Doch der Kronacher, der nach einer Auslosung mit Michael Schulz und Ren´e Boldt als erster ans Rednerpult darf, überzeugt die klare Mehrheit der Delegierten mit einer emotionalen Bewerbung. Er verzichtet auf den üblichen Politikersprech, sagt, er stehe „voller Demut“ vor der Bundeswahlkreiskonferenz. Er erinnert an das Leid, das Corona über viele Menschen auch in Kronach und Coburg gebracht hat, spricht davon, dass sich niemand vor dem Ausbruch der Pandemie habe vorstellen können, dass die CSU ihren Kandidaten für die Bundestagswahl am 26. September 2021 in einem Fußballstadion unter freiem Himmel werde nominieren müssen. Viele Delegierte hätten sich über ein Jahr lang nicht gesehen. Auch das sei schwierig für eine Partei, deren Anliegen die Nähe zum Bürger sei.
Und Jonas Geissler stehe auch deshalb demütig vor den Delegierten, „weil uns heute noch einmal bewusst geworden ist, welche großen Fußspuren Hans Michelbach hinterlässt“. Der ehemalige Bürgermeister von Gemünden am Main ist seit 1994 Mitglied des Bundestags. Damals errang er sein Mandat über die Landesliste der CSU. 2002 wurde er als Direktkandidat seiner Partei im Wahlkreis Coburg/Kronach in das Parlament gewählt und hat diesen Sitz in allen nachfolgenden Wahlen verteidigt. Geissler würdigt Michelbach als „lieben Hans“, der ein „toller Abgeordneter“ sei.
Dann vollzieht der 36-Jährige den Schwenk hin zu sich. An der Spitze der JU Oberfranken und als Vorsitzender der CSU-Fraktion im Kronacher Stadtrat habe er gelernt, „wie man Menschen führt, ernst- und mitnimmt“. Er habe gelernt, wie wichtig es sei, Politik nicht nur für die eigene Heimat zu machen, „sondern für die Heimat aller“.
Prägende Großmutter
Am stärksten geprägt habe ihn aber seine Großmutter Christine Hacker. Sie ist Heimatvertriebene, hat drei Kinder groß gezogen, fast 40 Jahre für das Rote Kreuz gearbeitet und war 18 Jahre lang Mitglied des Stadtrats von Bayreuth – „nicht für die CSU, sondern für die SPD“, wie ihr Enkel erläutert. „Wir haben miteinander gestritten und gerungen, aber sie hat mir vorgelebt, worauf es in der Politik ankommt: Jeder handelt nicht für sich, sondern für die Interessen derer, die er vertritt.“ Wichtig dabei sei, immer – auch politisch Andersdenkenden – zuhören zu können und „am Ende Brücken zu bauen. Das prägt mich und ist das, wofür ich mit meinem ganzen Herzen stehe“, betont Geissler. Er stellt dabei das Verbindende zwischen Coburg und Kronach heraus, nicht das Trennende, das manche am Autokennzeichen „KC“ festmachen – „kein Coburger“. Er stehe für „die Einheit und die Zukunft unserer Region“, an die er glaube: mit einer starken Wirtschaft, mit guten Angeboten für Familien und Bildung, mit einer modernen Infrastruktur, zu der die B 173 zwischen Kronach und Lichtenfels genauso gehöre wie der Breitbandausbau mit schnellen Zugängen ins Internet. „Ich habe den Willen, diese Region gemeinsam mit euch zu entwickeln“ für etwas Großes: „die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder“, ruft Geißler den Delegierten zu und erhält dafür starken Beifall.
Der Bewerber für das Bundestagsmandat geht nicht auf das Wahlprogramm seiner Partei ein, sondern beschreibt das, was für ihn die CSU ausmacht. Deren Markenkern sei, dass sie Politik auf der Basis des christlichen Menschenbildes betreibt. Als Beispiel nennt der 36-Jährige Umwelt- und Klimaschutz, was er gleichsetzt mit der Bewahrung der Schöpfung, spricht vom Bekenntnis zur Demokratie, zur pluralen Demokratie, zu Frieden und Freiheit.
Entscheidung
Um dann noch einmal auf seine Großmutter einzugehen, die unter dem Tribünendach des Willi-Schillig-Stadion sitzt und ihren Enkel begleitet. Sie, die überzeugte Sozialdemokratin, nimmt das erste Mal an einer CSU-Versammlung teil und habe ihm, Jonas Geissler, geraten, „sei freundlich, sei ehrlich und erzähle den Delegierten, woran du glaubst“. Daran halte er sich. Später, kurz vor der Abstimmung über die CSU-Bundestagskandidatur im Wahlkreis Coburg/Kronach, wird Christine Hacker ihren Enkel so charakterisieren: „Er ist ein wunderbarer junger Mann. Wenn er nicht gewählt wird, dann haben die Leute etwas verpasst.“ Die Mehrheit der Delegierten sieht das genauso und kürt nicht Michael Schulz oder Ren´e Boldt, sondern Jonas Geissler zu ihrem Kandidaten, der im Herbst im Bundestag Nachfolger von Hans Michelbach werden soll.