Das Lied verkörpert auch automatisch das Land
Dabei verkörpert der Song, den jedes Land präsentiert, auch automatisch in gewisser Weise das Land und die aktuelle Stimmungslage desselben. Lena schaffte es mit ihrer natürlichen Art, sich und Deutschland schon im Vorfeld entsprechend positiv zu vermarkten, sodass ganz Europa im Lena-Hype war. Nicoles „Ein bisschen Frieden“ entsprach in den 1950er Jahren ebenfalls dem Zeitgeist – dem großen Wunsch nach Frieden. Nun also die Krawallmacher Lord of the Lost, im Jahr zuvor Malik Harris Lied „Rockstars“, das sicher nicht zu den schlechtesten Auftritten gehörte, aber auch nicht im wirklich Gedächtnis blieb.
Anders dagegen „Guido Horns „Guildo hat euch lieb“ im Jahr 1998. Peinlicher geht’s nicht mehr, dachte sich damals so manch ein Zuschauer. Und doch schoss Horn Deutschland damit in die Top Ten. Unvergessen sicherlich auch Stefan Raabs Gaga-Song „Wadde hadde dudde da“ im Jahr 2000. Doch Europa fand Gefallen an dem – auch weil Raab den ESC damit ein wenig auf die Schippe nahm. Deutschland bekam dafür Platz fünf.
Sympathisch an diesen Liedern war insbesondere, dass sich die Deutschen damit selbst nicht ganz so ernst nahmen. Vor allem in der heutigen krisenbehafteten Zeit wollen viele kein Lied von Traurigkeit hören, sondern eines, das Leichtigkeit vermittelt.
Absolut glücklos hingegen war der Auftritt von Jendrik vor drei Jahren, der dabei ein wenig an Barbies Ken erinnerte, mit seinem Lied „I dont feel hate“. Den Fremdschämeffekt löste hier eine überdimensionierte Hand aus, in der eine Frau steckte und neben dem Sänger tanzte. Die Hand sollte eigentlich ein Peace-Zeichen formen. Stattdessen sah sie streckenweise wie ein gestreckter Mittelfinger aus. Fans reagierten entsetzt. „Deutschland zeigt Europa den Mittelfinger“, titelte daraufhin unter anderem das Portal VIP.
Am Freitagabend treten im deutschen Finale neun Kandidaten gegeneinander an, um sich nach Schweden zu singen – darunter Newcomer wie Floryan, der beim Vorentscheid „Ich will zum ESC“ gewonnen hat und nun auf ESC-erfahrene Sänger wie Max Mutzke trifft. Einen Hype wie bei Lena vor 14 Jahren konnte bislang noch keiner der Teilnehmer auslösen. Das liegt aber vielleicht auch an der wenig charmanten Sendezeit von 22 bis 0 Uhr. Auch der Vorentscheid „Ich woll zum ESC“ wurde fast still und heimlich digital abgefrühstückt – während andere Länder diese Vorrunden mit diversen Festivals gerade zu zelebrieren – ähnlich wie es vor Jahren schon Stefan Raab hat mit seinen TV-Vorentscheid-Spektakeln geschafft hat.
Insbesondere die skandinavischen Länder präsentieren dadurch jedes Jahr hochkarätige Acts durch eine ordentliche Vorauswahl, während Deutschland, so das Urteil unter anderem von Youtuber „PlietSchnack“ mit rund 100.000 Followern, nun „wieder mit relativ langweiligem Standard-Pop“ in den Vorentscheid gehe.
Die deutsche Final-Show für den ESC läuft am Freitagabend ab 22.05 Uhr live auf eurovision.de, im Ersten, auf ONE sowie in der ARD Mediathek.