Bei mehr als 400 Artikeln im Sortiment, darunter etwa 150 verschiedene Engel, gibt es für die Malerinnen eine gewisse Abwechslung. Doch fünf von ihnen malen von morgens bis abends "nur" Gesichter. Eine der Gesichtermalerinnen ist Ina Kluge: "Es kommt schon mal vor, dass mir was danebengeht", sagt sie, "aber dann kann ich die Farbe abwischen und neu malen." Das runde Gesicht mit den rosigen Wangen ist ein Markenzeichen von Wendt & Kühn.
Die lächelnden Engel kommen dann in Kisten voll Seidenpapier und fahren hinaus in die Welt. Jedes Jahr verschickt die Manufaktur etwa 16000 Pakete an Händler. Eine Riesenspieldose im Ort zeigt Besuchern, dass hier die Heimat der Engel ist.
Hin und wieder fliegen die Engel auch nach Grünhainichen zurück. Abgeschabte, beschädigte, manchmal 80 Jahre alte Figuren schicken die Kunden zu Kirsten Fahsel. Manche haben die Stücke von der Oma geerbt, andere haben sie auf dem Trödelmarkt gefunden. Eine Restaurierung könne zwischen zehn und 5000 Euro kosten, sagt Fahsel. Das passende Muster muss gesucht, Farben müssen bestimmt und gemischt werden. Das Interesse habe in den vergangenen Jahren zugenommen: "Die Leute lernen den Wert der Dinge wieder zu schätzen."
Fans können in einer Ausstellung rund 90 Objekte aus der Firmengeschichte bewundern. Höhepunkt ist der Musterschrank. Da sind die Beerenkinder, mit denen Grete Wendt schon 1913 Preise gewann. Da sind Engel mit kunstvoll gemalten goldenen Ornamenten. Sie erinnern an baltische Motive und stammen von Olly Wendt, geborene Sommer, die aus Riga stammte. 1920 kam sie in die aufstrebende Manufaktur im Erzgebirge. Sie heiratete Johannes, den Bruder von Grete Wendt und kaufmännischen Leiter, sie prägte jahrzehntelang die Manufaktur mit.
Und tut es bis heute, denn zwei ihrer Enkel, Claudia Baer und Florian Wendt, leiten inzwischen das Unternehmen mit 195 Mitarbeitern. "Für uns als Kinder und Jugendliche war das nicht abzusehen", sagt Claudia Baer. Denn im Jahr 1972 wurde der Familienbetrieb verstaatlicht. Grete Wendt schied aus nach 57 Jahren. Ihr Sohn, der inzwischen verstorbene Hans Wendt, wurde vom "VEB Werk-Kunst Grünhainichen" als Betriebsdirektor eingestellt und konnte so die Initialen W und K, die Muster und das Können der Mitarbeiter bewahren.
Die Reprivatisierung im Jahr 1990 erlebte Grete Wendt nicht mehr, doch für Hans Wendt war sie eine große Freude, erzählt Claudia Baer: "Es war völlig klar, dass mein Vater das Unternehmen leiten würde." Ab 2001 übernahm ihr Bruder Tobias dann die Geschäfte, seit 2011 teilt sie sich die Verantwortung mit ihrem Bruder Florian. "Wir stellen uns der Herausforderung, die Tradition zu bewahren und gleichzeitig eine neue Generation zu begeistern." Wer hat heute noch eine Vitrine, in die ein ganzer Engelberg passt? Das Unternehmen reagiert; präsentiert seine Figuren etwa auf platzsparenden Wandleisten. Aber die Engel sehen immer noch aus wie vor hundert Jahren: rundlich, verspielt und beflügelt.