Das Ukraine-Tagebuch „Die Depression nimmt zu unter den Ukrainern“

Thomas Simmler hat ein Virus mehrere Tage völlig aus der Bahn geworfen. Da half auch kein Knoblauchpflaster oder ein anderes altes ukrainisches Hausmittel. Dass auch der Kopf nicht mehr mitspielt, erlebt nicht nur er.

 
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Thomas Simmler Foto: Alexander Wunner

Mich hat es richtig schlimm erwischt. Ein Virus. Vielleicht Corona, eventuell auch was anderes. Jedenfalls habe ich tagelang nur im Bett gelegen. Los ging’s, als ich eine usbekische Fischsuppe Essen wollte. Plötzlich war da keine Kraft mehr. Ich bekam schlimmste Kopfschmerzen und Schnupfen und hab’ so viele Taschentücher verbraucht wie nie zuvor in meinem Leben. Es war schrecklich, zumal auch die Psyche nicht mehr mitgemacht hat. An Essen war nicht zu denken. Stattdessen habe ich viel Tee getrunken. Mein Vermieter hatte kurz zuvor Corona. Als seine Frau ihn in die Klinik brachte, war dort fast niemand außer ihm. Eine Woche später war das Krankenhaus voll – so viele Menschen waren plötzlich betroffen.

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Wenn die Ukrainer sich eine Erkältung einfangen, dann haben sie wie wir Deutsche ein paar typische Hausmittel: Tee, Zitrone und Honig sind die Klassiker. Dazu Knoblauchpflaster. Die gibt es in der Apotheke. Eigentlich hilft Knoblauch ja gegen Warzen oder Fußpilz. Ich glaube, die Ukrainer nehmen die Pflaster auch bei Husten. Ich habe vor Jahren mal eins probiert und mir auf die Brust geklebt. Nun ja....

Inzwischen bin ich unter die Lebenden zurückgekehrt. Ich esse Baguette mit Butter und habe Appetit auf Vitamine. Die Frau meines Vermieters macht mir Salate und ich bekomme aus ihrem Garten Äpfel. So viele wie jetzt hab ich noch nie verdrückt.

Gestern war ich draußen und bin ein paar Stunden herumspaziert. Es war ein Goldener Herbsttag. Herrlich. Da nimmt die Lebenslust zum Glück wieder zu. Trotzdem nehme ich Beruhigungstabletten. So wie mir geht es zur Zeit vielen Ukrainern: Der Krieg schleicht sich immer weiter in den Körper, vor allem aber in den Kopf. Er macht müde.

Eine Bekannte aus Mykolajiw am Schwarzen Meer ist dieser Tage am Telefon in Tränen ausgebrochen. Die Fragen sind immer die gleiche und sie häufen sich: „Wie soll es weitergehen?“ oder „Werden wir den Winter überstehen?“ Es ist das Ziel der Russen, die Menschen zu zermürben. Und ehrlich gesagt ist es schwer, dagegen anzukämpfen. Wer lebt schon gern dauerhaft im Krieg. Die Depressionen nehmen überall zu. Da habe ich es noch gut. Im Vergleich zu den Kriegsgebieten kommt mein Kurort einer friedlichen Insel gleich.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit Kriegsanfang in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er im Kurort Truskawez im Westen des Landes untergekommen.
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on dort berichtet er in dieser Kolumne regelmäßig aus dem Alltagder Menschen vor Ort.