Coburg Bedingungslose Liebe

Weiter, immer weiter: HSC-Trainer und Sportlicher Leiter Jan Gorr in seinem Element. Foto: Henning Rosenbusch

Jan Gorr ist mit Leib und Seele Handball-Trainer. Beim HSC 2000 arbeitet er zudem als Sportlicher Leiter.

 
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Coburg - Es sind nur 15 Worte. Doch die Signalwirkung ist groß. "Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche." Mit diesem Satz lässt sich Heiner Bültmann Anfang August auf der Vereinshomepage seines Klubs, der HSG Nordhorn-Lingen, zitieren. Der Handball-Trainer des Bundesliga-Aufsteigers muss kürzer treten, Abstand gewinnen. Die Rede ist von einem "Erschöpfungssyndrom".

Auch Jan Gorr machen die Worte des beliebten Übungsleiters betroffen. Bültmann war gerade von Trainerkollegen und Managern der 2. Liga zum besten Trainer der abgelaufenen Saison gewählt worden. "Ich war total überrascht. Man macht sich natürlich Sorgen", sagt der 41-jährige Coach des HSC 2000 Coburg, der - wie Bültmann - sowohl Traineramt als auch Sportliche Leitung in Personalunion übernimmt.

Es ist sommerlich warm an diesem Freitagmittag. Jan Gorr trägt ein graues Polo-Shirt, dazu hellblaue Shorts und Sneakers, als er in einem Coburger Café über sein Arbeitspensum spricht. "Es gibt natürlich immer mal Phasen über das Jahr verteilt, in denen man merkt, dass die Beanspruchung sehr groß ist", erklärt er, "und man vielleicht in manchen Situationen überreizt reagiert." Mit Bültmann hatte er zuletzt im Zuge des Wechsels von Anton Prakapenia telefoniert. Von der Auszeit habe Gorr dann auch erst "aus den Medien erfahren", berichtet er, während er Kaffee und Cola bestellt. Der gebürtige Hesse macht es sich auf der Sitzbank bequem und legt den linken Arm lässig auf die Lehne. Am rechten trägt er ein Sport-Tape, das vom Ellbogen fast bis ans Handgelenk reicht. "Etwas überanstrengt. Ich habe in der freien Zeit wieder etwas mehr Sport gemacht", sagt er. Während der Saison bleibe dazu nicht allzu viel Zeit.

Doch wie genau verbringt Jan Gorr seine Tage als Trainer und Sportlicher Leiter eines Profi-Handballvereins? Der 41-Jährige nimmt zur Erklärung die Zeit seit dem erfolgreichen Auftakt in die neue Saison am vergangenen Samstag gegen Emsdetten her. "Am Sonntag war frei. Ich habe mir dann unser Spiel nochmal angeschaut und für mich eine kurze Videoanalyse gemacht." Danach verfolgt er die Erstliga-Partie Leipzig gegen Berlin über seinen Laptop, auch auf die Zweitliga-Begegnung Bietigheim gegen Hamm wirft er einen kurzen Blick. Aber nur zehn Minuten, wie er sagt.

Der Tagesablauf

Am Abend macht er sich einen Überblick über die neue Woche. Wann kommen die Physios zum Einsatz, wann der Athletiktrainer? "Dann ist der Sonntag auch schon vorbei", betont er und nippt an seiner Cola. Wirklich Zeit für sich nimmt sich der HSC-Übungsleiter erst am Montagabend. Vorher stehen jede Menge Termine auf seiner Agenda. Morgens Bürotätigkeiten, am Vormittag Training, am Nachmittag Besprechung mit Athletik-Coach Philipp Barsties, danach wieder Training. "So gegen 21 Uhr war ich zu Hause. Da habe ich mir dann mal Zeit genommen, um mal in Ruhe zu essen oder privat zu telefonieren."

Für Jan Gorr sind solche Arbeitsumfänge nicht ungewöhnlich, das wird im Gespräch sofort klar. Er lebt für den Handball, Gorr liebt es, sich damit zu befassen. Wirkliche Auszeiten gänzlich ohne Handball gebe es kaum. "Therme ist für mich eine ganz gute Möglichkeit, mal auszuspannen. Da habe ich mein Handy dann natürlich nicht dabei", sagt er, ohne sich ein breites Grinsen nicht verkneifen zu können. In der Regel sei er allerdings nicht ohne Mobiltelefon unterwegs. "Ich bin eigentlich immer erreichbar für meine Spieler, falls etwas sein sollte. Das finde ich wichtig." Gibt es einen Punkt, an dem der Arbeitsumfang zu viel wird? Ein Punkt, an dem es schwerfällt, sich aufs Neue zu motivieren? Gorrs klare sowie knappe Antwort: "Nein."

Mit 16 Jahren übernimmt er eine Jugend-Mannschaft in seiner hessischen Heimat, spielt parallel noch selbst. In Gießen beginnt er später ein Lehramts-Studium für das Gymnasium. Biologie, Mathe, Sport, vor dem Referendariat ist Schluss. "Ich hatte die Chance als Profitrainer in Hüttenberg zu arbeiten. Diese Chance wollte ich nutzen. Ich habe mir gesagt, das probiere ich jetzt", erinnert er sich an die Grundsatz-Entscheidung seines Lebens. Lehrer könne er später immer noch werden, dachte er sich. "Ich habe die Entscheidung nicht bereut."

Mit 26 Jahren heuert er in Hüttenberg als Coach an, seitdem "ist das ein Full-Time-Job für mich". Nunmehr 15 Jahre sind vergangen, Spieler, Betreuer, Verantwortliche kamen und gingen, das Wichtigste hat Gorr sich jedoch bewahrt: die Begeisterung für den Sport, für seinen Sport.

Gorr ohne Handball scheint undenkbar zu sein. Auch wenn es Rückschläge gibt, die ihm zu schaffen machen. Der 41-Jährige spricht selbst von einer "krassen Zeit" und von der "schlimmsten Erfahrung für mich in diesem Bereich", wenn er an die Zeit zurückdenkt, als er beinahe Trainer in Gummersbach geworden wäre.

Der Schockmoment

Rückblick: Im Jahr 2012 entscheidet sich Jan Gorr für den nächsten Karriereschritt. Nach sieben Jahren in Hüttenberg ist es an der Zeit, den Schritt "in den absoluten Profibereich" zu gehen. Er unterschreibt einen Vertrag in Gummersbach zur Saison 2012/13, sucht sich eine Wohnung, arbeitet am Kader für die Saison. Alles scheint perfekt. Doch der Schein trügt. Vor seinem offiziellen Amtsantritt entscheiden sich die Gummersbacher Verantwortlichen, doch an Emir Kurtagic festzuhalten. Für Jan Gorr ein Schock. "Ich hatte ja schon einen Vertrag dort."

Kurze Zeit nach der Vertragsauflösung verpflichtet der HSC 2000 den Hessen als neuen Cheftrainer zur Saison 2013/14. "Ich hatte ein Jahr als Übergang. Das war schwierig für mich, da ich das überhaupt nicht kannte." Schließlich ist er es gewohnt, dem Handballsport vieles unterzuordnen.

Der Videoanalyst

In Coburg arbeitet er als Coach sowie Sportlicher Leiter. "Ich glaube, dass mich die Traineraufgabe nicht voll auslasten würde." Gorr hat unter anderem die Leitung einer Trainingseinheit Athletik-Coach Barsties übertragen. Diese Zeit nutzt der Chefcoach für die Videoanalyse. "Ich schaue fünf, sechs Spiele des jeweiligen Gegners. Dazu kommen eigene Partien. Dafür geht in Summe viel Zeit drauf", erläutert er und spricht über die Videosequenzen, die er für seine Spieler selbst zusammenschneidet.

Bis Donnerstagabend muss das Video bei Samstags-Spielen in der Regel fertig sein - für die dann anstehende Team-Besprechung. Gorr zieht aus seiner schwarzen Sporttasche, die er ins Café mitbringt, seinen Laptop hervor und zeigt, wie er einzelne Szenen in die Präsentation für seine Spieler einfügt. Alles geht schnell, in wenigen Handgriffen ist ein kurzer Ausschnitt einer Partie des kommenden Gegners Aue verarbeitet. Jan Gorr kann nicht einschätzen, wie viele Stunden Arbeit am Ende einer Woche zusammenkommen, die Übergänge zwischen Freizeit und Arbeitszeit seien fließend. So wie am Sonntag, als er das Erstliga-Spiel der Leipziger gegen Berlin verfolgt und möglicherweise das eine oder andere Detail für das eigene Spiel entdeckt.

Hat Gorr nicht Sorge, dass er sich eines Tages übernimmt? "Das weiß man ja nie. Das kann ich mir aber schwer vorstellen. Dazu liebe ich das, was ich mache, einfach zu sehr", macht er deutlich und gönnt sich anschließend einen Schluck Kaffee. "Ich finde es gerade im Profisport sehr wichtig, sich nicht von den Extremen treiben zu lassen. Weder wenn es sehr gut läuft, noch wenn es Phasen gibt, in denen nicht viel zusammengeht." Das helfe ihm, wie er sagt. Scheint zu stimmen, Gorr wirkt sehr gelassen, dabei klar und fokussiert in seinen Aussagen.

Am Sonntag reist der HSC zum Auswärtsspiel nach Aue, Abfahrt ist um 12.30 Uhr. Gegen Ende des Gesprächs im Café kommt Spielmacher Tobias Varvne an den Tisch, ein paar Minuten später Rückraumspieler Pontus Zetterman. "Wir wollen noch ein paar Szenen am Laptop schauen", klärt Jan Gorr auf und bittet seine Spieler, Platz zu nehmen. Es gibt keine Zeit zu verlieren. Schließlich ist für 16.30 Uhr die Team-Videoanalyse angesetzt, für 17 Uhr die nächste Trainingseinheit.

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