Biomüll, Kompost und Würmer Dieses Luxushotel ist totaler Müll

Ingmar Volkmann

Macht man die Welt besser durch selbst gebaute Kompostkisten, in denen Wurmvölker ihre Arbeit verrichten? Ein Selbstversuch mit Biomüll und schmatzenden Würmern.

 
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Keine Angst: So groß werden die Würmer in der Wurmkiste für Bioabfall nicht. Foto: Matt und Glänzend

Das Paket ist schwer. Der Inhalt – die Einzelteile einer Wurmkiste, bestehend aus jeder Menge Bretter, Behältnissen, einem Eimer voller Würmer und einem Zapfhahn – steht mahnend vor der Terrassentür und wartet darauf, MacGyver-mäßig montiert zu werden.

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Der Plan hinter der Kiste: Die Reste der eigenen unzulänglichen Einkaufsplanung von Würmern zu feinster Erde verarbeiten lassen. Außerdem das Schauspiel als eine Art Vanitas-Motiv und Vorgriff auf die eigene Endlichkeit begreifen: So wie die Würmer sich am Bio-Müll abarbeiten, wird schließlich jeder Mensch eines Tages zu Kompost verarbeitet, lässt man seine eigenen Überreste nicht gerade verbrennen oder von einem Kutter aus in die Nordsee werfen.

Klar Vorzüge gegenüber eines Sargs

Der Vorteil einer Wurmkiste im Vergleich zur Kiste namens Sarg: Sie passt auf den Balkon, die Terrasse oder sogar in die Küche, ohne dass man von den Nachbarn mit einem satanischen Mumienbeobachter verwechselt wird.

Wurmkistenanbieter gibt es mittlerweile einige. Zu den Pionieren dieses Genres gehören Lydia Brucksch und Jasper Rimpau, die 2013 das Buch „Kompost aus der Kiste“ veröffentlicht haben. Rimpau zeichnet außerdem verantwortlich für das Start-up Wurmwelten.de und widmet sich dabei der Zucht und dem Handel von Kompostwürmern.

Das österreichische Pendant zu den Wurmwelten heißt Wormsystems und wurde von David Witzeneder initiiert. Sein Antrieb: „Zum Studieren bin ich vom Land in die Stadt nach Wien gezogen. Dort habe ich realisiert, dass der Biomüll meist im Restmüll landet. Dann bin ich auf das Thema Wurmkompostierung gestoßen. Mein Ziel: eine indoor-taugliche Lösung entwickeln“, erklärt er.

Witzeneder will Berührungsängste abbauen: „Wir haben über die Zeit eine kulturelle und emotionale Distanz zu Bioabfällen aufgebaut und das Bewusstsein für den eigentlichen Wert dieser Abfälle verloren“, sagt der Gründer von Wormsystems, der sich auf urbane Kompostiersysteme spezialisiert hat.

Urbaner Kompost als Luxushotel

Also endlich das eigene urbane Kompostiersystem aufbauen mit Hilfe des Erklärvideos der Wurmkistenmacher. Der Clip ist auf Österreichisch, die Sprachfärbung also leiwand. Ob die Würmer auch Österreichisch untereinander sprechen?

Nach mehreren Stunden, verteilt über mehrere Tage, was wirklich nicht an der Anleitung liegt, sondern am Schmalspurhandwerker, steht die Kiste samt Zapfhahn, um den sogenannten Wurmtee zu zapfen: Das Sickerwasser aus der Wurmkiste, angebliche Wunderwaffe für die Sprühflasche eines jeden Kleingärtners.

Eine Hanfmappe als Bettdecke und eine köstliche Mineralmischung für die Mieterinnen und Mieter: So muss sich ein Verpächter von Luxusimmobilien für Arbeiter fühlen, der eine nicht enden wollende Produktion zum Ziel hat.

Die Würmer, die in einem Eimer voller Substrat geliefert wurden, werden ausgepackt. Entgegen familiärer Unkenrufe („die Würmer sind mausetot“) kreucht und fleucht es im Eimer. Die österreichischen Bestien sind unkaputtbar.

14 Zentimeter

Nachgeschaut beim Naturschutzbund (Nabu), um was für Gewürm es sich hier handelt. Dort heißt es: „Bei uns kommen über 40 Arten von Regenwürmern vor. Am bekanntesten sind der Tau- und der Kompostwurm. Der Kompost- oder auch Mistwurm ist mit vier bis 14 Zentimetern Länge kleiner als der Tauwurm und ist rot mit gelblichen Ringen um seinen Körper. Er braucht zum Überleben Erde, die reich an organischem Material ist.“

Na dann mal los. Elegant werden die Tauwürmer mitsamt der mitgelieferten, mineralhaltigen Erde in die Kiste gekippt und mit einer Sprühflasche wellnessmäßig mit Wasser verwöhnt. Zum Kuscheln gibt es Karton-Schnipsel, ebenfalls angefeuchtet.

Füttern darf man laut Betriebsanleitung erst ab Tag drei. Dann regnet es aber Leckereien in die Kiste und zwar so richtig: Spargelreste, Erdbeerstrunk, grüner Salat – die Würmer werden kulinarisch entschädigt für ihre Strapazen.

Koffeinshock vom Barista

Nach ein paar Tagen scheinen sich die Tierchen auf wundersame Weise vermehrt zu haben. Der Anblick bei der Übergabe des Biomülls ist nicht ganz so zuckersüß wie der von Hundewelpen oder Kätzchen und wirft Fragen auf: Wieso verheddern sich die Viecher in großer Zahl auf und in der Hanfmatte? Fluchtreflex wegen einseitigem Superfood?

In Foren finden sich Erfahrungsberichte von Kistenbesitzern über Würmer, die geflohen sind und es sich hinter dem Wohnzimmersofa bequem gemacht haben, weil das Futter zu sauer war oder man den Tipp, dass Würmer Kaffeesatz mögen, leicht übertrieben hat: Hobby-Barista treiben Würmer durch Koffein-Schock in die Flucht.

Die Fixierung auf die Hanfmatte ist laut Betriebsanleitung kein Problem: „Die Würmer genießen in der Eingewöhnungszeit die perfekte Feuchtigkeit in der Matte und verwenden sie daher gerne als Kinderstube. Auch das Turnen der Würmer in und auf der Hanfmatte ist ganz normal.“ Wir sind beruhigt.

Und was ist mit Urlaub?

Die Tierschutzorganisation Peta dagegen nicht. Sie warnt: „Bei Wurmkisten kann man viel falsch machen. Wer sich ein wenig in Foren umschaut, merkt schnell, dass vielen Besitzern von Wurmkisten Pannen unterlaufen und die Tiere dabei versehentlich sterben.“

Bei uns bisher nicht. Dennoch bleiben viele Fragen offen, darunter die klassische Haustierfrage: Was machen die Würmer, wenn wir in die Ferien fahren? Spoiler: Sie werden mit Wurmkisten-Urlaubs-Langzeitfutter in Form von Kokosfasern versorgt.

Das Schmatzen der Würmer

Zum Schluss stellt sich die alles entscheidende Frage, wann endlich Humus geerntet werden kann. Alle sechs Monate, sagen die Macher, und beweisen dabei Wortwitz. Sie warnen vor einer aufwühlenden Aktion fürs Wurmvolk und bieten Tipps fürs temporäre Umvolken: „Streue drei Tage vor der Ernte zwei bis drei Esslöffel rohe Polenta oder Mehl ein. Das lockt auch die letzten verirrten Würmer nach oben.“

Vielleicht laden wir zur Ernte ja den Schweizer Wissenschaftler und Klangkünstler Marcus Maeder ein. Der belauscht die Geräusche im Boden, indem er sie mit einem eigens entwickelten Aufnahmegerät etwa tausendfach verstärken kann. Damit das Schmatzen der Würmer nicht mehr zu überhören ist und wir endlich herausfinden, ob sie untereinander Österreichisch sprechen.