Erinnerungskultur in Coburg Memorial am Marktplatz unerwünscht?

Hinterbliebene fordern seit Jahrzehnten einen angemessenen Gedenkort für die verfolgten und ermordeten Coburger Juden. Die aktuelle Planung sehen sie kritisch.

 
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Verschämt versteckt: Auf dem jüdischen Friedhof am Glockenberg erinnert ein Gedenkstein an Coburger Opfer des Holocaust. Ihre Nachkommen setzen sich für ein Mahnmal an zentraler Stelle ein: auf dem Marktplatz. Foto: Dieter Ungelenk

Ein Memorial gehört in die City!“ Jeffrey Kraus wird nicht müde, von der Stadt Coburg einzufordern, was sie sieben Jahrzehnte lang versäumt hat. Gemeinsam mit anderen Nachkommen der Coburger Juden, die während der Nazi-Herrschaft fliehen mussten, deportiert oder ermordet wurden, setzt sich der Enkel des Coburgers Max Forchheimer seit Langem dafür ein, im Zentrum der Stadt einen würdigen Ort des Gedenkens zu schaffen.

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Die Bemühungen scheinen endlich zu fruchten: Seit einem Jahr wird verstärkt über eine Erinnerungsstätte diskutiert, seit einem Monat gewinnen die Pläne Kontur. Der bislang namenlose Platz vor dem Stadtcafé am Gräfsblock soll nach der Coburgerin Ilse Kohn benannt werden, deren Schicksal beispielhaft steht für den antisemitischen Terror der Nationalsozialisten. Ihre Familie wurde ausgelöscht, sie selbst starb mit 36 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz.

Das Haus und das Geschäft der Familie Kohn, in dem Ilses Vater von einem NS-Fanatiker erstochen wurde, liegt in Sichtweite des Gräfsblocks, der von den Nazis 1937 als Verwaltungsgebäude im „Heimatschutzstil“ errichtet worden war. Sein Umfeld tauften sie „Platz der Alten Garde“. Der Vorschlag der Stadtverwaltung, den seit 1945 namenlosen Platz nach Ilse Kohn zu benennen und dort ein Mahnmal zu errichten, wurde vom Kultur- und Schulsenat sowie vom Bausenat befürwortet, auch die Planungsgruppe „Erinnerungsort für jüdisches Leben in Coburg“ sprach sich Anfang Juli intern dafür aus.

Hinterbliebene der Opfer sehen die Fokussierung auf diesen Ort hingegen kritisch und fühlen sich übergangen. Jeffrey Kraus bedauert, „dass die Planungsgruppe nicht einmal darüber diskutiert hat, ob das zentrale Mahnmal auf dem Marktplatz aufgestellt werden soll, obwohl sie schon lange weiß, dass sich die Nachkommen der Coburger Juden einig sind, dass das zentrale Denkmal an diesem Ort sein muss“. In einem Schreiben an die Presse äußert er die Hoffnung, „dass die Planungsgruppe aufgeschlossen bleibt und ihre Entscheidung rückgängig macht“.

Eine Entscheidung ist jedoch noch gar nicht gefallen, denn sie obliegt dem Stadtrat, der sich im Oktober damit befassen soll, versichert Kerstin Lindenlaub, die als Leiterin der Kulturabteilung der Stadt die Arbeit der Planungsgruppe koordiniert. Sie bedauert, dass durch unvollständige Informationen bei den Betroffenen ein missverständlicher Eindruck entstanden sei: „Niemand hat etwas dagegen, einen Gedenkort auf dem Markt zu schaffen“, versichert sie. Das Memorial am Gräfsblock solle lediglich den Einstieg in ein groß angelegtes Projekt bilden: „Unsere Idee ist es, alle Orte jüdischen Lebens in Coburg einzubeziehen“.

Darüber soll die Hinterbliebenengemeinschaft demnächst informiert werden. In dieser Woche werden die ins Englische übersetzten Unterlagen versandt, am 2. August ist eine Videokonferenz anberaumt, in der alle Fragen erörtert werden könnten. „Wir möchten die Hinterbliebenen keinesfalls brüskieren oder enttäuschen!“, betont Lindenlaub.

Verständnis für die Irritationen zeigt hingegen Gaby Schuller, die die Spuren jüdischen Lebens in Coburg erforscht, mit Nachkommen in aller Welt gut vernetzt ist und als deren Sprecherin im Planungskreis fungiert. Die Umbenennung des Gräfsblock-Areals begrüßt sie, als zentralen Gedenkort hält sie ihn hingegen für ungeeignet: „Es gibt keinen zentraleren Ort als den Marktplatz!“. Hier, vor dem ersten Rathaus Deutschlands, das die Hakenkreuzfahne hisste, veranstalteten die Nationalsozialisten ihre Aufmärsche, hier stellten sie Verfolgte und Regimegegner an den Pranger und trieben 1938 vor aller Augen die jüdische Bevölkerung zusammen, um sie zu verhaften.

Dass der Marktplatz als möglicher – und von den Nachkommen ausdrücklich gewünschter – Gedenkort im Protokoll der Juli-Sitzung nicht auftaucht, verwundert Gaby Schuller, die an dem Treffen nicht teilnehmen konnte. Ursprünglich habe der zwischenzeitlich verstorbene 3. Bürgermeister Thomas Nowak vor der Meinungsbildung die Sichtweise der Hinterbliebenen bei einer Videokonferenz kennenlernen wollen, „er wollte sie unbedingt hören und sehen“, so Schuller. Dass der Planungskreis nun bereits vor dem Online-Gespräch eine klare Position bezieht, sorge für verständlichen Unmut und Argwohn.

„Sie wollen nicht noch einmal übergangen werden“, meint Schuller mit Blick auf die vergeblichen Bemühungen, einen angemessenen Gedenkort in der einstigen Nazi-Hochburg zu schaffen. Schon 1988 besuchten Nachkommen der Coburger Juden, unter ihnen auch Jeffrey Kraus, die Heimatstadt ihrer Eltern und Großeltern, die ihnen mit unterkühlter Höflichkeit begegnete. Private Filmaufnahmen belegen die Unsensibilität, mit der ihr Anliegen beim offiziellen Stadtempfang ignoriert wurde.

Privaten Initiativen ist es zu verdanken, dass das „braune Kapitel“ der Coburger Historie nicht länger beschwiegen wird und die Geschichte der ausgelöschten jüdischen Gemeinde immer stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt – unter anderem durch rund 120 Stolpersteine vor den Häusern, in denen jüdische Bürgerinnen und Bürger lebten, bis sie vertrieben oder verschleppt wurden. Auch ein Gedenkstein erinnert an die Coburger Opfer der Shoa – doch auf dem dem jüdischen Friedhof auf dem Glockenberg findet ihn nur, wer ihn wirklich sucht.

Das Interesse, das Mahnmal aus dem Verborgenen ans Licht zu holen und im Herzen der Stadt, auf dem Marktplatz also, die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten, sei nach wie vor im offiziellen Coburg gering, fürchtet Hubertus Habel. Als ehemaliger Stadtheimatpfleger und Leiter der städtischen Sammlungen weiß er um die Probleme der Stadt mit ihrer „Vergangenheitsbewältigung“ und vermisst eine vorbehaltlose Erinnerungskultur, die auch wunde Punkte einschließt. Deutliches Indiz dafür: „Es gibt keine andere Kommune dieser Größe ohne ein städtisches Museum“.