Buchvorstellung Coburg liest, Neustadt lauscht mit

Peter Tischer
Lisa Quentin las aus ihrem Erstlingswerk „Ein völlig anderes Leben“ einige Passagen und stellte sich danach der Diskussion. Foto: /Tischer

Die Veranstaltungsreihe ging erstmals auf Tour: Man war in der kultur.werk.stadt zu Gast. Lisa Quentin stellte dort ihren Roman „Ein ­völlig anderes Leben“ vor.

 
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Eigentlich waren es gleich zwei Buchvorstellungen, die die kultur.werk.stadt in Neustadt füllten und die 19. Literaturtage erstmals über die Coburger Stadtgrenzen führten. Zum Thema Zwangsadoptionen in der DDR hatten sich gleich zwei Autorinnen eingefunden. Zum einen gab Lisa Quentin mit „Ein völlig anderes Leben“ ihr literarisches Debüt, zum anderen bereicherte Katrin Behr die Lesung. Sie war als Zeitzeugin und selbst Betroffene vor Ort und wies auf ihr Werk „Entrissen – Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“ hin.

„Coburg liest und Neustadt liest mit“, begrüßte Oliver Heß, Mitorganisator von „Coburg liest!“, den „perfekten Veranstaltungsort, nur wenige Meter von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt.“ Die Geschichte von Lisa Quentin sei zwar Fiktion, das Thema leider nicht, machte er die Bühne frei für die aus Wiesenfeld stammende Autorin. Mutig hatte sich Quentin bei ihrem ersten Roman gleich an dieses Thema gewagt, „wobei der Schreibprozess sehr lang dauerte“. Heß lobte die bildhafte Sprache, die bereits im Prolog „Möge meine Tochter glücklich sein“ zum Tragen kam.

Drei Frauen

Die Geschichte dreht sich um drei Frauen: Jule, ihrer Adoptivmutter Anke und ihre leibliche Mutter Eva. Die Autorin zeichnet die Lebenswege der drei Frauen nach und zeigt, wie das repressive System der DDR das Leben ihrer Figuren beeinflusste. Quentin wollte so viel wie möglich über das Leben im anderen deutschen Staat erfahren. Dafür interviewte sie Zeitzeugen, führte Gespräche mit Historikern, tauschte sich mit Journalisten aus und besuchte das Stasi-Gefängnis in Rostock. Zudem ließ sie ihren Roman nach Fertigstellung einem Faktencheck unterziehen, und zwar von zwei Frauen, die aus verschiedenen Generationen stammen und in der DDR lebten. „Weder in der Schule noch im Studium hat die Auseinandersetzung mit der DDR jemals eine große Rolle gespielt“, blickte sie zurück und begründete: „Ich wollte dieses Buch unbedingt schreiben, ich habe immer daran geglaubt.“

Düsteres Kapitel

So entstand schließlich dieser viel beachtete Roman, der sich mit dem düsteren und kaum aufgearbeiteten Kapitel der Zwangsadoptionen in der DDR-Geschichte beschäftigt. Wenngleich Lisa Quentins Roman im Fokus der Literaturtage stand, so zogen doch auch Katrin Behrs Ausführungen als Zeitzeugin und selbst Betroffene einer Zwangsadoption die Zuhörer in ihren Bann. Auf ihr Sachbuch „Entrissen – Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“, bereits 2014 veröffentlicht, stieß auch im Netz auf großes Interesse. Nicht systemkonform, so beschreibt Behr die Mütter, deren Kinder weggenommen wurden und die an Adoptionsfamilien gegeben wurden. Als sie vier Jahre war, wurden sie und ihr Bruder von ihrer Mutter getrennt. „Erst mit Anfang 20 habe ich meine Mutter wiedergesehen.“ Sie schrieb das Buch, weil „Journalisten immer nur nach den Müttern fragten, nie was den Kindern widerfuhr.“ Sie wisse nicht, ob alle Wunden heilen, „denn die Traumata werden weitergegeben“.

Behr wurde 1967 in Gera geboren und lebt heute in Berlin. 2007 gründete sie den Verein „OvZ-DDR - Hilfe für die Opfer von DDR-Zwangsadoptionen“. Seit 2010 arbeitet sie bei dem Dachverband der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft als hauptamtliche Beraterin für den Fachbereich DDR-Zwangsadoptionen. Ihre Bilanz: „Ein politisches System kann alles machen, um eine Familie zu zerstören.“ Mittlerweile wurde ein Forschungsprojekt begonnen, das diese Thematik aufarbeiten soll.

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