofer und einem Schweinfurter Schüler erhält“, meint Stadelmann. In Hof, wie in anderen Städten und Landkreisen mit hohem Inzidenzwert, fand deutlich weniger Präsenzunterricht statt als anderswo. Er fürchtet, Bewerber könnten dadurch weniger Chancen bei einer Bewerbung haben. „Die Schulen werden bei der ein oder anderen Note sicher ein Auge zudrücken. Doch was ist mit den Defiziten, die durch den Lockdown entstanden sind?“, fragt sich Stadelmann. Er sei sich unsicher, ob die Firmen willens und in der Lage sind, das auszugleichen.

„Das Corona-Jahr wird sich noch auf die nächsten beiden Jahrgänge auswirken“, prophezeit Hendrik Schödel, Bezirksvorsitzender des bayerischen Lehrerverbands. Den Schülern fehle es an Orientierung – sowohl beruflich als auch persönlich. „Viele konnten sich noch g nicht damit beschäftigen, was sie später einmal machen wollen“, meint Schödel. Er rechnet daher mit einer höheren Quote an Ausbildungsabbrüchen, weil Azubis feststellen, dass der angestrebte Beruf ihnen gar nicht liegt. Betriebe müssen sich stärker auf die geänderten Bedürfnisse junger Menschen einstellen, findet Schödel.

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