Das Ukraine-Tagebuch „Und plötzlich standen da drei Leichenwagen“

Thomas Simmler Foto: privat

Thomas Simmler aus Mainleus erlebt im Westen der Ukraine, wie die Menschen anfangen, ihr Leben neu aufzubauen. Dennoch nehmen sie sich die Zeit, um zu trauern und sich an die Angriffe zu erinnern, die ihr Land ereilt hat.

 
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Vergangenen Samstag war ich in Lwiw, den meisten bekannt unter dem Namen Lemberg. Eine wunderschöne Stadt. Hier sieht man die Architektur der Habsburgermonarchie, man fühlt sich wie in Prag oder Wien. Doch wegen des Krieges lebt man hier im Prinzip zwischen zwei Welten: Auf der Hinfahrt sah ich am Eingang der Stadt noch Panzersperren und Sandsäcke, um den Feind abzuhalten. Fährt man weiter, sieht man ein Bauwerk aus vier großen Hände aus Metall, vermutlich aus russischen Panzern. Zwei Hände zeigen das Victory-Zeichen. Die Ukrainer zeigen sich immer noch trotzig gegenüber den Russen. In der wunderschönen Altstadt von Lemberg gibt es sehr viele unterschiedliche Kirchen und Synagogen, katholisch, armenisch, orthodox. Und der Marktplatz ist überfüllt mit Menschen, die in Restaurants und Cafés sitzen. Sie feiern, machen Party, genießen ihr Leben.

Als ich weiter ging, sah ich eine Menschenversammlung vor einer Kirche: Dort standen plötzlich drei Leichenwagen und ein Militärorchester. Vor den Wagen standen drei Bilder von drei Soldaten der ukrainischen Armee, die wohl ihre letzten Reise antraten. Ich war überrascht von der Anteilnahme von so vielen Menschen. In solchen Momenten wird man wieder mit der Realität des Krieges konfrontiert.

Man merkt, die Ukrainer lassen sich nicht unterkriegen: Der Markt, die Monumente, die vollen Cafés – hier herrscht das blühende Leben. Die Russen beißen sich an ihnen die Zähne aus. Gegen drei Uhr nachmittags ist der Platz vor der Oper voll, man kann sich kaum bewegen durch die Menge. Ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Platz gesehen.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit mehr als einem Jahr in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Kurort Truskawez im Westen des Landes untergekommen.

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