Coburger Institution Die Kloßküche sagt Ade

Andreas Teodoru
Leider bald Geschichte: die Coburger Kloßküche, die von Marion Wackenhut betrieben wird. Foto: Frank Wunderatsch

Schon bald ist der letzte Kloß gegessen: Coburg verliert eine Institution. Ein Ende, das auch der Stadtheimatpfleger bedauert.

 
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Das Ende steht fest: Marion Wackenhut, Geschäftsleiterin der Coburger Kloßküche in der Heiligkreuzstraße 29, macht nach dem 26. Juni den Ofen aus, wie sie auf Nachfrage bestätigte: „Unser aktueller Mietvertrag war am Auslaufen, und da haben wir uns gefragt, wollen und können wir das Risiko für alle Beteiligten weiterhin tragen?“ Mit Risiko meint sie die Einbußen durch die Corona-Pandemie, aber auch die hohe Inflation, die Preissteigerungen und den neuen Mindestlohn. „Wir haben auch gemerkt, dass die Kunden immer vorsichtiger sind und weniger bestellen. Schweren Herzens haben wir uns dann entschieden aufzuhören, solange es noch gut ist.“ Die Absätze in den Supermärkten hätten nachgelassen, der Einkauf von Kartoffeln und Fleisch sei zu teuer.

Mit ihr hören auch der langjährige Mitarbeiter Horst Winter und zwei Aushilfen aus. Winter ist seit 1996 in der Küche und produziert den Teig für die Klöße.

Aufhören, wenn es am schönsten ist

Nicht nur das Kloßküchen-Team schmerzt der Abschied, sondern auch viele Coburger, die unter einem unlängst aufgetauchten „Facebook“-Post ihre Bestürzung ausdrückten. Die Nachricht ist jedoch nicht mehr auffindbar. Marion Wackenhut hätte ihre Kunden lieber selbst über ihre Web- und „Facebook“-Seite informiert.

Seit 45 Jahren hat die Kloßküche nicht nur die Coburger mit Klößen und Braten versorgt. Ganz Deutschland habe man in der Vergangenheit beliefert, sagte die Geschäftsleiterin. Auch im Ausland habe man die traditionellen Angebote aus Coburg bekommen: Eine Lieferung ging in die Schweiz, eine andere wurde gar nach Frankreich mitgenommen, erinnerte sich Wackenhut. „Auch nach Kanada“, ergänzte Winter. Die Empfänger seien wohl größtenteils gebürtige Coburger gewesen.

Jeden Sonntag seien die Vestestädter mit ihren Töpfen gekommen, erinnerten sich Marion Wackenhut und Horst Winter. Besonders gut seien Leckereien wie Schäuferle, Rinderroulade und Gänsebrust mit den zwei dazugehörigen „Coburger Rutschern“ zu Weihnachten bestellt worden. Jetzt im Sommer, wenn die Nachfrage nachlässt, und der Mietvertrag ausläuft, scheine ein guter Zeitpunkt zu sein, Ade zu sagen.

Coburg verliert ein Kulturgut

Stadtheimatpfleger Christian Boseckert nennt das Verschwinden der Kloßküche eine „Katastrophe in kulinarischer Hinsicht“, denn nicht nur die lokale, sondern auch die deutschlandweite Versorgung mit echten Coburger Klößen würde darunter leiden. „Der Kloß hat einen großen Stellenwert in Coburg, genau wie die Bratwurst“, sagt er. Klöße gehörten schon lange zum Sonntagsbraten, seit Kartoffeln im 18. Jahrhundert großflächig angebaut wurden. Das Wort „Kloß“ stammt übrigens vom althochdeutschen Wort „Klotz“. Laut „Genuss Region Oberfranken“ wurde ein Rezept für Klöße erstmals in der zwischen 1808 und 1814 verfassten „Topografie des Pfarrspiels Effelder“ im thüringischen Landkreis Sonneberg von Pfarrer Friedrich Timotheus Heim überliefert. 1854 findet sich diese erste Anleitung, leicht abgewandelt, in einem Kochbuch von Christian Oehm, dem Küchenmeister des Erbprinzen von Sachsen-Coburg, wieder. Der Coburger Rutscher als Urform des fränkischen Kloßes mit thüringischen Wurzeln wurde zur Sonntagsspeise der Coburger: „Diese Klöße zuzubereiten, ist ein Riesenaufwand. Darum haben sich viele Fans ihre Rutscher von der Kloßküche oder der Klößerei geholt“, erklärte Boseckert. „Jetzt, wo ein wichtiger Lieferant des traditionellen Kartoffelteiges wegbricht, besteht die Gefahr, dass ein Kulturgut verloren geht.“ Dass man sogar am Haupteingang der Morizkirche eine Eva mit dem „Klößmaß“ findet, zeigt den hohen Stellenwert, den die Coburger Leibspeise genießt: „Das ist ein Stück Identität für die Coburger“, versichert der Stadtheimatpfleger.

Mit positivem Blick in die Zukunft

Klößereien gibt es bis nach Thüringen hinein einige, sucht man hingegen nach einer Kloßküche, findet man zuerst – und wohl als einzige – die Coburger Kloßküche. Mit ihrem Abschied wird der Name nun frei, und ein einzigartiges Rezept verschwindet vom Markt. Denn die Kloßküchen-Klöße unterscheiden sich von denjenigen der Klößerei in der Judengasse, weiß Produzent Winter. Der Familienbetrieb, der von Diethard und Eva Brödenfeld 1977 gegründet wurde, verfügte früher auch über einen Schankbetrieb und eine Speisegaststätte, die nach und nach aufgegeben wurden, weil die Nachfrage in der Kloßküche so immens war.

Die Rezeptur für die „Coburger Rutscher“ musste einen langen Prozess durchlaufen, bis sie so perfekt war, dass viele dafür Schlange standen. Inzwischen verkaufen auch Supermärkte und lokale Gastronomiebetriebe die Spezialitäten der Küche, Veranstaltungen konnten mit bis zu 2000 Essen beliefert werden. Firmenbegründer Diethard Brödenfeld starb 2016, seitdem wird der Betrieb von Marion Wackenhut, Horst Winter und einigen freien Mitarbeitern betrieben.

Wie geht es nun weiter? „Wir suchen uns alle neue Arbeit und schauen nach vorne“, sagt Marion Wackenhut gelassen. Horst Winter freut sich nach seinen bald 26 Jahren besonders auf eines: „Ich mache jetzt erst mal Urlaub und dann werde ich sehen.“ Den Coburgern bleibt nur noch, die Gelegenheit zu nutzen und vor dem Ende am 26. Juni noch ein letztes Paar echte Kloßküchen-Rutscher zu genießen.

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