Kaiserbäder-Kurdirektor Thomas Heilmann sieht den Tunnel daher vor allem als Herausforderung. Man werde durch Qualität gegenüber der polnischen Konkurrenz punkten. „Wenn Berliner, Brandenburger und Thüringer den bequemeren Weg nehmen und durch den Tunnel fahren, dann müssen wir ihnen die Argumente liefern und besser sein, damit sie halt die drei Kilometer weiterfahren“, sagte er schon zu Baubeginn. Seine Prognose: „Wenn wir nichts tun, verlieren wir mit dem Swinetunnel zehn Prozent der Urlauber an unsere Nachbarn.“
„Wir werden Gäste verlieren“, zitiert die OZ auch André Domke, den Chef einer inselbekannten Fischrestaurantkette. Weil die Polen viel investieren, sei dort vieles neuer und lebendiger. Und viel preisgünstiger. „Wenn die Leute noch schneller dahin kommen, wird das schwer für uns“, sagt Domke. „Das wird hier alles verändern.“ Andere Deutsch-Usedomer sind da optimistischer: „Wir werden gemeinsam als Region wachsen. Bessere Erreichbarkeit ist für alle ein Vorteil“, sagt eine Insel-Unternehmerin.
Egal ob Chance oder Risiko: Der Swinetunnel bringt auch die Frage der Bahnanbindung der Ostseeinsel wieder auf die Tagesordnung. Zwar betreibt die Usedomer Bäderbahn (UBB) an der Küste einen Stundentakt mit modernen Regionalbahnen. Die Züge fahren sogar seit 2018 bis über die Grenze zum neuen Bahnhof Świnoujście-Centrum. Allerdings im Bimmelbahntempo. Für Fernreisende ist die Anbindung erst recht viel zu langsam und umständlich. Von Berlin aus muss man einen weiten Umweg über Wolgast nehmen und überdies in Züssow umsteigen, von wo man nochmals 75 Minuten bis Heringsdorf braucht. Bei der alternativen Variante über Stettin endet die – ebenfalls nicht allzu schnelle – Bahnstrecke auf der Ostseite Swinemündes. Auch künftig, denn im Swinetunnel gibt es keine Bahnröhre. Nach Usedom geht es für Zugfahrer, Fußgänger und Radfahrer weiter mit der innerstädtischen Swinefähre, die bestehen bleibt.
Auch bei der Bahn gibt es Pläne
Seit Jahrzehnten gibt es Überlegungen, die kürzere deutsche Bahnverbindung über den Süden der Insel nach Swinemünde wiederzubeleben. Bis 1945 setzten die Züge über eine Hubbrücke in Karnin vom Festland über; die einzigartige Konstruktion ist seit Kriegsende nur noch eine Ruine. Die Gleise sind längst abgerissen und auf polnischer Seite sogar städtisch überbaut.
Am 9. Januar nun hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns erstmals den Wiederaufbau dieser Alt-Strecke auf die politische Tagesordnung gesetzt und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung angekündigt. Bereits in anderthalb Jahren soll eine konkrete Vorplanung vorliegen mit dem Ziel, in den 2030er Jahren wieder Züge rollen zu lassen. Favorisiert wird ein fünf Kilometer langer neuer Abzweig von der einstigen Trasse, die dann nicht mehr über heute polnisches Gebiet führen und stattdessen in Heringsdorf auf die UBB-Strecke Züssow–Swinemünde treffen würde. Das Nachbarland halte einen Wiederaufbau der überbauten Gleise in Swinemünde für unrealistisch, heißt es in der Mitteilung des Schweriner Wirtschaftsministeriums. Dort rechnet man samt einer neuen oder sanierten Haffbrücke mit Kosten von 700 Millionen Euro. Kritiker bezweifeln, dass diese Investition sich rechnet, zumal es ohne grenzüberschreitenden Verlauf keine EU-Fördermittel gibt, und schlagen stattdessen den Ausbau der Verbindung über Wolgast vor. So oder so würde es viele Jahre dauern, bis die Gleise liegen.
Mit dem Wiederaufbau der Strecke würde sich die Reisezeit per Bahn von Berlin in die Dreikaiserbäder fast halbieren, von jetzt knapp vier auf rund zwei Stunden. Addiert man die drei Stunden dazu, die die Fahrt aus Coburg oder Suhl nach Berlin dauert, wäre man dann in der fernen Zukunft in fünf Stunden mit dem klimafreundlichen Zug an den östlichen Stränden Usedoms. Eine Fahrzeit, die auch der neue Swine-Straßentunnel wohl nicht toppen kann.
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