Deutscher Corona-Hotspot Aufruhr und Hetze in Hildburghausen

So sieht es in Deutschlands Corona-Hotspot aus: Hunderte laufen am Mittwochabend durch Hildburghausen, ohne Abstand, ohne Masken, laut singend Foto: dpa/Steffen Ittig

Der Landkreis Hildburghausen weist in der Corona-Pandemie bundesweit das höchste Infektionsgeschehen aus. Ein harter Lockdown soll die Welle brechen. Ein Landrat wird wüst beleidigt und im Internet bedroht.

 
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Hildburghausen - Maher Jrab ist guter Dinge. Immerhin hat er das Glück, am Tag nach der Demo überhaupt Hähnchen in Hildburghausen (Thüringen) verkaufen zu dürfen. Es ist der erste Markttag seit Beginn der verschärften Auflagen im Landkreis mit den momentan höchsten Corona-Infektionszahlen in Deutschland. Die Stände sind weitläufig verteilt. Zum Hähnchen-Wagen tritt Uwe Heins hinzu. Er arbeitet beim Ordnungsamt und kontrolliert als Marktmeister, dass Abstände eingehalten und Masken getragen werden. „Auf jeden Fall ist sonst mehr los“, sagt auch er.„Man merkt, dass die Menschen vorsichtiger sind.“ Insgesamt erwische er nur ganz wenige ohne Maske – „und die haben in der Regel nur vergessen, sie aufzuziehen.“

Doch die Menschen in Hildburghausen können offenbar auch anders. Am Mittwochabend war in der Innenstadt die Hölle los. Mehrere Hundert ziehen da durch die Fußgängerzone, singen „Oh, wie ist das schön“, die meisten ohne Mund-Nase-Schutz und ohne Abstand. Sie protestieren gegen die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Die Polizei zerstreute die Ansammlung schließlich auch mithilfe von Pfefferspray.

Der Landrat steht jetzt unter Polizeischutz

Seit Donnerstag steht der Landrat des Landkreises, Thomas Müller, unter Polizeischutz. Er sei zuvor in den sozialen Medien beleidigt und bedroht worden und habe Anzeige erstattet, sagte ein Sprecher der Polizei in Erfurt. Die Drohung stehe „mutmaßlich im Zusammenhang mit der Corona-Schutzverordnung“, sagte der Sprecher. Die Kriminalpolizei Suhl bearbeite den Fall. Laut einem Bericht der Zeitung „Freies Wort“ hieß es in einem mittlerweile gelöschten Facebook-Post: „Müller, du dummes Schwein. Nimm Dir einen Strick und häng Dich weg“. Ein Kommentar dazu: „Ich glaube es ist besser, wenn wir ihm dabei helfen“.

Müller hatte die Proteste gegen den strengen Lockdown in Hildburghausen als unverantwortlich kritisiert. Hunderte Menschen, die am Mittwochabend durch die Südthüringer Stadt gezogen seien, hätten nicht nur sich, sondern auch andere gefährdet, sagte der CDU-Politiker. Die Protestteilnehmer seien organisiert gewesen und formiert durch Hildburghausen gezogen. „Die sind untereinander alle vernetzt, das ist dasselbe Strickmuster wie in Leipzig und Berlin – nur kleiner.“

Der Landkreis Hildburghausen ist Deutschlands Corona-Hotspot

Mit rund 630 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche hat der Landkreis bundesweit den höchsten Inzidenzwert. Um die Infektionswelle zu brechen, gelten seit Wochenmitte für die rund 63 000 Einwohner im Kreisgebiet drastische Beschränkungen: Sie dürfen bis zum 13. Dezember ihre Wohnungen nicht mehr ohne triftigen Grund verlassen, Schulen und Kindergärten wurden geschlossen.

Eine Anwohnerin hat den Marsch über die Webcam am Rathaus von zu Hause aus verfolgt. „Das Virus ist tödlich, da muss man Vernunft zeigen, das verstehe ich“, sagt sie.„Aber ich verstehe auch, dass es schwierig ist, wenn beide Eltern berufstätig sind und die Schulen und Kitas wieder dichtmachen.“

Vor einer Metzgerei werden Bratwürste gebraten. Zwei ältere Damen unterhalten sich in der Wartereihe. Eine von ihnen erzählt, sie komme aus einem Ortsteil der Kreisstadt. Eingeschränkt fühle sie sich dieser Tage überhaupt nicht. „Wir wohnen in der Natur“, sagt sie. Dass sie in der Hildburghäuser Innenstadt eine Maske tragen muss, störe sie nicht.

Im Landkreis sind derzeit alle Intensivbetten belegt

Im Landkreis sind derzeit alle Intensivbetten belegt. Das geht aus dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hervor. Das Register listet für den Kreis acht Intensivbetten auf. Sie waren am Freitag allesamt belegt, davon zwei mit Covid-19-Patienten. Diese müssen invasiv beatmet werden. Auf der Corona-Karte des Robert Koch-Instituts leuchtet der Kreis als einzige Region in Deutschland pink.

Benjamin Otto spaziert mit seinem kleinen Sohn an der Hand durch eine Gasse. Weil die Kita zu ist, kann der 36-Jährige nicht zur Arbeit. Seine Frau sei hochschwanger. Er denke nicht, dass das Virus so schlimm sei „wie alle sagen“. Er kenne jemanden, der im Krankenhaus arbeite, und er glaube nicht, dass die Intensivstationen so voll seien. Er vermutet, dass viel gelogen werde. Dann erzählt er noch, dass ihm wohl zum Jahresende gekündigt werde. Seine Firma stehe kurz vor der Insolvenz. Wegen Corona. „Es wird viel kaputt gemacht.“ Aber da ist ja noch der Nachwuchs. Deswegen will Benjamin Otto erst einmal ein „Babyjahr“ machen.

Die Nacht auf Freitag bleibt es in Hildburghausen ruhig. Dann am Freitagmittag die Meldung, dass die Polizei zu einem Einsatz an der regionalen Corona-Teststation ausrücke. In sozialen Medien haben Leute zur Blockade aufgerufen. Doch als die Beamten vorfahren, sind keine Blockierer zu sehen.

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