Erste Hilfe bei Angststörungen Was hilft gegen Panikattacken?

Nina Ayerle

Panikattacken sind zwar körperlich harmlos, doch Betroffene fühlen sich oft, als schwebten sie in Lebensgefahr. Was bei einer Panikstörung wirklich hilft.

 
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Vor allem überfüllte, öffentliche Verkehrsmittel rufen bei Menschen mit einer Angststörung Panikanfälle hervor. Foto: IMAGO/Zoonar/Kasper Ravlo

Herzrasen, Zittern, Brechreiz, Schwindelanfälle, Schweißausbrüche und das Gefühl, irgendwie neben sich zu stehen. Körperlich sind Panikattacken zwar eigentlich harmlos, aber sie sind furchtbar unangenehm. Viele haben dabei Todesängste oder die Angst, verrückt zu werden. Und deshalb denken viele Menschen, die ein oder mehrmals eine Panikattacke erlebt haben: „Dieses Gefühl will ich nie wieder erleben.“ Panikattacken sind ein Kontrollverlust. Und genau den mögen viele nicht.

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Gerade deshalb tun viele dann das, was man nach einem Panikanfall überhaupt nicht tun soll: Sie meiden Situationen, in denen die Panik aufgetreten ist. Erst ist es das Autobahn fahren, dann öffentliche Verkehrsmittel und im schlimmsten Fall verlassen Betroffene irgendwann ihr eigenes Haus nicht mehr, weil alles draußen eine potenzielle Bedrohung ist. Sie sind gefangen in ihrer Angst. Der Angst vor der Angst. Das ist ein Teufelskreis, den viele nicht so einfach wieder auflösen können.

Bei vielen entwickelt sich dann eine Angststörung. Diese gilt als eine der häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Rund 15 Prozent der Bevölkerung sind laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) betroffen. Frauen seien deutlich häufiger betroffen als Männer. Trotzdem würde in knapp der Hälfte der Fälle die Störung nicht erkannt und leitliniengerecht behandelt.

Angststörungen sind teils genetisch bedingt

Die Folge ist dann häufig, dass die Ängste chronisch werden oder Betroffene zu Suchtmitteln greifen, um die Panikgefühle zu überdecken, viele rutschen in eine Depression, weil ihr Leben nur noch aus Vermeidung besteht. Ob wir an einer Angststörung erkranken, ist tatsächlich teils genetisch bedingt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Störung wirklich im Laufe unseres Lebens ausbricht. Dies sei erst dann der Fall, so heißt es von der DGPPN, wenn bestimmte Umweltfaktoren hinzukommen. Auslöser können Familienkonflikte sein, Mobbing, Trennungen oder Todesfälle im nahen Umfeld, aber auch eigentlich schöne Ereignisse wie die eigene Hochzeit, die Geburt eines Kindes oder sogar eine Beförderung im Job.

Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass dies damit zu tun hat, dass in solchen Situationen vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Und dann bricht die Störung aus. Doch, die gute Nachricht ist: Schon nach sechs Wochen Psychotherapie können sich die Symptome immens verbessern. Das hat die Freiburger Psychiaterin Katharina Domschke, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg, mit ihrem Team bereits im Jahr 2017 in Untersuchungen herausgefunden.

Ob die Angst ausbricht, hat oft mit äußeren Umständen zu tun

In einem Dossier der DGPPN über Angststörungen hat Domschke die Forschung so zusammengefasst: „Die Angst-Gene schlafen gewissermaßen“, erklärt Professorin Domschke, „sie haben eine Art chemische Schlafmütze aufgesetzt, die sie schützt.“ Die Wissenschaftler nennen das „methyliert“. Durch eine Therapie könnten die Gene die Schlafmützen wieder aufsetzen.

Für viele Betroffene klingt dies zunächst abstrakt. Sie haben vor allem das Gefühl, sie können ihrem Körper nicht mehr vertrauen. Setzen sie sich angstmachenden Situationen aus, spielen ihr Körper und ihre Psyche verrückt. „Charakteristisch für die Panikstörung ist, dass die Panikattacken unvorhersehbar und abrupt auftreten und weder an bestimmte Orte noch an bestimmte Situationen gekoppelt sind“, schreibt die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Franca Cerutti in ihrem Buch „Psychologie to Go“. Oft träfen sie uns „aus heiterem Himmel“.

Problematisch sei gar nicht, dass wir mal einen Panikanfall haben. Dies hätten rund 22 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens. Schwierig wird es nämlich erst dann, wenn wir Angst vor der Angst entwickeln oder eine ständige „Erwartungsangst“ hätten vor dem nächsten Panikanfall.

Aber was passiert vor dem ersten Panikanfall? „Bei Menschen mit einer Panikstörung wurden signifikant mehr belastende Lebensereignisse in den letzten zwölf Monaten vor dem ersten Angstanfall festgestellt als bei einer Kontrollgruppe“, schreibt Cerutti. Außerdem zeigten sich mehr biografische Belastungsfaktoren, wie Gewalt oder Alkohol im Elternhaus, Tod eines Elternteils, Trennung der Eltern oder sexueller Missbrauch. Über die Hälfte der Panikpatienten leide zudem an einer Depression.

Die wenigsten schaffen es ohne therapeutische Hilfe

Inzwischen gibt es viel Literatur zum Thema, Selbsthilfegruppen oder auch Foren im Internet, in denen Betroffene sich austauschen. Trotzdem gelingt es den wenigsten eine Panikstörung alleine auf Dauer in den Griff zu bekommen.

Für die Selbsthilfe ist es essenziell zu lernen, mit einer Panikattacke richtig umzugehen: Also weder Flucht, Vermeidung noch Ausweichen lösen das Problem auf Dauer, sondern verschlimmern die Panikanfälle nur noch. Betroffene sollten daher lernen sowohl die Angst zu akzeptieren als auch positive Selbstgespräche und Atemübungen.

In der Regel ist aber eine therapeutische Unterstützung sinnvoll, um die Angst- und Panikstörung auch langfristig in den Griff zu bekommen. Hilfe finden Betroffene bei Psychologen und Psychiatern. Vor allem eine kognitive Verhaltenstherapie, so hat sich in Studien gezeigt, gilt als effektivste Methode bei Ängsten.

Inzwischen finden sich im Internet auch viele Hilfsangebote von Coaches, Heilpraktikern für Psychotherapie oder andere alternativmedizinische Angebote. Dabei ist immer Vorsicht geboten. Versprechen, wonach Ängste mit einfachen Übungen oder Autosuggestion oder ähnlichem innerhalb kürzester Zeit geheilt werden können, sind in der Regel nicht zu trauen. Auch von Angeboten „So heilen Sie Ihre Ängste in wenigen Schritten“ sind selten zu trauen und damit schlicht unseriös.

In der Verhaltenstherapie geht es um die Konfrontation mit den Ängsten

Die verlässlichste Methode, Ängste loszuwerden, ist sie zu überwinden. Das heißt schlicht: Konfrontation. Und dies immer wieder. Betroffene sollten also die angstmachenden Situationen Schritt für Schritt wieder angehen; ist eine Stufe geschafft, folgt die nächste. Das bedeutet konkret: Wer starke Ängste beim Autobahn fahren hat, sollte mit einem kurzen Streckenabschnitt beginnen. Am besten ist es, einen Zeitpunkt zu wählen, wo wenig los ist auf den Straßen. Nach und nach sollte man sich dann steigern und sich immer höhere Ziele setzen – aber erst dann, wenn die vorherige Stufe sehr gut gelingt.

Auch Medikamente können bei Angststörungen helfen. So werden in dem Zusammenhang häufig Selektive-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verschrieben. In Studien haben sie eine gute Wirksamkeit bei Ängsten gezeigt. Allerdings helfen die Medikamente nur solange sie eingenommen werden, sie heilen die Ängste nicht. Werden sie wieder abgesetzt, können die Ängste also zurückkommen. Deshalb empfiehlt die aktuelle Leitlinie bei Angst- und Panikstörungen mindestens eine Kombination aus medikamentöser Therapie und einer Psychotherapie.

Denn oft überdeckt eine Panikstörung tieferliegende Konflikte im Leben. Die Angst „beschützt“ Betroffene sozusagen. In einer Therapie geht es also zunächst nur anfangs darum, den Symptomen einer Panikattacke den Schrecken zu nehmen, in dem die körperlichen Hintergründe der Panik erklärt werden. Vielen Patienten hilft dann schon das Wissen um die Angst und ihr Ablauf, besser mit den Attacken umgehen zu können. „Die Oberfläche ist damit schnell geklärt“, schreibt Cerutti.

Wichtig sei es danach die Symptomatik und ihren Kontext zu verstehen und intensiv zu beleuchten – oft löste sich die Panik dann auf, so die Psychologin. Das ist allerdings ein längerer Prozess. Und auf den muss man sich einlassen.

Wichtig ist also, sich rechtzeitig qualifizierte Hilfe zu holen. Auch bei Büchern und Selbsthilfe-Tools gilt: Sie sollten von ausgebildeten psychologischen Psychotherapeuten oder Psychiatern sein. Bücher von anderen Betroffenen mögen ebenfalls noch hilfreich sein, um sich mit seiner Störung nicht alleine zu fühlen, eine professionelle Hilfe sind sie nicht. Denn die zugrunde liegenden Konflikte sind oft doch sehr unterschiedlich.

Anlaufstellen in Stuttgart für Menschen mit einer Angst- und Panikstörung

Notdienst
Bei akuten Notfällen ist der örtliche Rettungsdienst unter 112 zu erreichen. Panikattacken können auch körperliche Ursachen haben, für einen Laien ist dies zunächst nicht zu unterscheiden. Auch der Notdienst, kann oft schon erste Auskunft geben. Dieser ist überall unter 116 117 zu erreichen.

Sozialpsychiatrischer Dienst
Der Sozialpsychiatrische Dienst https://www.klinikum-stuttgart.de/fileadmin/mediapool/downloads/KBC_GPZ_Flyer_V1.pdf ist ebenfalls für Menschen mit psychischer Erkrankung zuständig

Telefonseelsorge
Anonyme Hilfe und Beruhigung bei einer Panikattacke, vor allem wenn man alleine ist, kann auch die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 0800 111 0 111 oder per Chat via online.telefonseelsorge.de bieten.

Hausarzt
Für einen ersten Check-up nach einer Panikattacke ist zunächst der Hausarzt zuständig. Wenn körperlich alles in Ordnung ist, kann dieser zu einem Psychiater oder einer Psychotherapeutin überweisen. Ein Psychiater hat Medizin studiert und einen Facharzt in Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie absolviert. Ein Psychologe hat ein Psychologiestudium abgeschlossen (Master oder Diplom), psychologische Psychotherapeuten haben zusätzlich eine Therapieausbildung in Verhaltenstherapie, Psychoanalyse oder in der tiefenpsychologisch fundierten Therapie abgeschlossen. Nur sie dürfen eine Therapie durchführen. Listen mit anerkannten Therapeuten gibt es in der Regel bei der Krankenkasse.

Ambulanz
Für dringende und schwere Notfälle gibt es verschiedene Psychiatrische Institutsambulanz in Stuttgart: Am Klinikum Stuttgart ( https://www.klinikum-stuttgart.de/kliniken-institute-zentren/klinik-fuer-spezielle-psychiatrie-sozialpsychiatrie-und-psychotherapie/behandlungszentrum-fuer-affektive-stoerungen/behandlungsangebote/psychiatrische-institutsambulanz-pia) sowie am Furtbachkrankenhaus (https://www.fbkh.org/pia/) und am Rudolf Sophien Stift (https://www.rrss.de/klinik/psychiatrische-institutsambulanz)

Alternative Hilfsangebote
Bei leichten psychischen Problemen kann auch ein Coaching helfen. Auch Heilpraktiker für Psychotherapie bieten teils Hilfe bei Ängsten und Panik an – oft sind hier die Wartezeiten kürzer. Allerdings haben sie keine psychotherapeutische oder medizinische Ausbildung, sie werden nicht von den Krankenkassen übernommen. Zudem gibt es keine standardisierten Behandlungen nach den gängigen Leitlinien zur Behandlung einer Angst- und Panikstörung.

Ambulanz
Für manche Betroffene kann auch der Austausch mit anderen Erkrankten sehr hilfreich sein. Selbsthilfegruppen bieten oft Hilfe zur Selbsthilfe. Eine Gruppe gibt es in der bei der Selbsthilfekontaktstelle KISS Stuttgart (https://www.kiss-stuttgart.de/selbsthilfegruppen-initiativen/gruppen/angsterkrankungen/). (nay)