Die Emanzipation führt zu zufriedeneren Beziehungen für alle
Empirische Studien zeigen zudem, dass mit zunehmender Gleichstellung von Mann und Frau Beziehungen im Schnitt stabiler und erfüllender werden. Das liege laut Schobin an drei Faktoren: Menschen wählen ihre Partner freier, sie verlassen unglückliche Beziehungen schneller und verteilen soziale Lasten gerechter. „Das ist für viele sehr förderlich“, sagt er. In liberalen Gesellschaften gebe es ein „Beziehungsoptimum“ – stabile Partnerschaften, die auf gegenseitigem Wunsch beruhen. Ganz im Sinne von Benedict Wells: Gute Beziehungen schützen besser vor Einsamkeit als irgendwelche Beziehungen.
Doch nicht alle profitieren davon. In einem Armutsviertel in Südamerika untersuchte Schobin, wie sich Einsamkeit in Beziehungen äußert. Sein Fazit: „Diese Partnerschaften dort schützen Menschen oft null vor Einsamkeit.“ Nähe, Körperlichkeit und Vertrauen seien entscheidender als der bloße Beziehungsstatus.
Mehr gesellschaftliche Vielfalt bedeutet auch weniger Ausgrenzung. Früher wurden Menschen aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Hautfarbe aus sozialen Strukturen ausgeschlossen. „Viele Menschen haben lange mit dem tief verankerten Gefühl des Nichts-Wertseins gelebt“, sagt Schobin. Der Abbau von Diskriminierung verringere Einsamkeit in diesen Gruppen.
Ältere alleinstehende Männer sind eine Risikogruppe
Neben Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat Schobin jedoch eine weitere Risikogruppe ausgemacht: alleinstehende Männer. Bestattungsdaten zeigen, dass sie überdurchschnittlich oft am Ende ihres Lebens völlig isoliert sind. „Häufig fallen Männer nach Scheidungen aus dem Raster“, sagt Schobin. Ihr Freundeskreis verkleinert sich über Jahre hinweg, und am Lebensende bleiben sie oft allein zurück. „Wenn einen keiner mehr bestattet, kann nicht mehr viel übrig geblieben sein.“
Die weit verbreitete Vorstellung, dass Menschen heute generell einsamer sind, weil traditionelle Familien- und Beziehungsstrukturen nicht mehr halten, greift aus Schobins Sicht zu kurz. Netzwerke sind heute dynamischer – sie müssen aktiv gepflegt werden, um stabil zu bleiben. Die moderne Gesellschaft schafft zwar neue Formen der Einsamkeit, aber auch neue Wege, ihr zu entkommen.
Ist Einsamkeit nun auch im Körper messbar?
Biomarker
Dass Einsamkeit schmerzt und sogar krank machen kann, ist inzwischen weitläufig bekannt. Forschende der chinesischen Fudan-Universität und der britischen University of Cambridge berichten nun in der Fachzeitschrift „nature human behaviour“, sie haben Proteine gefunden, die im Blut von einsamen und sozial isolierten Menschen verstärkt kursieren – eine Art Biomarker der Einsamkeit. Für ihre Studie analysierten sie die Daten von 42 000 Menschen aus der „UK Biobank“ zwischen 40 und 69 Jahren. Diese wurden 14 Jahre lang begleitet.
Auswirkungen
Die Forscher fanden insgesamt fünf Proteine, deren Konzentration spezifisch durch Einsamkeit beeinflusst wurde. Diese Proteine stehen nicht nur mit Entzündungen und Stoffwechselprozessen in Verbindung, sondern auch mit Bereichen des Gehirns, die emotionale und soziale Prozesse steuern sowie die Wahrnehmung des eigenen Körperzustands regulieren. (nay)