Ein Original sagt Adieu Abschied in den Ruhestand

Wolfgang Aull

Seit 1989 kennt man Richard Schegelmilch als Abt Degen. Das „Amt“ hat er sich zunächst mit seinem Bruder geteilt. Nun gibt auch er die Aufgabe ab.

 
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„In Zeil in Zeil, da ist die Welt noch heil“. Mit diesen Worten begrüßt Richard Schlegelmilch den Redakteur, der Schalk in seinem Nacken ist unüberhörbar. Doch dann wird er ernst, das Gespräch konzentriert sich auf das Leben des Abtes:

Wir schreiben das Jahr 1625, es ist der 25. August. Bei Familie Degen im Gasthaus Adler, an der Hauptstraße der Stadt Zeil am Main gelegen, herrscht große Aufregung: Sohn Johann Kaspar hat das Licht der Welt erblickt. Noch konnte niemand ahnen, dass dieses Ereignis über Jahrhunderte hinweg zu Einträgen in den Geschichtsbüchern führen würde. Im Alter von 22 Jahren trat Degen in die Dienste des Zisterzienserklosters in Ebrach, wurde mit 24 Jahren zum Priester geweiht, hatte ab 1664 den Posten des Ebracher Verwalters inne und wurde 1658 zum Abt des Klosters erkoren. Dieses war wenige Jahrzehnte zuvor im Zuge der schwedischen Besetzung Frankens im Dreißigjährigen Krieg bis zum wirtschaftlichen Ruin schwer geschädigt worden, nun standen die wirtschaftliche Erholung und der Wiederaufbau im Focus seines Lebens und Wirkens.

Von einer Reise in die Steiermark nahm Abt Alberich Degen, wie er sich mittlerweile nannte, eine Silvanerrebe mit nach Würzburg, und diese Rebsorte entpuppte sich bekanntermaßen als eine der bis heute bedeutendsten Rebsorten Frankens und weit darüber hinaus. Dass der Silvaner ursprünglich aus Transsilvanien stammte und womöglich zuweilen den „Grafen Dracula“ betörte, sei nur am Rande erwähnt.

Zeitsprung in das Jahr 1986: der Weinbau in Zeil am Main hat eine Tradition, die bis in das 11. Jahrhundert zurückgeht, und die Stadt hat einen Sohn, der sich als Abt Degen einen großen Namen gemacht hat. Immerhin zeichnet er sich, wie berichtet, durch die Ansiedelung der Weinsorte Silvaner in Franken für einen Meilenstein in der Kultivierung des fränkischen Weinanbaus verantwortlich. Was liegt näher, als in dieser traditionsreichen Weingegend ein alljährlich zu begehendes Weinfest aus der Taufe zu heben? Und was liegt näher, als diese Feierlichkeit einem würdigen Schutzpatron, besagtem Abt Alberich Degen, ihrem Johann Kaspar, anzuvertrauen? Und was liegt näher, als der Familie Schlegelmilch diesen Posten anzudienen?

Erhard Schlegelmilch war damals der Dritte Bürgermeister der Stadt, er hat das Weinfest mitbegründet, erzählt Richard, und der Ruf sei ihm vorausgeeilt, dass er über eine ausgesprochene Begabung verfüge, Menschen zu unterhalten. Sein erster Auftritt sei entsprechend fulminant gewesen, und ehe er sich versah, war er auserkoren, nun regelmäßig dieses Amt zu erfüllen. Es ging nicht lange gut. 1989 erlitt Erhard einen Herzinfarkt, drei Tage vor der Eröffnung des Weinfestes, und schon klingelten der Erste Bürgermeister Erich Geßner, Festorganisator Thomas Fenzel und der Geschäftsstellenleiter Konrad Veith an der Haustür von Richard: „Jetzt bist Du dran!“ Die Garderobe passte, Richard stieg in die Fußstapfen seines großen Bruders. Mahnende Worte begleiteten ihn: „Du bist der perfekte Komödiant, aber nie solltest Du das Amt missbrauchen, indem Du Deinen Humor an Abt Degen auslässt. Dazu ist die Sache viel zu ernst und würdevoll!“ Die Worte saßen. Richard begleitete das Amt bestmöglich, Erhard erholte sich. In den kommenden Jahren wechselten sich die beiden Brüder mit der Aufgabe ab, ehe der Ältere seinem Bruder den Staffelstab endgültig weiterreichte.

Zu dem Amt gehörte es auch, bei der Kür der Abt-Degen-Weintal-Prinzessin zugegen zu sein, doch dabei blieb es nicht: Richard Schlegelmilch alias Abt Degen war mittlerweile weit über die Stadtgrenze von Zeil hinaus eine bekannte Persönlichkeit. Selbst die offiziellen Vertreter des Sander Weinfestes klopften erfolgreich an, ob er nicht auch ihnen die Ehre erweisen würde. Oberschwappach folgte, Trunstadt, Kitzingen, Michelau, Trimberg an der Saale und, einer seiner Höhepunkte, im Jahre 2009 Kastell. Diese hatten ein Theaterstück geschrieben und aufgeführt, welches die Geschichte von Abt Degen und seine erfolgreiche Mitnahme der Silvanerrebe aus Österreich in historischen Kostümen nachspielte. All das sind Erinnerungen, die Richard Schlegelmilch in seinem Herzen trägt.

Doch so schwer es ihm nach all diesen Erfahrungen auch fiel – Ende des vergangenen Jahres war Schluss. Schlegelmilch ist im wohlverdienten Ruhestand. Der Geist scheint noch willig, der Schalk ebenfalls, doch Vernunft und Ehefrau bestärkten ihn in dem Entschluss, zurückzutreten. „Hinter jedem großen Mann“, so sein Argument mit liebevollem Blick auf seine Frau Christa, die sein Treiben im Hintergrund stets wohlwollend unterstützte, „steht eine starke Frau“. Er denkt gerne zurück: „Die Zeiler haben mich immer gemocht!“ Und er hält mit subjektiver Überzeugung an seinem Bruder fest: „Der war noch besser als ich!“

Richard Schlegelmilch hofft, dass sich ein Nachfolger findet, doch das hat er nicht mehr in der Hand. Bei der Jahresabschlussfeier des Stadtrates 2022 verabschiedete er sich: „Jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Gerne war ich seit 1989 bereit, als Symbolfigur des Abt Degen das Zeiler Weinfest eröffnen. Nun ist es an der Zeit, dieses wunderschöne Amt, das mir so viel Freude bereitet hat, in jüngere Hände zu legen“. Und er dankt von ganzem Herzen allen, die ihn in den vergangenen dreißig Jahren als Festpatron so freundlich und herzlich angenommen haben.

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