Das Ukraine-Tagebuch „Die Scorpions in Dnipro – unvergesslich“

Thomas Simmler Foto: privat

Thomas Simmler erlebt Jahreswechsel und Dreikönigstag im Westen der Ukraine. Das Lied „Wind of change“ und die Erinnerungen an seine Zeit im MGF sowie „ein gescheit’s Besäufnis“ in Kulmbach spielen dabei eine Rolle.

 
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Zum Jahreswechsel um Mitternacht haben sich viele Ukrainer ganz sicher nur eines gewünscht: Dass in ihrem Heimatland bald wieder Frieden herrschen möge und die Russen weg sind. Wie Weihnachten ist auch Silvester inzwischen ein Politikum. Eigentlich kommt zum Jahreswechsel ein deftiger Kartoffelsalat auf den Tisch. Den kennt man unter dem Namen „russischer Kartoffelsalat“. Deshalb dürften heuer wohl viele verzichtet haben.

Bei mir gab es Räucherlachs. Aus Norwegen. In der Nacht war fast niemand auf den Straßen zu sehen – dazu eine fast gespenstische Stille. Böller waren verboten und die Menschen haben sich daran gehalten. Ich habe den Abend über viel mit einer alten Freundin gechattet, mit der ich einst auf dem Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach zur Schule gegangen bin. Sie lebt inzwischen in Irland und so gab es natürlich viel zu erzählen.

Luftalarm um 0.37 Uhr

Im deutsche Fernsehen habe ich die Scorpions gesehen, wie sie kurz vor Mitternacht vor dem Brandenburger Tor „Wind of change“ gespielt haben. Ich bin riesiger Scorpions-Fan und habe fünf Konzerte von ihnen live gesehen, eines davon vor zehn Jahren in einer Halle in Dnipro. Das ist unvergesslich. In der Ukraine und in Russland gibt es praktisch niemanden, der die Band nicht kennt. Sie ist wahnsinnig populär. Wegen des Kriegs haben sie eine Stelle des Textes geändert. Statt „Follow the Moskva/ down to Gorky Park“ singt Klaus Meine „Now listen to my heart/ It says Ukrainia“. Das freut die Menschen, vor allem, weil Meine ja erklärt hat, dass man damit die Ukraine unterstützen möchte und dass es nicht die Zeit ist, Russland zu romantisieren. Sie hatten den Song kurz vor der Wende geschrieben und damals in Leningrad mehrere Konzerte gegeben. Es war ein Lied der Hoffnung auf eine Welt, in der wir gemeinsam Frieden erleben sollten. Als Hymne des Friedens habe es seine Bedeutung verloren, hat Meine gesagt. Ich kann das nur unterstreichen.

90 Prozent Frauen in der Kirche

Wie die Russen ticken, haben die Menschen hier auch in der Silvesternacht erlebt. Ich habe darauf gewartet und genau um 0.37 Uhr ging der Luftalarm dann los. Am Neujahrstag war es ruhig und das Wetter schön. Viele waren im Kurpark unterwegs und sind mit dem Riesenrad gefahren.

Ich habe schon öfters von den vielen Kirchen in Truskawez berichtet. Eine davon ist die griechisch-katholische. Dort bin ich an Neujahr vorbeispaziert und habe über Lautsprecher die Predigt und den Chor gehört. Als ich rein bin in die Kirche, gab es gerade Abendmahl. 90 Prozent der Besucher waren Frauen und wie in den anderen Gottesdiensten hier herrschte reges Kommen und Gehen.

Mit dem Stärke antrinken halte ich mich zurück. Ich erinnere mich immer an einen Dreikönigstag vor 30 Jahren in Kulmbach. Ich war mit einem Freund unterwegs, als der mich nach Hause zu sich einlud. Er habe einen Lachs, den würden wir essen. Das Antrinken dauerte bis zum frühen Morgen. Er ging am nächsten Tag gar nicht zu Arbeit – ich mit fünf Stunden Verspätung. Deshalb lachen wir jedes Jahr über diesen Tag und das Stichwort „unser traditionelles Lachsessen“. Inzwischen lasse ich es viel ruhiger antrinken. Ein Glühwein am Dreikönigstag. Das hat gereicht.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit vielen Monaten in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Westen des Landes untergekommen.

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