Am 5. Januar waren dann in Washington noch mehr Geschäfte mit Sperrholzbrettern verrammelt. Donald Trump hatte für den Folgetag seine Unterstützer aufgerufen, zu mehreren Demonstrationen in die Hauptstadt zu kommen, um gegen den unterstellten Wahlbetrug zu protestieren. Zeitgleich fanden in Georgia Stichwahlen statt, keiner der dortigen Kandidaten hatte die absolute Mehrheit erreicht, und der Ausgang dieser Wahl entschied für die kommende Wahlperiode über die Mehrheit im Senat. Diese ist für die Handlungsfähigkeit der Biden-Administration essenziell. Zwischenzeitlich ist hier die Entscheidung gefallen, beide Plätze gehen an die Demokraten, selbst Fox-News, des Präsidenten Jubel-Sender, spricht von einem Worst Case.
Abends am 5. Januar hatte ich mich schon gewundert, als ich den ansonsten meist verwaisten Fitnessraum des Hotels betrat. Ein halbes Dutzend athletische, tätowierte Sporttypen, die nicht nur die leichtesten Gewichte stemmten oder überhaupt nicht mehr mit Liegestützen aufhören wollten. „Alles Trump-Unterstützer“, sagte mir die Dame am Empfang, das war auch schon vorher klar, jeder trug entsprechend beschriftete Shirts und Basecaps! „Reicht für heute“ war meine Meinung, irgendwie erinnerte mich der Aufzug an Erfahrungen aus meiner aktiven Zeit als Polizist, wenn es darum ging, Fußballfans zu begleiten, die nichts anderes waren als auf Krawall gebürstete Hooligans.
Nur um nicht missverstanden zu werden: Weiß Gott nicht jeder Trump-Unterstützer ist ein Rabauke, die ganz überwiegende Mehrheit, immerhin nur knapp weniger als die Hälfte des amerikanischen Wahlvolks, sind vernünftige Staatsbürger. Allerdings ist der Anteil der sich in dieser Masse bewegenden Extremisten unübersehbar. Wer Augen hat zu sehen und eins und eins zusammenzählen kann, der hätte erkennen müssen, was unkluge Einlassungen am Folgetag für eine Wirkung entfalten können.
Dass der 6. Januar 2021 ein geschichtsträchtiger Tag werden könnte, konnten mein Kollege und ich irgendwie schon beim Frühstück erfühlen. Alles war anders als sonst, kaum einer hielt sich an die Gesundheitsvorgaben, die Sportler von gestern trugen jetzt teilweise Militär-Klamotten oder sonstige Funktionskleidung. Wir Polizeibeamte hatten ein ganz blödes Bauchgefühl und setzten uns so weit abseits als möglich, weg von den „Superspreadern“.
Der weitere Verlauf des Tages mit seinen dramatischen Entwicklungen wird noch lange nachhallen. Außer 1814, als die Briten das Gebäude niederbrannten, gab es in der amerikanischen Geschichte zu keinem Zeitpunkt einen solchen Angriff auf die Handlungsfähigkeit eines Verfassungsorgans. Das Kapitol war zwischenzeitlich gestürmt, die politische Arbeit zwangsweise unterbrochen, Vandalismus, Körperverletzungen gegen Polizeibeamte, am besten trifft es der Begriff „homemade terrorism“, hausgemachter Terrorismus.
Als letztes Jahr in den Fluren des Deutschen Bundestages Parlamentarier belästigt wurden, so war dies im Grundansatz schon mit den gestrigen Ereignissen in Washington vergleichbar, allerdings glücklicherweise von geringerer Qualität. Die USA haben jetzt noch eins draufgesattelt. Präsident Trump hat die Büchse der Pandora geöffnet, und den von der Leine gelassenen Geist wieder einzufangen dürfte selbst auf weite Sicht eine kaum zu lösende Aufgabe sein.
Der angerichtete politische Scherbenhaufen ist riesig, birgt aber auch Chancen, dass man jetzt endlich aufwacht, bis hierher und nicht weiter, eine neue Grundidee sitzt in den Startlöchern. Die offizielle Amtseinführung des President-elect Biden am 20. Januar ist dann hoffentlich nur noch eine Formalie. Man wird das beobachten.“