Coburg/Wallenfels – „Ist sie ein nettes Mädchen oder eine eiskalte Mörderin“, fragt Oberstaatsanwalt Martin Dippold zum Auftakt der Plädoyers im Wallenfelser Kindermord-Prozess und kommt zu dem Schluss. „Bei juristischer Betrachtung ist Andrea G. eine Mörderin.“

Das Geständnis der Angeklagten, vier ihrer Kinder unmittelbar nach der Geburt erstickt zu haben, hält der Anklagevertreter für glaubhaft, das Motiv für „auf der untersten sittlichen Stufe angesiedelt“. Deshalb fordert der Oberstaatsanwalt am vierten Prozesstag vor dem Landgericht Coburg die Höchststrafe für die Mutter: lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Im Falle einer Verurteilung bedeutete das mindestens 20 Jahre Haft für die 45-Jährige.

Dass die Frau bei ihren Taten „wie unter Drogen gestanden hat“ hält der Staatsanwalt für eine Schutzbehauptung. „Ihr Handeln war planmäßig“, betont Dippold. Seiner Meinung nach wollte nicht nur der Ehemann keine Kinder mehr haben, sondern auch Andrea G.

„Johann G. hat keinen Druck aufgebaut. Es gab keine Nötigung durch den Ehemann“, untermauerte der Staatsanwalt weiter seine Argumente für eine Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe. Für ihn ist die Einlassung der Verteidigung, Andrea G. sei regelmäßig von ihren Niederkünften überrascht worden, fadenscheinig. „Sie war psychisch in der Lage, eine Geburt zu erkennen und die Folgen abzuschätzen“, sagt der Anklagevertreter. Obwohl eine Frauenärztin Andrea G. mehrfach die Pille verordnet hatte und ein Termin für eine Sterilisation geplant war, hätte sie weiter ungeschützt Geschlechtsverkehr ausgeübt und die Folgen davon billigend in Kauf genommen: „Geboren, umgebracht, aufgewischt, weggepackt und weiter geht das Leben – auch in sexueller Hinsicht“, schildert der Anklagevertreter und schlussfolgert: „Gedanklich hat sie acht Kinder auf dem Gewissen.“ Menschlich sei das Verhalten der Frau nicht nachvollziehbar und moralisch nur mit dem Bösen im Menschen zu begründen.

Den Ehemann der Angeklagten hält der Oberstaatsanwalt der psychischen Beihilfe zum Mord für schuldig und fordert für ihn eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. „Die Eheleute sind sich elf Jahre lang täglich begegnet. Da ist es nicht vorstellbar, dass er die Schwangerschaften nicht bemerkt hat“, argumentiert Dippold. Johann G. sei zwar eine unmittelbare Tatbeteiligung nicht nachzuweisen. Er hätte aber seiner Frau die Sicherheit gegeben, dass sie ihr Handeln fortsetzen könne.

Verteidiger Till Wagler glaubt dagegen weiter daran, dass seine Mandantin aus einer psychischen Notlage heraus gehandelt und die „Schwangerschaften weggeblockt hat“, wie er sich ausdrückt. Er geht von drei Totschlagfällen im minderschweren Fall aus und fordert eine „der Not meiner Mandantin angemessene Strafe.“
Die Sicht der Staatsanwaltschaft hält der Pflichtverteidiger für eindimensional. „Die Wahrheit ist komplizierter“, sagt Wagler. Man dürfe sich nicht vom Schrecken der Taten blenden lassen, sondern müsse hinter die Kulissen schauen. Dann könne man erkennen, dass seine Mandantin stets die Dinge mit sich allein ausgemacht und keine ausgeprägte Körperwahrnehmung besessen habe. Die gestörte Beziehung zum Ehemann und die Tatsache, dass Andrea G. niemanden gehabt habe, mit dem sie hätte reden können, erfüllen nach Ansicht von Till Wagler alle Voraussetzungen für einen Neonatizid. Darunter versteht man die Kindstötung in Panik, ausgelöst durch eine plötzliche Geburt. „Das mag uns allen wirklichkeitsfremd erscheinen“, sagt Wagler. „Aber das ist ein Phänomen, das öfter zu beobachten ist und das erforscht wurde.“

Freispruch fordert dagegen Hilmar Lampert, der Verteidiger von Johann G. „Mein Mandant hat weder etwas gewusst noch hat er etwas geahnt“, begründet er. Die Angeklagte hätte über die Jahre hinweg immer ausgeklügeltere Vermeidungsstrategien entwickelt, um ihr Umfeld zu täuschen. „Mal trug sie weite Kleidung, mal enge. Dann hat sie über Wechseljahrsbeschwerden geklagt oder von einer Erkrankung berichtet, um ihr schwankendes Gewicht zu erklären“, argumentierte er. Johann G. hätte davon ausgehen können, dass sich seine Frau einer Sterilisation unterzogen hat. „Er hat sie persönlich nach Erlangen gefahren“, betont der Verteidiger. Von diesem Zeitpunkt an hätte sich der Ehemann keine Gedanken mehr über Schwangerschaften machen müssen.

Andeutungen von Andrea G., dass es tote Kinder im Haus geben solle, seien von seinem Mandanten nicht ernst genommen worden, meint der Verteidiger. „Im betrunkenen Zustand hat er es für eine Drohung gehalten und am anderen Tag hat sie es wieder abgestritten.“ Ihm gegenüber habe der Vater gesagt: „Hätte ich es gewusst, dann hätte die niemand gefunden.“

„Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass mein Mandant Kenntnis von den Babyleichen hatte, und es gibt keinen einzigen Zeugen, dem die Schwangerschaften von Andrea G. aufgefallen sind“, fasst Hilmar Lampert zusammen. Das entlaste seinen Mandanten.