Eröffnung im Sommer Tunnel rückt Usedom näher heran

Die Anreise zum nächsten Ostsee-Urlaub könnte weniger stressig werden: Ende Mai soll der Swinetunnel nach Usedom eröffnet werden. Die neue Unterführung von Wollin nach Swinemünde bietet Autofahrern eine Alternative zur oft mühsamen Fahrt zu den Seebädern der Insel über Anklam. Aber auch bei der Bahn tut sich was in Sachen Usedom-Anbindung.

 
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Sechs Stunden Fahrt bis Anklam oder Wolgast und dann ein langer Stau vor der Brücke, bevor man endlich auf der Insel ist und irgendwann im Schneckentempo den Strand erreicht: Damit beginnt für Autofahrer aus Oberfranken oder Südthüringen seit Jahrzehnten ein typischer Ostsee-Urlaub auf Usedom. Das könnte schon in dieser Saison viel besser werden: Ein neuer Tunnel verbindet Swinemünde am östlichen Ende Usedoms mit der Nachbarinsel Wollin und schafft damit via Stettin eine alternative Straßenverbindung zum deutschen Festland – und damit auch nach Thüringen und Bayern. Wenn alles klappt wie geplant, soll der eineinhalb Kilometer lange Swinetunnel schon Ende Mai für den Verkehr freigegeben werden.

Die Fähre hat ausgedient

Damit wird Swinemünde erstmals direkt ans polnische Straßennetz angeschlossen. Die Stadt mit ihren rund 40 000 Einwohnern ist samt Hafen durch den großen Mündungsarm der Oder geteilt und erstreckt sich über Usedom und Wollin. Das Zentrum ist vom restlichen Polen aus bislang nur durch zwei Swine-Fähren erreichbar, von denen für Auswärtige diejenige südlich der Stadt zugelassen ist. Zu Stoßzeiten, insbesondere in der Urlaubssaison, sind dort lange Wartezeiten angesagt, bei Sturm wird der Schiffsverkehr auch mal eingestellt – was nicht nur das Leben und die Wirtschaft in Swinemünde beeinträchtigt. Das Nadelöhr macht bisher auch die Strecke über Stettin und die Ostseite des Haffs als Anfahrtsweg in den deutschen Teil Usedoms unattraktiv. Dabei führt die Küstenstraße von Swinemünde unmittelbar zu den Dreikaiserbädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, und eine zweite Straße verbindet die polnische Hafenstadt über Garz mit der B 109 und dem ostvorpommerschen Festland.

Route über Stettin wird beschleunigt

Diese – nicht sonderlich gut ausgebaute – Route zwischen Usedom, Anklam und der A 20 bei Pasewalk ist bisher der klassische Anreiseweg für deutsche Usedom-Urlauber. Zu den rund 100 anstrengenden und stauanfälligen Landstraßenkilometern zwischen Autobahn und Ahlbeck samt Klappbrücke zur Insel gibt es nun mit dem Swinetunnel erstmals eine ernsthafte Alternative via Stettin. Bis hinter die polnische Großstadt führen die Autobahnen A 11 und A 6, zusätzlich soll schon bald mit dem Bau einer Stettiner Westumfahrung einschließlich eines fünf Kilometer langen Oder-Tunnels begonnen werden, die die Fahrt nach Norden zusätzlich beschleunigen dürfte. Die anschließende polnische Staatsstraße S 3 ist inzwischen bis Wollin vierspurig und autobahnähnlich ausgebaut, und im Laufe des Jahres soll auch das restliche Schnellstraßen-Teilstück bis zum Tunnel nach Usedom fertig sein. Was bedeutet: Von Suhl bis Swinemünde muss man künftig die Autobahn nicht mehr verlassen.

Über das Bautempo in Polen können deutsche Beobachter nur staunen. Weniger als fünf Jahre vergingen beim Swinetunnel von der Vertragsunterzeichnung 2018 mit einem türkisch-österreichischen Konsortium über den Baubeginn im Februar 2019 bis zur Übergabe, einschließlich Corona-bedingter Verzögerung beim Einsatz der chinesischen Tunnelbohrmaschine. 940 Millionen Zloty (200 Millionen Euro) kostet das Projekt, das aus einem 1440 Meter langen Tunnel und 1700 Metern Zufahrtsstraßen besteht. 85 Prozent der Kosten schießt die EU zu, den Rest zahlt die Stadt Swinemünde, die in etwa so groß wie Suhl ist. Das Bohren des Tunnels selbst dauerte ein halbes Jahr – von März bis September 2021. Anfang Dezember vorigen Jahres war die unterirdische Fahrbahn fertiggestellt, derzeit laufen die – per Webcam laufend dokumentierten – Abschlussarbeiten samt Anbindung der Rampen an das städtische Straßennetz und an die Grenzübergänge nach Deutschland.

Verkehr auf der Inseln wird zunehmen

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte beim Beginn der Bohrarbeiten von einer dank Tunnel starken Küstenregion gesprochen, „die nicht nur ein Fenster zur Welt bildet, sondern Polen integriert und unsere Entwicklungschancen stärkt”. Mit der deutschen Seite abgesprochen wurde das Projekt nicht, obwohl der Tunnel weniger als vier Kilometer von der Grenze entfernt endet. Auch in der heimischen Berichterstattung über den Bau – immerhin aktuell die längste Unterwasserquerung Polens – spielt die Anbindung zum Nachbarland keine große Rolle.

Swinemünde gehörte wie ganz Usedom und Wollin bis 1945 zu Deutschland. Die nach dem Zweiten Weltkrieg gezogene Oder-Neiße-Grenze trennte die Stadt vom Rest Usedoms ab. Seitdem ist sie polnisch.

In Deutschland sieht man den Swinetunnel keineswegs nur positiv. Zwar sind einstige Bedenken, man hole sich jede Menge Lkw-Durchgangsverkehr nach Usedom, einstweilen unbegründet. Selbst wenn in vermutlich fünf Jahren auch noch ein neuer Containerhafen mehr Frachtverkehr nach Swinemünde bringen wird: Die beiden Grenzübergänge sind auf deutscher Seite für schwere Fahrzeuge gesperrt, auf der B 110 beträgt das Höchstgewicht 7,5 Tonnen, über Ahlbeck ist schon bei 3,5 Tonnen Schluss. Daran soll sich auch bis auf Weiteres nichts ändern. „Wir gedenken nicht, diese Tonnage-Beschränkungen aufzuheben“, betonte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) im Oktober. „Das heißt, Lkw haben dann keine Möglichkeit, diese Straßen zu benutzen.“

Allerdings ist der neue Tunnel nicht nur für ost- und süddeutsche Usedom-Urlauber und für die Swinemünder selbst attraktiv, sondern für weitere Gruppen von Autofahrern. Auf dem Weg von Hamburg, Nordwestdeutschland und auch von Rügen an die polnische Festlands-Ostsee Richtung Danzig erspart er den bisherigen Umweg über Stettin. Als ausgemacht gilt daher, dass der Tunnel noch mehr Autoverkehr nach Usedom bringt. Großartig mit Straßenausbau reagieren will man auf deutscher Seite indes nicht. Immerhin soll nun eine Ortsumgehung der Bundesstraße 110 im schon jetzt stark belasteten grenznahen Zirchow forciert werden. Zwei Kreisverkehre sollen entstehen und die B 110 nach Anklam verbreitert werden, heißt es. Mehr nicht. Die Opposition im Schweriner Landtag wirft der SPD-geführten Landesregierung angesichts dessen vor, die Entwicklung verschlafen zu haben. Die wiederum folgt mit dem Verzicht auf allzu große Ausbaumaßnahmen einer Warnung von Gutachtern: Je besser die Straßen auf deutscher Seite, desto mehr Durchgangsverkehr von und nach Polen auf der Ferieninsel würde es geben.

Konkurrenz für deutsche Badeorte

Viel schwerwiegender sind aber die Befürchtungen in Vorpommern, künftig noch mehr Ostseeurlauber an die polnische Konkurrenz zu verlieren. Schon jetzt sind Feriengäste in wenigen Minuten von den deutschen Seebädern aus in Swinemünde. Längst sind Strand und Promenade dort grenzenlos, die einst graue und industriegeprägte Hafenstadt putzt sich mehr und mehr heraus. Sie bietet zwar nicht das edle Ambiente der deutschen Kaiserbäder, aber dafür das sonst auf Usedom vermisste urbane Flair. Künftig werden auch die polnischen Seebäder auf Wollin und auf dem Festland nur noch einen Katzensprung von Usedom entfernt sein. Küstenziele wie Misdroy, Międzywodzie (Heidebrink) oder Kolberg werden bereits seit Jahren bei kostenbewussten Deutschen immer beliebter. Zwar sind die Preise auch in Polen zuletzt stark angezogen. Ein Ostsee-Urlaub ist dort aber nach wie vor weit billiger als in Deutschland. Auch wenn etwa Jan Pawełczyk, Hotelier in Swinemünde in einem Interview beschwichtigt, Preisunterschiede seien kein echtes Argument mehr. „Das gleicht sich an“, meint er.

„Einige deutsche Touristen werden definitiv die Entscheidung treffen, weiter nach Kolberg, Misdroy oder Stettin zu fahren“, sagt indes der Swinemünder Stadtpräsident Janusz Zmurkiewicz in einem Gespräch mit der „Ostsee-Zeitung“ (OZ) voraus. Umgekehrt seien aber auch viele Polen neugierig auf die deutsche Ostsee, die sie durch den Tunnel schneller erreichen könnten. Für den Bürgermeister der bislang vom Rest Polens abgeschnittenen Stadt erfüllt das Projekt einen politischen Lebenstraum. Und es weckt weitere Träume. Swinemünde möchte die jährliche Zahl der Übernachtungen von jetzt 1,5 auf 2,5 Millionen erhöhen. Zum Vergleich: Die drei deutschen Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck zusammen hatten vor Corona zuletzt rund 3,7 Millionen Übernachtungen im Jahr.

Kaiserbäder-Kurdirektor Thomas Heilmann sieht den Tunnel daher vor allem als Herausforderung. Man werde durch Qualität gegenüber der polnischen Konkurrenz punkten. „Wenn Berliner, Brandenburger und Thüringer den bequemeren Weg nehmen und durch den Tunnel fahren, dann müssen wir ihnen die Argumente liefern und besser sein, damit sie halt die drei Kilometer weiterfahren“, sagte er schon zu Baubeginn. Seine Prognose: „Wenn wir nichts tun, verlieren wir mit dem Swinetunnel zehn Prozent der Urlauber an unsere Nachbarn.“

„Wir werden Gäste verlieren“, zitiert die OZ auch André Domke, den Chef einer inselbekannten Fischrestaurantkette. Weil die Polen viel investieren, sei dort vieles neuer und lebendiger. Und viel preisgünstiger. „Wenn die Leute noch schneller dahin kommen, wird das schwer für uns“, sagt Domke. „Das wird hier alles verändern.“ Andere Deutsch-Usedomer sind da optimistischer: „Wir werden gemeinsam als Region wachsen. Bessere Erreichbarkeit ist für alle ein Vorteil“, sagt eine Insel-Unternehmerin.

Egal ob Chance oder Risiko: Der Swinetunnel bringt auch die Frage der Bahnanbindung der Ostseeinsel wieder auf die Tagesordnung. Zwar betreibt die Usedomer Bäderbahn (UBB) an der Küste einen Stundentakt mit modernen Regionalbahnen. Die Züge fahren sogar seit 2018 bis über die Grenze zum neuen Bahnhof Świnoujście-Centrum. Allerdings im Bimmelbahntempo. Für Fernreisende ist die Anbindung erst recht viel zu langsam und umständlich. Von Berlin aus muss man einen weiten Umweg über Wolgast nehmen und überdies in Züssow umsteigen, von wo man nochmals 75 Minuten bis Heringsdorf braucht. Bei der alternativen Variante über Stettin endet die – ebenfalls nicht allzu schnelle – Bahnstrecke auf der Ostseite Swinemündes. Auch künftig, denn im Swinetunnel gibt es keine Bahnröhre. Nach Usedom geht es für Zugfahrer, Fußgänger und Radfahrer weiter mit der innerstädtischen Swinefähre, die bestehen bleibt.

Auch bei der Bahn gibt es Pläne

Seit Jahrzehnten gibt es Überlegungen, die kürzere deutsche Bahnverbindung über den Süden der Insel nach Swinemünde wiederzubeleben. Bis 1945 setzten die Züge über eine Hubbrücke in Karnin vom Festland über; die einzigartige Konstruktion ist seit Kriegsende nur noch eine Ruine. Die Gleise sind längst abgerissen und auf polnischer Seite sogar städtisch überbaut.

Am 9. Januar nun hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns erstmals den Wiederaufbau dieser Alt-Strecke auf die politische Tagesordnung gesetzt und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung angekündigt. Bereits in anderthalb Jahren soll eine konkrete Vorplanung vorliegen mit dem Ziel, in den 2030er Jahren wieder Züge rollen zu lassen. Favorisiert wird ein fünf Kilometer langer neuer Abzweig von der einstigen Trasse, die dann nicht mehr über heute polnisches Gebiet führen und stattdessen in Heringsdorf auf die UBB-Strecke Züssow–Swinemünde treffen würde. Das Nachbarland halte einen Wiederaufbau der überbauten Gleise in Swinemünde für unrealistisch, heißt es in der Mitteilung des Schweriner Wirtschaftsministeriums. Dort rechnet man samt einer neuen oder sanierten Haffbrücke mit Kosten von 700 Millionen Euro. Kritiker bezweifeln, dass diese Investition sich rechnet, zumal es ohne grenzüberschreitenden Verlauf keine EU-Fördermittel gibt, und schlagen stattdessen den Ausbau der Verbindung über Wolgast vor. So oder so würde es viele Jahre dauern, bis die Gleise liegen.

Mit dem Wiederaufbau der Strecke würde sich die Reisezeit per Bahn von Berlin in die Dreikaiserbäder fast halbieren, von jetzt knapp vier auf rund zwei Stunden. Addiert man die drei Stunden dazu, die die Fahrt aus Coburg oder Suhl nach Berlin dauert, wäre man dann in der fernen Zukunft in fünf Stunden mit dem klimafreundlichen Zug an den östlichen Stränden Usedoms. Eine Fahrzeit, die auch der neue Swine-Straßentunnel wohl nicht toppen kann.

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