Der Mythos besagt, dass Alfonsina Strada sich als Mann angemeldet haben soll – quasi als „die Päpstin“ des Radsports. Immerhin soll es auch Johanna einst geschafft haben, ihr Geschlecht zu verheimlichen und als Papst Johannes Anglicus den Stuhl Petri einzunehmen.
Sie wurde gebraucht
Klar ist: Beim Start wussten die Organisatoren, dass Alfonsina eine Frau ist, schlossen sie aber nicht wieder aus. Schon nach der ersten Etappe von Mailand nach Genua hatte sie einen erheblichen Rückstand. Nach acht von zwölf Etappen schied Alfonsina Strada offiziell aus der Wertung aus, weil sie die maximal zugelassene Zeit nicht einhalten konnte.
Doch auch danach durfte sie weiterfahren, die Veranstalter brauchten sie und erkannten ihren Wert: Die Frau mit den kurzen dunklen Locken wurde vom Publikum gefeiert und sorgte für Schlagzeilen – und damit für Werbung.
Als sie in Fiume ankommt, gibt sie eine Erklärung ab. Eine Frau, die Fahrrad fährt, sei möglicherweise nicht besonders ästhetisch und anmutig, sagt sie und fügt, auf die Strapazen des Rennens bezogen, hinzu: „Ich war noch nie schön. Jetzt bin ich ein Monster.“ Aber was solle sie tun, wie ihr Geld verdienen? Als Prostituierte, wir ihr manch einer vom Wegesrand aus zurief?
Ihr Mann war erkrankt, befand sich in einer psychiatrischen Einrichtung, ihr Mädchen lernte im Internat, das sie „zehn Lire pro Tag“ koste. „Manche mögen mich verspottet haben, aber ich bin zufrieden und weiß, dass ich es gut gemacht habe“, stellte sie fest.
Stürze, Demütigungen und eine Frau, die es allen zeigt
Als 31. Teilnehmerin beendete Alfonsina Strada den Giro d’Italia in Mailand, 17 Stunden nach dem offiziell Letzten der Wertung. Nach 3613 Kilometern auf dem Fahrrad, von Mailand über Genua und Florenz nach Rom, von da weiter nach Neapel, Taranto, die Ostküste Italiens hoch über Foggia, L’Aquila, Bologna bis nach Fiume und von dort über Verona wieder zurück nach Mailand. Nach Stürzen, nach Demütigungen, nie mit dem Ziel, ein Spitzenergebnis einzufahren, es aber allen zu zeigen, dass eine Frau schafft, was ein Mann schafft.
Was sie nicht mehr schafft: ein weiteres Mal am Giro d’Italia teilzunehmen. Strada macht dennoch Karriere, nimmt an Show-Rennen teil und stellt 1938 einen Stundenweltrekord für Frauen auf: 32,58 Kilometer in 60 Minuten. Dieser wird erst 1955 von Tamara Nowikowa geknackt und auf 38,473 Kilometer verbessert. Aktuell hält ihn wieder eine Italienerin: Vittoria Bussi schaffte im Oktober 2023 im Velódromo Bicentenario in Mexiko 50,267 Kilometer.
Das offizielle Frauenrennen erlebt sie nicht mehr
Einen eigenen Giro d’Italia für Frauen gibt es erst seit 1988. Das erlebte Alfonsina Strada nicht mehr. Nach dem Tod ihres ersten Mannes Luigi 1950 heiratete Alfonsina ein zweites Mal: ihren Jugendfreund und Ex-Radprofi Carlo Messori, mit dem sie ein Fahrradgeschäft in Mailand eröffnete.
1959 stirbt Alfonsina Strada nach einem Unfall mit ihrem Motorrad an einem Herzinfarkt. Die Rebellin hatte sich nach dem Tod ihres zweiten Mannes eine rote 500er Guzzi zugelegt. Im Südwesten Mailands ist heute eine Straße nach der Radfahr-Ikone benannt. Alfonsina si è fatta strada, sempre.