Chaos in der Pandemie Verwundert über deutsche Planlosigkeit

Sabine Weinbeer
Dr. Ute Schreiner erholt sich gerne in der Natur. Foto: /Weinbeer

Ute Schreiner ist Ärztin und lebt eigentlich auf Mallorca. Als die Einreisen dorthin gestoppt wurden, kam sie aus Deutschland nicht mehr weg. Nun hilft sie hier, wo sie gebraucht wird. Und berichtet von ihren Erfahrungen mit dem Virus.

 
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Oberaurach - Dr. Ute Schreiner praktizierte lange Jahre als Hausärztin in Unterschleichach, seit 2010 lebt sie auf Mallorca und arbeitet mehrere Monate im Jahr als Vertretungsärztin in Bayern. Über Ostern impfte sie im Impfzentrum Zeil und traf dabei einige ehemalige Patienten wieder – für die Neue Presse Anlass für ein Gespräch mit der Medizinerin, da das Thema Mallorca in den vergangenen Wochen für reichlich Zündstoff und erhitzte Debatten gesorgt hat.

Eigentlich wollte Ute Schreiner auf Mallorca Teilzeit in einem Krankenhaus arbeiten. „Das gestaltete sich aber etwas anders, als erwartet“, erzählt sie. Für ein öffentliches Krankenhaus genügt es nämlich nicht, Spanisch zu sprechen, auch Mallorcin ist gefordert. Und im privaten Krankenhaus passten ihre Philosophie und die Maxime des Geldverdienens nicht zusammen.

Und so hatte sie gerade keine beruflichen Verpflichtungen, als ein Kollege aus Unterhaching ihr erzählte, er brauche für drei Monate eine Vertretung. Weil fast alle Kollegen in dieser Gemeinschaftspraxis schulpflichtige Kinder haben, arbeitet sie seitdem „eigentlich in allen bayerischen Ferien“ dort. Von da wollte sie im März 2020 wieder zurückfliegen – und plötzlich durften nur noch spanische Staatsbürger in Spanien einreisen. Ihr Status als Resident genügte nicht. Sie musste also erst mal bleiben. Doch sie hatte Glück, die Kassenärztliche Vereinigung suchte Ärzte für Bereitschaftspraxen – „und seitdem bin ich im Pool“. Und über diesen Pool landete sie auch im Impfzentrum in Zeil.

Als sie 2020 im März in Deutschland landete, gab es auf Mallorca „höchstens drei Covid-Fälle und ich wunderte mich schon über die Ansage der Stewardess, die uns ein gesundes Wiedersehen wünschte“, erinnert sie sich. Gewundert hat sich Ute Schreiner seitdem häufiger bei ihren Aufenthalten in Deutschland, vor allem über die ständig wechselnden Vorschriften und den teilweise laxen Umgang damit.

Wie hat es Mallorca geschafft, eine Inzidenz von unter 50 zu erreichen? „Naja, eine Insel ist natürlich besser abzuschotten“, erklärt sie. Aber auch auf der abgeschotteten Insel galten lange sehr strenge Regeln, „und die hat die Polizei auch massiv auf Einhaltung überprüft. Das hat mich am meisten überrascht bei meinen Aufenthalten hier. Wenn auf Mallorca einer die Maske unter der Nase trägt, dann wird er darauf angesprochen.“

Über viele Monate galt eine strenge Ausgangssperre und die Maskenpflicht, sobald man das Haus verlässt, ist eingeübte Routine. „Auch mit Maske weichen sich die Leute auf dem Gehsteig aus“, erklärt die Medizinerin. Die Akzeptanz sei hoch gewesen, trotz viel geringerer sozialer Absicherung gegenüber Deutschland. Erst jetzt werde in Spanien so etwas wie Grundsicherung oder Sozialhilfe auf ganz niedrigem Niveau eingeführt.

Inzwischen gibt es auch Lockerungen, etwa im Handel oder für die Außengastronomie, „aber eben gerade nicht zu Ostern – zu den Feiertagen hatten wir eher strengere Regeln als sonst“. Intensiv sei überprüft worden, welche Regel sinnvoll ist und welche nicht. „Das hat sicher auch zur Akzeptanz beigetragen, während ich das Gefühl habe, die Regeln in Deutschland treiben die Leute eher quasi in die Illegalität, also zu internen Treffen.“

Dabei sei sehr deutlich, dass gerade diese die Ansteckungsgefahr hochtreiben – auf Mallorca wie in Deutschland. Dabei sei auch das Verhalten am Arbeitsplatz zu hinterfragen. Vor einigen Wochen gab es in Unterhaching eine ganze Belegschaft, die sich angesteckt hatte. „Den ganzen Tag saßen die einzeln an ihren Schreibtischen und in der Rauchpause haben sie sich infiziert“, beschreibt Schreiner. Solches Verhalten führt die Medizinerin auf „eine grottenschlechte Kommunikation“ zum Thema Covid in Deutschland zurück. Und „das, was da bisher nicht rübergebracht wurde“, sei auch schlecht nachzuholen. „Da gibt es zum Beispiel die Erkenntnisse der Aerosolforscher, die viel stärker in die Verhaltensregeln einfließen müssten. Und diese Erkenntnisse können den Leuten auch gut verständlich vermittelt werden“, findet die Medizinerin.

Das Fazit dieser Forschungen ist, dass im Freien bis auf wenige Ausnahmen eigentlich vieles möglich sei, ohne sich anzustecken, erklärt Schreiner. In der Praxis treffe sie auf viele Patienten die „subdepressiv“ sind. „Die einen langweilen sich in Kurzarbeit zu Tode, die anderen kennen im Homeoffice keine Grenzen mehr und arbeiten rund um die Uhr“, erzählt sie. Fast alle hätten Verständnis für die Maßnahmen der Regierung und dass deren Entscheidungen nicht einfach zu fassen seien. „Aber mittlerweile wäre ein Plan schön, auch was die Rolle der Arztpraxen betrifft“, wünscht sie sich und lobt den klaren Kurs der mallorquinischen Ministerpräsidentin Francina Armencol.

Diese sei auch auf Konfrontationskurs zum spanischen Präsidenten Sanchez gegangen und ihr Weg habe sich als richtig erwiesen: „Wir hatten strenge Regeln den ganzen Winter über, aber seit September durchgängig Präsenzunterricht, weil Hotels und sogar Bahnhöfe als Schulsäle genutzt wurden.“ Die Klassen seien zudem geteilt worden. „Einen Tag war der Lehrer live in der einen Klasse und die andere hatte eine Liveübertragung, am nächsten Tag wurde gewechselt“, erzählt Ute Schreiner. Alle zwei Wochen würden Schnelltests an den Schulen durchgeführt, der Schulbeginn getaktet, sodass nicht alle Kinder gleichzeitig kommen.

Und wie ist das mit dem Mallorca-Urlaub? „Was sollte dagegen sprechen?“, so Ute Schreiners persönliche Meinung. „Die Regeln, die zu den niedrigen Inzidenzen geführt haben, gelten nach wie vor“. Auf die Insel komme nur, wer einen negativen PCR-Test vorweisen könne, „und viele Menschen, vor allem in den Städten, sind so frustriert, dass sie einfach mal raus wollen aus den vier Wänden“.

Schreiner nimmt die Mallorca-Urlauber auch ein Stück weit in Schutz. „Die meisten, die zu uns kommen, sind doch nicht die Ballermann-Touristen, sondern die wollen ein bisschen schöneres Wetter als daheim, wandern und ein wenig am Strand liegen“. Sie spricht hier auch aus einer anderen Perspektive, wie sie erklärt, denn Schreiner selbst ist Vermieterin eines Ferienappartements. Ein bisschen raus, das gehe auf Mallorca auch, wenn Maskenpflicht auf der Straße herrsche, wenn Gastronomie und Hotelbar um 17 Uhr schließen – „und zwei Stunden Flug mit Maske, das ist auch auszuhalten“.

Und ihre Meinung zur Impfung? „Auch hier ist wieder die Kommunikation das Problem“, sagt Ute Schreiner, „wer halbwegs weiß, wie ein Impfstoff funktioniert, der will auch geimpft werden. Es ist nun mal die einzige Lösung, an einer Infektion halbwegs vorbeizukommen.“ Nebenwirkungen gebe es bei jedem Impfstoff wie bei jedem Medikament und immer seien die Vorteile gegenüber den Risiken abzuwägen. „Covid verursacht auch Thrombosen“, so Schreiner, und „die Nebenwirkungen der Impfung sind ja auch im Blick der Mediziner.“ Im Juni wird Ute Schreiner wieder einen Einsatz im Impfzentrum in Zeil. Was sie sich bis dahin wünscht: „Ein Plan wäre schön“, wiederholt sie.

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