Eigener Inhalt Wenn Mutti früh zur Arbeit geht

Henryk
Goldberg

Der Frauentag war früher in DDR so etwas wie der Vatertag. Unsere Autorin erinnert sich.

 
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Der 8. März in der DDR war so etwas wie Vatertag für Frauen. Eines schlimmen Märztages, das Theater Erfurt war auf Abstecher in Arnstadt, muss irgendwie wieder der Bus ausgefallen sein, mit dem sie uns Kulissenschieber wieder nach Hause fuhren, wenn die Kulissen abgebaut waren. Und irgendwie müssen sie dann diesen anderen Bus aufgetrieben haben, der uns mitnahm. Darinnen befanden sich fröhliche sozialistische Bürgerinnen, rückkehrend von der Frauentagsfeier, bei welcher Gelegenheit der BGLer – wer es nicht mehr weiß oder es noch nie wusste: Das war der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung –, wohl den einen oder anderen Eierlikör ausgereicht haben musste. Am 8. März konnte so jemand "unseren Frauen und Mädchen", das war die korrekte Sprachreglung, wobei die Zuordnung zu jeweils einem der beiden Begriffe nie so verbissen gesehen wurde, am 8. März also konnte er den Frauen und Mädchen einmal so recht von Herzen zugetan sein. Ich trug, wir kamen von der Arbeit, eine Fellweste über dem Unterhemd und Jeans mit Löchern. "Hallo Kleiner", begrüßten die Damen mich, 18, 19 Jahre alt, launig und begannen, meine Verwertbarkeit zu diskutieren, nicht ohne mich gelegentlich um Bestätigung oder Verneinung ihrer heiter angestellten Vermutungen zu bitten. Vielleicht habe ich auch deshalb noch nie einem Mädchen hinterher gepfiffen, weil ich seit dieser Busfahrt ahne, wie es sich anhört.

Aber schön war es trotzdem, wenigstens für die Frauen und Mädchen. Und für die Männer und Jungen natürlich auch, die hatten so ein richtig gutes Gefühl. Auch wenn sie oft verzweifelten auf der Jagd nach ein paar Blümchen, mit denen sie ihrer Pflicht nachkamen. Der Generalsekretär empfing die besonders verdienten Frauen und Mädchen, die Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) hielt eine Rede und anderen Tages quollen die Blätter der sozialistischen Presse über von lauter emanzipationspolitisch einwandfreier Berichterstattung. Uff, und dann war wieder ein Jahr Ruhe. Und alle, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen wussten sich einig in dem Bewusstsein: Das ist ein Quark, aber ein lustiger. Wenigstens für die Frauen und Mädchen in der Deutschen Demokratischen Republik.

Wer aber eine sehr geehrte Frau oder Dame in der alten Bundesrepublik war, der musste wohl auf diese Lustbarkeit verzichten. Pralinen und Likör, Blumen und Küsschen gab’s zum Muttertag, wenn das Mädchen es zur Frau und diese es zur Mutter gebracht hatte, woraus folgt, dass der Mann nur mittelbar und retrospektiv Teil hatte an diesem Ereignis. Wer aber im Westen einen Frauentag erleben wollte, der beziehungsweise die musste eine Kämpferin sein, wogegen und wofür auch immer, vorzugsweise für den Frieden und gegen die Wiederbewaffnung. Das war, wenn er überhaupt war, ein Kampftag, anders als in der DDR, denn da waren ja, wenigstens nach der maßgebenden Auffassung der dienst- und machthabenden Männer, ja alle denkbaren Rechte bereits verwirklicht. Mit Ausnahme vielleicht des Rechtes auf eine erstklassig duftende Seife, weshalb die Ostfrauen, sofern sie kein Westgeld besaßen, die Westfrauen um diese Seife beneideten.

Dabei war das einmal etwas wirklich Wichtiges. Clara Zetkin hatte diesen Tag 1910 vorgeschlagen, es war die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen. Ursprünglich war es der 19. März, mit Bezug auf den am Vortag begangenen Gedenktag für die Gefallenen der Märzrevolution 1848. Will sagen, das war einmal ein revolutionärer Tag und es war der Tag, an dem Frauen ihre Forderungen an das Leben, an die Gesellschaft manifestierten. Und das Wahlrecht war nur die erste dieser Forderungen. In der alten Bundesrepublik tat sich die Frauenbewegung schwer mit einem von Männern dominierten Frauentag, in der DDR galten, selbstverständlich, alle Forderungen, alle Träume, die Frauen haben konnten, als erfüllt, einschließlich des Rechtes, den Kandidaten der Nationalen Front ihr Vertrauen auszusprechen. So wurde das eine ideologische Veranstaltung wie andere auch. Nur dass sie, nach Absolvierung der Rituale, ein wenig fröhlicher, ein wenig alkoholischer war, Blumen, Likör und Pralinen.

Und sie, die Frauen in der DDR, waren in gewisser Weise tatsächlich freier, in Betrachtung nämlich ihrer spezifischen Frauenrechte. Das hatte natürlich nicht nur ideologische Gründe, die DDR verstand sich nicht als in einer bürgerlichen Tradition stehend, es ging auch um Ökonomie, um die Arbeitskraft der Frauen. Erst 1958 kippte ein Gesetz in der alten BRD das alleinige Entscheidungsrecht des Mannes in allen die Ehe betreffenden Angelegenheiten – aber die gesetzliche Festschreibung der "Hausfrauenehe" blieb bestehen, bis 1977. Und bis 1962 benötigte eine Frau, wenigstens theoretisch, die Zustimmung ihres Mannes, um ein Konto zu eröffnen oder eine Arbeit aufzunehmen. Eine Ostfrau hätte das für einen lustigen Scherz gehalten und herzlich gelacht, wenn ihr jemand derlei häusliche Nachfragen nahegelegt hätte. Und, jenseits aller ethischen Haltungen zu dieser Frage, war der in der DDR ab 1972 mögliche Schwangerschaftsabbruch ein beträchtliches Stück weiblicher Selbstbestimmung. Ihnen gehörte ihr Bauch tatsächlich, auch wenn sie das niemals so gerufen haben.

Wer ermessen will, was in reichlich hundert Jahren geschehen ist, wer begreifen will, das Emanzipation ein sehr ernsthafter Begriff war und ist, der muss nur den folgenden Satz aus dem deutschen BGB lesen, das am
1. Januar 1900 in Kraft trat, es ist ein Satz, den man langsam, laut und mit Genuss lesen sollte: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu." Dass dieser Satz heute nur noch kabaretttauglich ist, das hat nicht nur, aber auch, mit dem Frauentag zu tun, mit der Haltung und mit den Kämpfen, die damit verbunden waren.

Aber heute, aber jetzt?

Heute haben wir die Quote. In den Parteien, in den Unternehmen. Gewiss, ließe sich sagen, es gibt keine Quote für das Amt des deutschen Regierungschefs und trotzdem heißt der Grund, dass seit zwölf Jahren kein Mann mehr dieses Amt ausgeübt hat, Angela Merkel. Allerdings, sie begann ihre Karriere als "Kohls Mädchen" – und ein Mann mit ihren Fähigkeiten wäre wohl nicht "Kohls Junge" geworden. Und diese Frau mit diesen Fähigkeiten hat die Chance genutzt, die ihr Geschlecht ihr bot. Auch diesen Umstand kann man eine indirekte Quote nennen. Und er steht für den Sinn der Frauenquote. Gewiss, man mag die Quote eine Albernheit nennen und in manchem Einzelfall auch eine Ungerechtigkeit – aber in einem höheren Sinne bedeutet sie wohl die Herstellung von Gerechtigkeit, die
Verwirklichung von Chancengleichheit.

Will sagen, wir brauchen die Frauenquote. Nicht nur, weil sie, aufs Ganze besehen, eine seit Jahrtausenden sich fortschreibende Ungerechtigkeit beseitigt. Es ist der reine, wohlverstandene Egoismus einer Gesellschaft, deren Gedeihen auch, nicht nur, aber eben auch, von hochqualifizierten Menschen auf allen Führungsebenen abhängt.

Es war, das sagt einer, der seinem Land DDR nun wirklich keine Träne nachweint, in der DDR tatsächlich leichter, als Frau mit Kind, als Alleinerziehende eine Karriere weiter zu betreiben. Kaum eine Studentin etwa hat ihr Studium nicht beendet, ihr Diplom nicht bekommen, weil sie ein Kind bekam. Und ehe ein staatlicher Leiter, andere als vom Staat eingesetzte Leiter gab es nicht, ehe er sich also Ärger einhandelte mit der nächsten Leitungsebene, hat er für die Frau getan, was zu tun ihm möglich und aufgetragen war, Frauenförderungsplan hieß das. Allerdings, als ich ein Kind war, da gab es ein herziges Liedchen, das jeder Ostmensch mit einem gewissen Alter kennt: "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde eine Schürze um und feg die Stube aus . . .". Wer das Land und seine Eigenarten so kennt wie der Autor, der kann daraus schließen, dass es in dieser Zeit womöglich einen Mangel an Kindergartenplätzen gab – schließlich, im Eigentlichen blieben die Kinder nicht zu Haus, sondern gingen in den Kindergarten.

Sicher, ab einer gewissen Exponiertheit im Beruf ist das Kind, das muss man so sagen, ein Problem. Es ist praktisch lösbar, wenn jemand über entsprechende finanzielle Möglichkeiten verfügt, aber selbst dann ist das mentale Problem der Mutter nicht gelöst – und es ist auch nicht zu sehen, wie es zu lösen wäre. Das Problem konnte auch die DDR nicht aus der Welt schaffen. Die vielen Männer, die die Möglichkeit der Elternteilzeit in Anspruch nehmen, stehen für den Mentalitätswandel in dieser Frage. Die Biologie ist nicht abzuschaffen – aber ihre Folgen können anders betrachtet, ihre Konsequenzen anders ausbalanciert werden. Das ist ein Prozess, der nur begrenzt steuerbar oder gar administrierbar ist. Doch die gesellschaftliche Debatte ist Teil dieses Prozesses und sie bewirkt einen Wandel sowohl in den Strukturen der Gesellschaft wie in den sozialen Beziehungen der Menschen. Schritt für Schritt, Jahr für Jahr. Quote für Quote.

Im vorigen Jahrhundert war der Internationale Frauentag eine wichtige Markierung auf diesem Weg, so wie es heute die Quote ist. Also brauchen wir ihn? Eher nicht, wenigstens nicht im Sinne eines Kampftages für Frauenrechte. In Russland ist der Frauentag ein nationaler Feiertag, also arbeitsfrei. Da haben die Männer, viele wenigstens, dem Landesbrauch folgend, Gelegenheit, ihrer Gattin zu zeigen, wo der Hammer hängt: Das Verprügeln der Ehefrau wurde dort unlängst von der Duma, dem Parlament, per Gesetz von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Um, so hieß es zur Begründung, den Frieden der Familien nicht zu stören, man müsse nicht aus "jedem Klaps" eine Staatsaffäre machen. Es gibt, so sehen wir, keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Ehren des Frauentages und dem Respekt für Frauen, dem Respekt vor ihren Rechten, die die der Männer sein sollten, aber nicht immer sind. Auch nicht im Westen.

Um diese Rechte wird hier heute jeden Tag gekämpft, mit jeder Debatte um die Quote, mit jeder Diskussion über den alltäglichen Sexismus, mit jedem Mann, der seiner Frau nicht die ganze Elternteilzeit überlässt. Aber muss man ihn deshalb abschaffen? Er ist eine Tradition, die wohl mehr in der Alltagskultur des Ostens Heimatrecht genießt als im Westen. Aber wenn ein Mann, eben aus Tradition und Herkommen, lieber den Tag der Frauen zum Vorwand nutzt, um seiner Partnerin Blumen zu schenken als den des guten alten Valentin, dann soll es so sein.

Ob Mutti nun früh zur Arbeit geht oder nicht.


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