Coburg feiert Outside Rodeo Die Punkstille ist vorüber

Das Outside Rodeo startet mit altem Charme am neuen Ort voll durch. In der Coburger Ernstfarm feiern Hunderte mit Punkrock, Ska und bester Laune das generationenübergreifende „Klassentreffen der Herzen“.

 
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Feiern als wenn’s kein Morgen gäbe: Wo könnte man das besser als auf der Ernstfarm?! Die Zukunft des malerischen Gehöfts am Coburger Stadtrand ist ungewiss, seine Tage als Künstler-, Reiter- und Gewerbehof sind gezählt, die meisten Mieter gekündigt, die hölzerne Bühne ist nicht mehr. Doch als rustikale Event-Kulisse ist das in die Jahre gekommene Gut nach wie vor gefragt, Rockabilly-Retros fühlen sich hier genauso wohl wie Techno-Kids. Logisch also, dass sich auch das Outside-Rodeo-Team auf der Suche nach Ersatz für das Güterbahnhof-Gelände hier umsah und das Areal optimal passend fand zu seiner „herzoglichen Rodeo-Wild-West-Philosophie“.

So machten sich die ehrenamtlichen Konzertveranstalter des Vereins Monsters of Rodeo e.V. daran, das erste Festival nach zweijähriger Coronastille hier vor den Toren der Stadt auf die Beine zu stellen. Sie heuerten Lokalgrößen wie die Coburger Band Panzertape und Headliner wie die Berliner Electopunks Egotronic und die Londoner Ska-Band Buster Shuffle an, organisierten einen Shuttleservice und verwandelten mit 60 tatkräftigen Helferinnen und Helfern die Ernstfarm in einen Spaßhof, in dem am Wochenende die ultimative Alternative zum schicken Schlossplatzfest über die Bühne ging.

Genauer und mit doppeltem Coburger Genitiv gesagt: Über „Prinz Albert sein Bruder sei Stage“ – eine Huldigung an Herzog Ernst II, der die Musterfarm bei Scheuerfeld 1878 nach dem neuesten Stand der Agrikulturtechnik errichten ließ. Auch den Künsten war Alberts kleiner Bruder zugetan, namentlich der Musikwelt, die er um vier Opern bereicherte. Die waren zeitbedingt eher von der Romantik denn vom Punk geprägt, auch war es seinerzeit unüblich, beherzt von der Bühne in die Arme des tobenden Publikums zu springen.

144 Jahre später ist das längst Tradition, wenn auf der Bühne der Punk abgeht und davor der Moshpit tollt. Und das tut er mächtig bei diesem „Klassentreffen der Herzen“, das in 17 Jahren zum Multigenerationenfest gereift ist. In Ehren ergraute oder erkahlte Szene-Senioren feiern mit Jung-Punks, obenrum ist alles vertreten vom Irokesenschnitt über Dreadlocks bis zum Regenbogen-Schopf. Bunt, entspannt, familiär und multikulti geht es zu, rotziger Punk(rock) in allen Variationen wechselt ab mit swingendem Partypowerrocknroll und flockigem Ska, veganes Streetfood köchelt in trauter Nachbarschaft mit der Berliner Currywurst, an den Ständen gibt’s alles - außer Kommerz: Recycling-Kunsthandwerk, Solidaritäts-T-Shirts für die Freiheitsbewegung in Myanmar und Material in Fülle für alle, die Flagge zeigen wollen gegen Rechtsaußen. Das Transparent neben der Bühne bringt den gemeinsamen Nenner auf den Punkt: „Love Music, Hate Fascism“ verbindet hier alle, von den Bamberger Schrammelpunks Schimpansenkrieg, die das Festival am Freitag in guter alter Manier auf Touren bringen, bis zu den Londoner Ska-Dandys Buster Shuffle, die den Samstagabend krönen.

Einen geradezu historischen Moment erleben die Fans am Freitag, als nach den Nürnberger Pop-Punks Worst Advice fünf Herren aus dem mysteriösen „Nillehammer“ in die Saiten hauen, die reiferen Semestern bekannt vorkommen: Nach zehn Jahren Punkstille feiern die Crazy Candydates ihr Comeback und beweisen, dass sie nichts verlernt haben. Die Instrumentalisten tragen es mit Fassung, dass nicht nur die Herzen der „Ali-Ultras“ lautstark dem Sänger Alexander „Ali“ Thomann zufliegen, der sich restlos verausgabt und alle staunen lässt, die den Sozialpädagogen bislang nur als Drahtzieher hinter den Rodeo-Kulissen kannten.

Zum ekstatischen „ExoticSurfTrashPunkRock’n’Roll“ der irren Kandidaten lassen sich schon die ersten Stagediver in die Menge fallen – und im furiosen Freitagsfinale ist dann kein Halten mehr: Egotronic heizen den Pogo an mit ihrem dynamischen Electropunk, der dezidiert politisch tickt. Sänger Thorsten Burkhardt pflegt das unverblümte Wort in seinem musikalischen Kampf gegen Nationalisten und Rassisten und hat sichtlich Spaß in diesem Coburg, das ihm bislang nur im Zusammenhang mit dem Convent ein Begriff war. Nun weiß er: „Hier gibt es auch die Guten!“.

In bester Erinnerung dürften auch die sechs jungen Mexikanerinnen die Vestestadt behalten, die in den Umbaupausen den Saal zum Kochen bringen: Girls Go Ska hatten Coburg nicht auf dem Schirm, als sie kürzlich in Deutschland strandeten. Der Manager ihrer geplanten Tour hatte sich aus dem Staub gemacht und so knüpften sie auf eigene Faust Kontakte – unter anderem zu Mike Russek, der sie spontan zum Outside Rodeo einlud. Die Power ihrer Show lässt nicht ahnen, dass sie am Morgen übernächtigt nach einer Bummelzug-Odyssee in Coburg eingetroffen sind – mit Neun-Euro-Tickets.

mehr Bilder unter www.np-coburg.de

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