Deutschland-Tour 2021 Nur 208 Sekunden

Die dritte Etappe der diesjährigen Deutschland-Tour führte das Feld am Samstag durchs Coburger Land. Impressionen vom verregneten Marktplatz in Bad Rodach.

 
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Bad Rodach - Und dann sind sie wieder weg. Kaum haben sie ihre Bremsgriffe angetippt, um die scharfe Linkskurve auf den Marktplatz zu treffen, schießen sie schon davon auf die Heldburger Straße. Handgestoppte 208 Sekunden, keine dreieinhalb Minuten, dauert es vom ersten bis zum letzten Fahrer. „Oma, kommen da noch welche?“, fragt ein Junge, der sich an ein Absperrgitter drückt, nach den ersten, einer vierköpfigen Ausreißergruppe. Es kamen.

Mehr als 120 Radprofis, darunter Stars der Szene wie Christopher Froome, Mark Cavendish und Emanuel Buchmann, schlängelten sich am frühen Samstagnachmittag aus Elsa kommend durch Bad Rodach. Angeführt und gefolgt vom einem nicht enden wollenden Tross an Begleit- und Polizeifahrzeugen. Dritte Etappe der diesjährigen Deutschland-Tour, Start in Ilmenau, Ziel in Erlangen, dazwischen 191 Kilometer – und gut 50 davon durch das Coburger Land.

Sonnenbrillen raus, Sonnenbrillen rein

„So ein Event kriegen wir in naher Zukunft nicht noch einmal“, hatte Nancy Grau, Marketingleiterin der Therme Natur, im Vorfeld des Rennens beschworen. „Es wäre schade, wenn wir das, im wahrsten Sinne des Wortes, einfach an uns vorbeifahren lassen würden.“ Mit dieser Ansicht schien sie nicht allein dazustehen in der Kurstadt. Gleichwohl die Tour-Organisatoren aufgrund der Pandemie lange ein kleines Geheimnis gemacht hatten aus dem genauen Streckenverlauf, versammelten sich am Samstag zeitweise an die 400 Menschen rund um den Marktplatz in Bad Rodach. Maskenlos, um der Chronistenpflicht genüge zu tun.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es schon so viele sind“, sagt Tobias Ehrlicher, knapp eine Stunde ehe die ersten Profis über die Coburger Straße heranrollen. Ein Radsport-Fan, Herr Bürgermeister? „Ja, gut, ich finde es schon faszinierend, wie man so lange, so schnell fahren kann.“ Gleich neben Ehrlicher das nächste bekannte Gesicht, in Händen eine angebissene Bratwurst. „Heute ganz ohne Dosis“, witzelt Martin Stingl. Der Stellvertreter von Landrat Sebastian Straubel leitet seit einem guten Dreivierteljahr das gemeinsame Impfzentrum von Stadt und Landkreis Coburg. „So etwas wie heute kann man sich selbstverständlich nicht entgehen lassen.“ Jetzt darf es hier nur keinen Sturz geben, oder, Herr Ehrlicher? „Die können alle ganz gut Fahrrad fahren, habe ich gehört.“

Dass dies nicht feit vor Massenkarambolagen, weiß, wer regelmäßig die großen Rundfahrten vor dem Fernseher verfolgt. Zumal in einer 90-Grad-Kurve wie der auf den Marktplatz der Kurstadt, in der zusätzlich noch der Straßenbelag von Asphalt auf Pflaster wechselt. Feuchtes Pflaster – nachdem sich am Samstagnachmittag das Wetter über Bad Rodach quasi im Minutentakt ändert. Von strahlendem Sonnenschein, Sonnenbrillen raus, bis zum ausgewachsenen Regenguss, Sonnenbrillen rein, Regenschirme raus, ist alles dabei.

Best-of der Fetenhits-Reihe

Janine Oeckler hat das nicht abhalten können, den Weg an die Strecke zu finden. „Ich freue mich, dass einfach mal was los ist“, sagt die 36-Jährige, während Tochter Hanna („ohne H!“) um ihre Beine wuselt. Es sei schön, das C-Wort fällt, wieder rauszukommen, „so viele Leute auf einmal zu sehen.“ Das Treiben rund um den Marktplatz, es erinnert zuweilen an eine kleine Kirmes. Aus der Bratwurstbude qualmt es in Wolken vor sich hin, eine Samba-Truppe beschallt die halbe Innenstadt und in den Pausen legt der Anheizer sein Best-of der Fetenhits-Reihe auf.

„Eine tolle Stimmung!“ – Waltraud Schindler lächelt hinter ihrer getönten Brille hervor. „Ich bleibe hier, und wenn es aus Strömen regnet.“ Die 71-Jährige ist mit dem Rad gekommen („kein E-Bike!“), ihr Platz: ein schützender Hauseingang. „Wer weiß“, sagt sie, ob das so bleiben könne „oder doch wieder alles dicht gemacht werden muss.“

Es ist 13.21 Uhr, als die ersten vier Fahrer durch das Zentrum von Bad Rodach schießen. Keine dreieinhalb Minuten später folgt der letzte Nachzügler. Sturzfrei rollt das Feld über die Heldburger Straße davon gen Seßlach.

Der Junge am Absperrgitter fragt: „Waren das alle?“ „Ja“, antwortet seine Großmutter, „war cool, oder?“ „Ja.“

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