Ehrenamt Alltagshelfer sollen Lücken schließen

Peter Rauscher
Die Familie von Martina Pütterich (links) hält zusammen. Seit Jahren unterstützt sie zusammen mit ihrer Mutter (vorne) ihre Tanten, jetzt bekommt sie dafür ein paar Euro von der Pflegekasse. Foto: Ralf Münch

Alltagsbetreuer für pflegebedürftige Menschen, die Zuhause leben, sind auf dem Land oft schwer zu finden. Seit kurzem kann sich jeder im Schnelldurchgang und fast ohne Bürokratie dafür qualifizieren, und bekommt für seinen ehrenamtlichen Einsatz Geld von der Pflegekasse.

 
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Hof/Bayreuth - Wer als pflegebedürftiger Mensch zu Hause lebt, braucht oft mehr Unterstützung als eine Sozialstation leisten kann. Doch eine flächendeckende ehrenamtliche Alltagsbetreuung gibt es in Bayern nicht. Das soll sich ändern. Seit Kurzem hat fast jeder Bürger die Möglichkeit, Alltagshelfer zu werden – und dafür von der Pflegekasse auch Geld zu bekommen.

Das ist bei uns selbstverständlich

Die beiden Tanten von Martina Pütterich aus Bayreuth können sich glücklich schätzen. Seit sie zunehmend gebrechlich werden, kümmert sich ihre 51-jährige Nichte in Bayreuth um die Damen. Sie hilft im Haushalt waschen und putzen, kauft ein, begleitet sie zum Arzt, holt Holz für den Ofen.

Seit Jahren leistet sie das schon zusammen mit ihrer Mutter, wenn ihr ihre Arbeit die Zeit dazu lässt – ohne Bezahlung. „Das ist bei uns in der Familie selbstverständlich“, sagt sie. Seit Kurzem bekommt sie für ihre Hilfe auch etwas Geld. Sie kann ihre ehrenamtliche Arbeit selbst mit der Pflegekasse abrechnen. „Mein Cousin hat mich draufgebracht, dass das neuerdings geht. Er weiß es auch erst, seit er sich wegen einer Pflegeeinstufung erkundigt hat“, sagt Martina Pütterich.

Abrechnen mit der Pflegekasse

Seit 1. Januar 2021 gibt es in Bayern die Möglichkeit, als „ehrenamtlich tätige Einzelperson“ ohne eine Organisation im Hintergrund eine pflegebedürftige Person mit mindestens Pflegegrad eins im Alltag zu betreuen und den Aufwand dafür selber mit der Pflegekasse abzurechnen.

Jede Person mit Pflegegrad hat monatlich Anspruch auf 125 Euro Entlastungsbetrag, den sie für solche Alltagshilfen in Anspruch nehmen kann. Vor 2021 konnten Pflegebedürftige diese 125 Euro von der Pflegeklasse nur dann abrufen, wenn sie Alltagshilfe von einem Träger mit staatlicher Anerkennung bekamen.

Das sind die Voraussetzungen

Ute Hopperdietzel ist in der Fachstelle Demenz und Pflege Oberfranken in der Außenstelle Hof auch für die Regionen Bayreuth und Kulmbach zuständig. Sie zählt auf, was es braucht, um als „ehrenamtlich tätige Einzelperson“ anerkannt zu werden:

  • Mindestalter 16 Jahre;
  • ausreichender Versicherungsschutz (möglichst Haftpflicht und Unfall);
  • nicht verwandt oder verschwägert mit der zu unterstützenden Person bis zweiten Grades (Nichte ist dritter Grad);
  • keine häusliche Gemeinschaft mit der zu unterstützenden Person;
  • die gleiche Sprache sprechend;
  • betreuen darf man höchstens drei Personen gleichzeitig;
  • die Entschädigung muss deutlich unter dem Mindestlohn liegen – also zum Beispiel 8,50 bis zehn Euro pro Stunde. Die Gesamteinkünfte dürfen im Ehrenamt im Jahr 3000 Euro nicht übersteigen.
  • Wer keine pflegerische, hauswirtschaftliche oder medizinische Ausbildung hat, dem reicht ein achtstündiger Online-Kurs für die Qualifikation.
  • Man muss ein kostenloses „Institutionskennzeichen“ für die Abrechnung beantragen und sich bei der zuständigen Fachstelle registrieren lassen.

Versorgungslücke auf dem Land

Mit dem neuen Unterstützungsangebot durch „ehrenamtlich tätige Einzelpersonen“ will das bayerische Pflegeministerium Versorgungslücken für Pflegebedürftige vor allem auf dem Land schließen. Sozialstationen hätten oft keine Kapazitäten für niederschwellige Hilfen im Alltag, erklärt Ute Hopperdietzel. Das Ministerium habe die Hürden deshalb mit dem achtstündigen Kurs bewusst sehr niedrig gelegt. Zum Vergleich: Alltagshelfer bei anerkannten Trägern müssen mindestens einen 40-stündigen Kurs absolvieren, damit ihr Einsatz mit der Pflegekasse abgerechnet werden kann.

215 Helfer in Oberfranken

Die Fachstellen für Demenz und Pflege, die es in jedem Regierungsbezirk gibt, werben dafür, dass möglichst viele Menschen mitmachen. Offenbar mit Erfolg: In den 13 Monaten seit der Einführung ließen sich in Oberfranken 215 Einzelhelfer registrieren, bayernweit waren es knapp 1700, teilt das bayerische Pflegeministerium auf Anfrage mit. Den achtstündigen Kurs absolvierten in Oberfranken 149 Ehrenamtliche, 66 Helfer waren bereits ausreichend vorqualifiziert.

Etwa alle sieben Wochen werden die Schulungen in Oberfranken mit 20 bis 25 Teilnehmern durchgeführt. Der gerade beendete Februar-Kurs war ausgebucht, für den März kann man sich noch anmelden, sagt Hopperdietzel. Dennoch: „Dass es die Möglichkeit der ehrenamtlich tätigen Einzelperson gibt, ist noch viel zu unbekannt.“

Zufällig erfahren

Auch Martine Pütterich hat eher zufällig davon erfahren, dass sie sich für die Hilfsdienste weiterbilden und dann mit der Pflegekasse abrechnen kann. Dass sie für die Hilfe, die sie ihren Tanten seit Jahren für ein Dankeschön leistet, jetzt ein paar Euro Aufwandsentschädigung bekommt, empfindet sie als schöne Anerkennung. „Für das Geld tanke ich mal mein Auto, mit dem ich meine Tanten fahre, oder gehe mit meiner Mutter essen.“ Die Mutter ist noch fit und hilft ihren Schwestern ebenfalls. Als nahe Verwandte bleibt ihr aber der Status des ehrenamtlichen Einzelhelfers verwehrt.


Weitere Infos: www.demenz-pflege-oberfranken.de; 09281/57500; E-Mail: hopperdietzel@demenz-pflege-oberfranken.de

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