Die erste Frau an der Spitze
Als Notenbankdirektorin sprach sie von der wachsenden sozialen Ungleichheit, die ihr Sorgen mache. Sie frage sich, ob dies vereinbar sei mit den Idealen, die tief in der Geschichte der USA wurzelten, „damit, dass Amerikaner traditionell großen Wert auf Chancengleichheit legen“.
Wird sie im Januar oder Februar vom Senat bestätigt, ist Janet Yellen die erste Frau an der Spitze der Treasury, eines 1789 geschaffenen Ressorts, dessen Zentrale, ein Säulenprachtbau, gleich neben dem Weißen Haus liegt. Mit der Personalie signalisiert Biden, dass er auf die Erfahrung einer Expertin baut. Die unterstreicht, dass es eines staatlichen Kraftakts bedarf, um aus dem Krisental der Corona-Pandemie herauszukommen. Die dezidiert widerspricht, wenn andere erklären, dass der freie Markt es schon richten werde.
Ihre Doktorarbeit schrieb Yellen unter der Obhut von James Tobin. Der Denkschule des Briten John Maynard Keynes zuzurechnen, vertrat Tobin die Auffassung, dass der Staat durch aktives Eingreifen eine Rezession abfedern kann und muss, statt die Kräfte des Marktes ungezügelt wirken zu lassen. Auch Yellen versteht sich als Keynesianerin, wenn auch als pragmatische, die sich statt an Ideologien an Daten orientiert. Den Auftrag der Fed, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nahm sie mindestens so ernst wie die Kontrolle der Inflation, die bei den Falken klar an erster Stelle rangiert.
Warnung vor der Immobilienblase
Im Fieber des amerikanischen Immobilienbooms bewies sie wiederum einen nüchternen Realismus, der sich wohltuend abhob vom Überschwang, der Analysten vom dauerhaften Anstieg der Hauspreise faseln ließ, als handelte es sich um ein Naturgesetz. Die Immobilienblase sei der 600-Pfund-Gorilla im Zimmer, warnte sie fünfzehn Monate vor dem Kollaps der Finanzkrise.
Später gestand sie gleichwohl eigene Irrtümer ein. Die Art, wie hochriskante Subprime-Kredite gebündelt, wie auf die Bündel Wertpapiere ausgestellt und an Investoren verkauft wurden, während die Rating-Agenturen den windigen Papieren Bestnoten gaben, das alles habe sie unterschätzt: „Ich habe nichts davon kommen sehen, bis es dann tatsächlich geschah.“ Das Mea culpa hat ihre Glaubwürdigkeit letztlich nur gestärkt – zumal sich manche ihrer männlichen Kollegen nie zu derart selbstkritischen Worten durchringen konnten.