BRK hilft im Ahrtal „Es ist extrem bedrückend“

Michael Will
Bilder der Zerstörung – soweit das Auge reicht. Das Hochwasser hat Schlamm und Dreck hinterlassen, Autos wie Spielzeuge weggeschwemmt und aufeinander geschoben. Bilder, die Bewohner und Helfer belasten. Foto: /Kerstin Skaberna/BRK

Ehrenamtliche PSNV-Helfer des BRK leisten psychische Erste Hilfe im Ahrtal. Sie sind dabei Ansprechpartner für die Opfer der Katastrophe – aber auch für die, die kommen, um das Chaos zu beseitigen.

 
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Die Menschen in den Hochwasser-Gebieten in Rheinland-Pfalz sind auf umfassende Hilfe angewiesen. Auf Helferinnen und Helfer, die bei der Bewältigung der Katastrophe mitwirken, die Dreck und Müll mit wegräumen, die sie mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Strom versorgen und die medizinische Hilfe leisten. Viele von ihnen benötigen aber auch psychische Erste Hilfe. Das Ehepaar Kerstin und Sven Skaberna sowie Hans-Peter Bendner, ehrenamtliche Mitarbeiter des Teams der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) des BRK-Kreisverbandes Haßberge, waren mehrere Tage im Ahrtal im Einsatz. Sie berichten über die Situation von Betroffenen und Helfern, deren belastende Erlebnisse, über tragische Schicksale und von ganz persönlichen Emotionen.

Sven, haben Sie schon mal Zerstörungen solchen Ausmaßes gesehen?

Sven Skaberna: So etwas habe ich noch nicht mal ansatzweise gesehen. Es ist extrem bedrückend, wenn man durch die Ortschaften im Ahrtal geht und die riesigen Müllberge sieht. Auf diesen Müllbergen sind ganze menschliche Existenzen aufgetürmt. Das Wasser hat ganze Häuser förmlich entkernt oder sie einfach komplett weggespült.

Wie geht es Ihnen nach diesem Einsatz, benötigt man als PSNV-Fachmann gar selbst psychische Hilfe?

Solche Einsätze machen natürlich auch mit einem selbst etwas, sie sind sehr belastend. Der erste Schritt zur Verarbeitung ist, dass ich mit meiner Frau darüber reden kann und dass ich etwas Gutes für mich mache. Das wird auch schon in der Ausbildung großgeschrieben, auf die eigene Psycho-Hygiene zu achten. Es ist ganz normal, dass einen schlimme Bilder und extrem aufwühlende Situationen nach dem Einsatz noch eine ganze Zeit verfolgen. Wenn das aber länger als vier Wochen dauert, sollte man sich selbst Hilfe holen. Hier bietet auch der BRK-Kreisverband Unterstützung an, sofern das notwendig würde.

Mit wie vielen Helfern waren Sie in Rheinland-Pfalz im Einsatz?

Gemeinsam mit rund 180 PSNV-Kräften aus ganz Deutschland. Wir waren am Nürburgring stationiert, hier war auch unsere Einsatzleitung. Von dort aus erhielten wir unsere Aufträge im gesamten Ahrtal. Die Abkürzung steht für Psychosoziale Notfallversorgung. Das ist, kurz gesagt, nichts anderes als psychische Erste Hilfe.

Richtet sich diese Hilfe an Betroffene oder Helfer und wie wird man ehrenamtlicher PSNV-Helfer?

An beide. Man unterscheidet PSNV(B) für Betroffene und PSNV(E) für Einsatzkräfte. Dabei gibt es für beides jeweils eines Ausbildungsschienen. An die Grundausbildung schließen sich mehrere Wochen Fachausbildung an.

Kerstin, wie sind Sie mit den Betroffenen im Ahrtal in Kontakt gekommen?

Kerstin Skaberna: Unterschiedlich, wir hatten verschiedene Aufträge. Einer davon war die Erkundung, beispielsweise in Harscheid, das Nachbardorf des stark betroffenen Ortes Schuld. Dort sind wir einfach durch das Dorf gelaufen und haben Menschen angesprochen, ob sie jemanden kennen, der eventuell Familienangehörige oder Bekannte bei der Katastrophe verloren hat und der psychische Hilfe braucht. So haben wir Hinweise bekommen.

Wie waren die Reaktionen der Bewohner, sind sie auch direkt auf Sie zugekommen?

Die Menschen in Harscheid waren erst mal verwundert, dass sich PSNV-Kräfte um sie kümmern wollen, sie kannten das gar nicht. Aber sie waren sehr dankbar. In einem Gemeindehaus gab es einen Sammelpunkt für Betroffene. Da sind wir hin, konnten mit Bewohnern ins Gespräch kommen und sehr gute Hilfe leisten.

Sie hatten auch Kontakt zu Betreuern der Lebenshilfe, in deren Unterkunft zwölf Menschen ertrunken sind...

Ja, das war am zweiten Tag. Da sind wir nach Sinzig alarmiert worden, die Anforderung kam von einer Mitarbeiterin der Einrichtung. Das war für mich ein sehr bewegender Einsatz. Als wir ankamen, ist die Frau, die uns angefordert hat, in Tränen ausgebrochen und ist zusammengesackt. Sie war am Ende ihrer Kräfte und hat sich über unsere Hilfe sehr gefreut und sich bedankt, dass wir da sind. Der Tod der zwölf Lebenshilfe-Bewohner hat die Mitarbeiter in tiefer Trauer hilflos zurückgelassen.

Manche Menschen im Ahrtal haben durch das Hochwasser Angehörige, Freunde oder Nachbarn verloren, andere ihr gesamtes Hab und Gut. Was belastet die Menschen im Katastrophengebiet besonders, was geht in ihnen vor?

Es herrschte das reine Chaos. Jeder versucht sich zu sortieren und zu engagieren. Die Menschen helfen sich gegenseitig, sind aber extrem hilflos. Sie machen irgendetwas, damit sie überhaupt etwas tun. Da zeigt sich die gesamte Verzweiflung in ihrem Tun. Sie haben teilweise schlimmste Bilder gesehen. Ihr Handeln hängt natürlich auch davon ab, wie stark sie selbst betroffen sind: Manche haben zugesehen, wie ihr Vater weggeschwemmt wurde und konnten ihm nicht mehr helfen. Andere haben durch die Fluten ihr Haus verloren. Tod oder der Verlust seines Zuhauses – das alles ist emotional extrem belastend.

Wie können Sie als PSNV-Team den Menschen in so einem Moment überhaupt helfen, ist das nicht furchtbar schwer?

Ganz wichtig ist, dass man mit den Leuten ins Gespräch kommt. Wir haben uns vorgestellt, haben gesagt, dass wir aus Bayern gekommen sind, um zu helfen und wir haben ihnen Zeit zum Zuhören geschenkt. Für die Leute war es wichtig, dass sie als Menschen gesehen werden, die dringend Hilfe benötigen. Wir konnten zwar nicht Dreck und Schlamm mit wegschaufeln, auch wenn man das bei dem Anblick am liebsten gemacht hätte… Wir haben angeboten, uns Zeit für sie zu nehmen, sich gemeinsam an einem ruhigeren Plätzchen zurück zu ziehen und miteinander zu reden. Das haben viele in Anspruch genommen, das hat ihnen sichtlich gutgetan. Und immer wieder war da eine enorme Dankbarkeit uns gegenüber zu spüren.

Es gibt im Katastrophengebiet betroffene Einwohner und betroffene Helfer. Worin unterscheiden sich deren seelische Belastungen?

Emotional stecken die Menschen vor Ort, die Angehörige oder Hab und Gut verloren haben, natürlich viel tiefer in der Situation. Aber auch die Helfer sind belastet, und da gab es zum Teil ganz simple Fragen an uns. Wir haben eine Studentengruppe kennengelernt, die privat ins Krisengebiet gereist ist und ihre Hilfe angeboten hat. Die haben uns gefragt, ob wir Zigaretten und Kaugummis dabeihaben. Auch da konnten wir helfen mit einem offenen Ohr und mit Kaugummis und Bonbons. So was hat ein PSNV-ler eben auch dabei, darüber waren die ganz erstaunt.

Die PSNV muss das Einsatzgebiet nach wenigen Tagen wieder verlassen. Wer hilft den Menschen danach, wenn ihre Seele weiterhin leidet?

Da hatten wir gute Informationen vom Land Rheinland-Pfalz bekommen. Auf einem Infoblatt waren wichtige Ansprechpartner wie Apotheken und Ärzte mit Telefonnummern aufgeführt. Und eben auch eine Kontaktnummer zur PSNV und Notfallseelsorge. Es wird natürlich auch in den nächsten Wochen und Monaten notwendig sein, dass die Betroffenen hier Ansprechpartner haben.

Welche Eindrücke und Bilder haben Sie ganz persönlich als Einsatzkraft für sich mit nach Hause genommen?

Ich war schon 2002 beim Hochwasser in Dresden im Einsatz. Da hat man auch bedrückende Erlebnisse mit nach Hause genommen. Dennoch kann man das mit der Situation jetzt in Rheinland-Pfalz nicht vergleichen, dieses Mal war es um ein Vielfaches schlimmer. Man muss auf seine eigene Psycho-Hygiene achten, da geht jeder anders damit um. Man sollte zum Beispiel etwas machen, was einem guttut, wenn man aus dem Einsatz zurückkommt.

Was haben Sie sich Gutes getan als Allererstes?

Ich habe meine Einsatzkleidung ausgezogen, die war voller Dreck und Schlamm, habe mir das Erlebte sozusagen also erst mal abgestreift. Dann haben mein Mann und ich mit unseren Hunden geknuddelt. Wir haben einfach durchgeatmet und waren froh, wieder gesund zuhause zu sein.

Hans-Peter, Sie waren mit Kerstin und Sven gemeinsam im PSNV-Einsatz. Welche Eindrücke haben Sie persönlich bewegt?

Hans-Peter Bendner: Mich hat erschüttert, wie extrem schwierig die Lage für die Betroffenen ist, die in dem Katastrophengebiet wohnen, aber ebenso die Situation für die Helfer.

Was hat Sie am meisten emotional berührt?

Menschen zu sehen, die vor ihrem völlig zerstörten Haus stehen und irgendetwas machen, was in dem Moment total sinnlos ist. Da hat beispielsweise ein Mann in seiner komplett zerstörten Autowerkstatt eine vom Schlamm zerstörte Bohrmaschine sauber gemacht. Aber die war kaputt und nicht mehr zu retten, er hätte sie einfach wegwerfen müssen.

Sind das Taten der Verzweiflung?

Absolut. Die Menschen wollen irgendwas machen, auch wenn es noch so sinnlos ist. Dort muss alles entsorgt werden. Und es fehlt am Allernötigsten. Es gibt kein Trinkwasser, keine Toiletten, die Menschen müssen sehen, wo sie etwas zu essen herbekommen. Das ist sehr schlimm, ich möchte so etwas selbst nicht erleben.

Fühlen sich die Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW, Polizei, Bundeswehr, des Roten Kreuzes und den anderen Hilfsorganisationen angesichts der massiven Zerstörungen und des Leids nicht selbst hilflos und verzweifelt?

Viele sind mir vorgekommen, als wären sie ferngesteuert. Sie wollen einfach helfen, wollen anpacken, ganz direkte Hilfe leisten, für die Betroffenen da sein. Und alle haben persönlich nur ganz begrenzte Möglichkeiten dazu. Das belastet.

Wie können Einsatzkräfte das Erlebte, Bilder, Eindrücke und Gerüche selbst verarbeiten?

Man sollte viel über das Erlebte reden - mit Kollegen, Familienangehörigen und Freunden. Am besten jeden Tag, eine ganze Zeit lang. Das mache ich selbst so. Ich spreche mit meiner Frau und meinen Kindern darüber, was ich gesehen und erlebt habe. Das tut gut und hilft mir.

Wie lange kann so ein Verarbeitungsprozess für den einzelnen Helfer dauern?

Das ist unterschiedlich. Im Normalfall dauert das zwischen einer Woche und vier Wochen. Manche Helfer sind aber intensiver belastet und tragen das Erlebte länger mit sich herum und können es nicht verarbeiten. Wer diese Erlebnisse nicht verarbeiten kann und bei dem sie noch nach mehreren Wochen präsent sind und den Alltag beeinflussen, der braucht professionelle Hilfe und kann sich ans Team der PSNV wenden. Wenn auch das nicht hilft, sollte man Unterstützung von Psychologen oder Psychiatern in Anspruch nehmen.

Die Nachsorge spielt für Einsatzkräfte eine wichtige Rolle. Sind Sie als PSNV-Team nach dem akuten Einsatzgeschehen also auch zuhause noch Ansprechpartner für Helferinnen und Helfer?

Wenn jemand auf mich zukommt und ein Gespräch oder Hilfe benötigt, würde ich das natürlich machen. Jederzeit und sehr gerne, das ist selbstverständlich.

Wie kann der BRK-Kreisverband Haßberge seine haupt- und ehrenamtlichen Helfer in solchen Fällen unterstützen?

Das Rote Kreuz hält speziell für Einsatzkräfte eine 24-Stunden-Rufbereitschaft der PSNV vor – auch das ganze Jahr über, wenn jemand zum Beispiel im Rettungsdienst einen dramatischen Einsatz hatte und seelische Hilfe benötigt. Der kann dann eine Telefonnummer anrufen und ist direkt mit einem unserer diensthabenden PSNV-Mitarbeiter verbunden. Die Telefonnummer sollten alle Einsatzkräfte kennen; wer sie nicht weiß, kann sie sich von seinem Abteilungsleiter für den Fall der Fälle geben lassen oder einen Kollegen danach fragen.

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