Auch eine Sängerin ist unter den Toten
Bewegung kommt in die Menge, ein Krankenwagen fährt vor: Gute Nachrichten? Doch es ist ein schwarzer Leichensack, der eingeladen wird. „Nein, keiner von unseren“, berichtet ein junger Mann. „Eine ältere Frau soll es sein.“ Eltern oder Kinder von Vermissten sollten sich zum Leichenhaus begeben, um DNA-Proben abzugeben, damit die Toten identifiziert werden könnten, ruft ein Mann durch den Zaun in die Menge. Doch keiner geht, niemand will die Hoffnung aufgeben.
Der Abend bricht an, Scheinwerfer flammen auf, es wird noch kälter, die Temperaturen sinken weit unter den Gefrierpunkt. Aus dem Haus an der Kurt-Ismail-Pascha-Straße wird in der Nacht noch ein lebloser Körper gezogen; es sind die sterblichen Überreste der Sängerin Zilan Tigris, die mit ihrem Ehemann – einem Schauspieler – hier wohnte. Die armenisch-kurdische Künstlerin, die bürgerlich Dilek Kücüker hieß, sang Lieder in allen Sprachen der Stadt – Kurdisch, Armenisch, Arabisch, Aramäisch, Zaza und Türkisch. Sie verkörperte mit ihrer Biografie und ihrer Musik den Geist dieser uralten Stadt am Tigris. Zum Mittagsgebet wird sie am nächsten Tag in Diyarbakir beerdigt.