„Der Scherbenhaufen ist riesig“ Coburger Ex-Polizist beim Sturm aufs Kapitol

Arpad von Schalscha- Ehrenfeld
Arpad von Schalscha-Ehrenfeld vor der Deutschen Botschaft in Washington. Foto: Privat

Arpad von Schalscha-Ehrenfeld arbeitet seit November für das Auswärtige Amt in Washington. Hier schildert er seine Einschätzungen über die Lage in den USA.

 
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Coburg/Washington - Seit Anfang November arbeitet Arpad von Schalscha-Ehrenfeld auf dem Botschaftsgelände in Washington. Der pensionierte Polizeihauptkommissar aus Coburg steht in Diensten des Auswärtigen Amtes als sogenannter „Blauer Bär“, um mit für den Aufbau eines Personalpools für Sicherheitskräfte im Ausland zu sorgen. Er hat den Sturm des Kapitols vor Ort miterlebt. Hier schildert er seine Eindrücke aus den USA.

„Unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie ächzen nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Wenn dann jedoch noch ein politischer Umbruch stattfindet, so können die Auswirkungen in der dortigen Gesellschaft zwischen ‚hübsch zu beobachten’ bis ‚dramatisch’ variieren.

Als nicht direkt betroffener Ausländer, der in absehbarer Zeit die USA wieder verlassen wird, könnte man über die Ereignisse im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl und dem sich daran anschließenden „Gezerre“ um die Rechtmäßigkeit des Wahlausgangs eigentlich, wenn es nicht so ernst wäre, nur milde lächeln. Was sich in der Zentrale der politischen Macht in den USA abspielt, ist aus deutscher Perspektive betrachtet eigentlich unvorstellbar. Es beginnt schon damit, dass das amerikanische Wahlsystem in der Postkutschenzeit vielleicht bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein sicherlich halbwegs zuverlässig funktioniert hat. Mir erscheint dies jedoch zwischenzeitlich überholt. Hieraus ergeben sich dann Friktionen, die, falls sie dann noch auf ein Persönlichkeitsbild eines Noch-Präsidenten treffen, eine brisante Mischung ergeben.

Viele in Deutschland haben sicherlich den Wahlausgang und den sich anschließenden Hickhack aus den Medien heraus verfolgt. Man sollte jedoch in seinen Erwartungen für die nach dem 20. Januar 2021 amtierende Biden/Harris-Administration eine gewisse Vorsicht walten lassen. Eine 180-Grad-Rochade ist in Sachfragen erst einmal nicht zu erwarten. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass zukünftig ein mitteleuropäisch-zivilisierter Umgangston gepflegt werden wird, wie es unter Verbündeten eigentlich generell erwartet werden darf.

Das öffentliche Leben im Ballungsbereich Washington/Virginia/Maryland ist pandemiebedingt stark eingeschränkt, auch wenn kein verordneter Lockdown besteht. Dieser wäre in der Praxis wohl auch kaum durchsetzbar. Auffällig ist, dies wird auch von bereits länger hier arbeitenden Kollegen bestätigt, dass sich das öffentliche Leben zunehmend eindampft, die Metro und die Busse verkehren auch zu Stoßzeiten so gut wie unbesetzt und auf die Straße geht man vernünftigerweise nur, wenn man unaufschiebbare Erledigungen vorhat. Diese geschehen ganz überwiegend unaufgeregt und äußerst diszipliniert, Warteschlangen vor Geschäften habe ich nur bei Bäckereien und vor dem Apple-Store beobachtet, wahrscheinlich ist gerade mal wieder das aktuellste Smartphone im Zulauf. Ansonsten sind erschreckend viele Läden nicht nur vorübergehend „dicht“, da rollt eine Pleitewelle heran und an jeder größeren, ampelgeregelten Kreuzung steht ein Almosenempfänger mit faltigem Pappschild: food, help.

Am 5. Januar waren dann in Washington noch mehr Geschäfte mit Sperrholzbrettern verrammelt. Donald Trump hatte für den Folgetag seine Unterstützer aufgerufen, zu mehreren Demonstrationen in die Hauptstadt zu kommen, um gegen den unterstellten Wahlbetrug zu protestieren. Zeitgleich fanden in Georgia Stichwahlen statt, keiner der dortigen Kandidaten hatte die absolute Mehrheit erreicht, und der Ausgang dieser Wahl entschied für die kommende Wahlperiode über die Mehrheit im Senat. Diese ist für die Handlungsfähigkeit der Biden-Administration essenziell. Zwischenzeitlich ist hier die Entscheidung gefallen, beide Plätze gehen an die Demokraten, selbst Fox-News, des Präsidenten Jubel-Sender, spricht von einem Worst Case.

Abends am 5. Januar hatte ich mich schon gewundert, als ich den ansonsten meist verwaisten Fitnessraum des Hotels betrat. Ein halbes Dutzend athletische, tätowierte Sporttypen, die nicht nur die leichtesten Gewichte stemmten oder überhaupt nicht mehr mit Liegestützen aufhören wollten. „Alles Trump-Unterstützer“, sagte mir die Dame am Empfang, das war auch schon vorher klar, jeder trug entsprechend beschriftete Shirts und Basecaps! „Reicht für heute“ war meine Meinung, irgendwie erinnerte mich der Aufzug an Erfahrungen aus meiner aktiven Zeit als Polizist, wenn es darum ging, Fußballfans zu begleiten, die nichts anderes waren als auf Krawall gebürstete Hooligans.

Nur um nicht missverstanden zu werden: Weiß Gott nicht jeder Trump-Unterstützer ist ein Rabauke, die ganz überwiegende Mehrheit, immerhin nur knapp weniger als die Hälfte des amerikanischen Wahlvolks, sind vernünftige Staatsbürger. Allerdings ist der Anteil der sich in dieser Masse bewegenden Extremisten unübersehbar. Wer Augen hat zu sehen und eins und eins zusammenzählen kann, der hätte erkennen müssen, was unkluge Einlassungen am Folgetag für eine Wirkung entfalten können.

Dass der 6. Januar 2021 ein geschichtsträchtiger Tag werden könnte, konnten mein Kollege und ich irgendwie schon beim Frühstück erfühlen. Alles war anders als sonst, kaum einer hielt sich an die Gesundheitsvorgaben, die Sportler von gestern trugen jetzt teilweise Militär-Klamotten oder sonstige Funktionskleidung. Wir Polizeibeamte hatten ein ganz blödes Bauchgefühl und setzten uns so weit abseits als möglich, weg von den „Superspreadern“.

Der weitere Verlauf des Tages mit seinen dramatischen Entwicklungen wird noch lange nachhallen. Außer 1814, als die Briten das Gebäude niederbrannten, gab es in der amerikanischen Geschichte zu keinem Zeitpunkt einen solchen Angriff auf die Handlungsfähigkeit eines Verfassungsorgans. Das Kapitol war zwischenzeitlich gestürmt, die politische Arbeit zwangsweise unterbrochen, Vandalismus, Körperverletzungen gegen Polizeibeamte, am besten trifft es der Begriff „homemade terrorism“, hausgemachter Terrorismus.

Als letztes Jahr in den Fluren des Deutschen Bundestages Parlamentarier belästigt wurden, so war dies im Grundansatz schon mit den gestrigen Ereignissen in Washington vergleichbar, allerdings glücklicherweise von geringerer Qualität. Die USA haben jetzt noch eins draufgesattelt. Präsident Trump hat die Büchse der Pandora geöffnet, und den von der Leine gelassenen Geist wieder einzufangen dürfte selbst auf weite Sicht eine kaum zu lösende Aufgabe sein.

Der angerichtete politische Scherbenhaufen ist riesig, birgt aber auch Chancen, dass man jetzt endlich aufwacht, bis hierher und nicht weiter, eine neue Grundidee sitzt in den Startlöchern. Die offizielle Amtseinführung des President-elect Biden am 20. Januar ist dann hoffentlich nur noch eine Formalie. Man wird das beobachten.“

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