Coburg Neues Wohnprojekt eingeweiht

Für junge Menschen mit Beeinträchtigungen ist eine neue Wohnanlage eröffnet worden

 
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Coburg - So eigenständig wie möglich wohnen – mit so viel Hilfe wie nötig: Für 24 junge Menschen mit Handicap ist dieser Wunsch nun in Erfüllung gegangen. Nach siebenjähriger Entstehungszeit wurde kürzlich auf der Bertelsdorfer Höhe die neue Wohnanlage des Vereins „Neues Wohnen Coburg – Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Handicap“ eingeweiht. Die ersten Mieter werden ab dieser Woche einziehen – einen Monat früher als geplant.

Mit großer Freude empfing Gisela Raab von der Baugesellschaft Raab die zahlreichen Besucher zur Einweihung des Neubaus: „Wir haben alle anstrengende Zeiten hinter uns, aber die Mühen der letzten sieben Jahre haben sich gelohnt.“ Das Interesse am neuen Wohnprojekt war so groß, dass die Eröffnungsfeier live in einen zweiten Gemeinschaftsraum übertragen wurde, um alle Corona-Regeln einzuhalten. Auch die künftigen Bewohner besichtigten ihre neue Bleibe. An personalisierten Türschildern konnten die Besucher sehen, wer künftig in welchem Zimmer wohnen wird. In 18 Monaten Bauzeit entstand auf dem 3300 Quadratmeter großen Grundstück eine moderne und offen gestaltete Wohnanlage mit einem Gesamtmietraum von gut 1800 Quadratmetern. Die Einrichtung ist auf die Bedürfnisse der Bewohner abgestimmt. Sie bietet auf zwei Etagen 24 barrierefreie Wohneinheiten mit Bad und Küchenzeile, Gemeinschafts- und Versorgungsräumen sowie einem großen Gemeinschaftsraum mit Sanitärräumen im Untergeschoss – Vesteblick und Terrasse inklusive. Im dritten Obergeschoss wurde eine Physio-, Logo- und Ergotherapiepraxis eingerichtet. Außerdem wurden auf 238 Quadratmetern vier kleine Wohnungen zur freien Vermietung geschaffen, die dem gemeinschaftlichen Leben und der sozialen Inklusion dienen sollen.

Leuchtturmprojekt der Region

Der Verein „Neues Wohnen Coburg – Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Handicap“ wurde 2019 von einer Elterninitiative gegründet. Vorangegangen war eine fast siebenjährige intensive Informationssammlung und Auslotung zur Realisierung eines Wohnprojekts für Eltern von körperlich und geistig beeinträchtigten Kindern. „Als wir damals in ersten Sondierungsgesprächen über den Vorschlag der Elterninitiative diskutiert haben, bestand eine gewisse Skepsis bezüglich der Umsetzung und Finanzierbarkeit einer neuen Wohnanlage. Heute können wir mit großer Freude sagen: Trotz der Hindernisse hat alles geklappt. Das Projekt passt in die soziale Landschaft Coburgs und ist ein zukunftsweisendes Leuchtturmprojekt“, sagte Bürgermeister Thomas Nowak bei der Eröffnung.

Die Gesamtkosten der Wohnanlage betragen fünf Millionen Euro. „Die geplanten Baukosten konnten um acht bis zehn Prozent unterschritten werden. Auch die vorgesehene Bauzeit wurde trotz Corona-Pandemie und Materialengpässen eingehalten“, erklärte Raab. Für die Bauarbeiten wurden Darlehensverträge im Rahmen des Wohnungsbaupaketes Bayern in Höhe von knapp 2,8 Millionen Euro mit 25-jähriger Bindungsdauer und einem Zuschuss von 360 900 Euro abgeschlossen. „Für ein Projekt dieser Größe sind die Baukosten recht niedrig. Wir haben günstig, aber nicht billig gebaut“, schilderte Architekt Andreas Bär. Der Standort zwischen der Schule am Hofgarten und der ASB-Seniorenresidenz ermögliche „gute Synergien“, lobte der oberfränkische Regierungsvizepräsident Thomas Engel. Er sprach von einem bislang einzigartigen Wohnprojekt in dieser Form im oberfränkischen Raum.

5000 Euro Kostenbeteiligung

Für die Ausstattung musste der Verein die Kosten in Höhe von 250 000 Euro selbst tragen. Daher wird jeder Mieter eine Kostenbeteiligung in Höhe von 5000 Euro leisten. Die restlichen Gelder wurden dank großen sozialen Engagements innerhalb der Vestestadt zusammengetragen. Da das Gebäude über den sozialen Wohnungsbau gefördert wird, brauchen die Mieter einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Die Miete für die Appartements und Wohnungen liegt zwischen neun und zehn Euro pro Quadratmeter.

Die neue Anlage ist nicht als Wohnheim gedacht, sondern soll den jungen Bewohnern ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Für die Pflege und Betreuung steht rund um die Uhr festes Personal bereit. „Wir als Eltern und Angehörige wünschen uns eine dauerhafte Wohnform für unsere Kinder“, sagte Stefan Lehnert, Vorsitzender des Vereins „Neues Wohnen“. „Junge Menschen wollen und sollen in ihren eigenen vier Wänden wohnen und ein aktives Leben führen.“ Die Eltern waren seit vielen Jahren auf der Suche nach einer angemessenen Wohn- und Lebensform ihrer Kinder: „Aufgrund der schweren, meist mehrfachen Behinderungen sind unsere Kinder eine Zielgruppe, für die es bisher kein adäquates Wohnangebot im gesamten nordbayerischen Raum gibt“, erklärt der Verein „Neues Wohnen Coburg“ auf seiner Homepage. Bisher lebten sie so lange wie möglich bei den Eltern. Wenn diese die Pflege nicht mehr stemmen könnten, würden sie in Altenheimen untergebracht, weil normale Wohnheime oder Wohngemeinschaften aufgrund der Komplexität der Behinderungen mit der Betreuung meist überfordert seien.

Allen an der Realisierung beteiligten Helfern war neben Freude auch große Erleichterung anzumerken. Schließlich hatte das Projekt lange auf der Kippe gestanden – wegen der zunächst unklaren Finanzierbarkeit und mangels eines passenden Grundstücks. Stefan Lehnert verglich die Planungsphase für die Wohnanlage mit einem Kunstwerk. „Viele haben gesagt, das sei nicht umsetzbar – bis jemand gekommen ist, der es einfach gemacht hat“, sagte er. Nach den Schwierigkeiten bei der Verwirklichung sei mit dem letzten Pinselstrich ein Meisterwerk entstanden. Dabei zitierte er auch Wilhelm Busch: „Leicht kommt man an das Bildermalen, doch schwer an Leute, die es bezahlen.“

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