Forscher erzeugen bisher schwersten Antimaterie-Kern
Experiment am US-Teilchenbeschleuniger RHICForscher erzeugen bisher schwersten Antimaterie-Kern
Markus Brauer 23.08.2024 - 12:33 Uhr
US-Forscher entdecken bei einem Experiment den bisher schwersten Atomkern aus Antimaterie. Dies könnte neue Hinweise für die Suche nach der Dunklen Materie liefern, deren Existenz vermutet wird, aber bisher nicht nachgewiesen werden konnte.
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Obwohl beim Urknall gleiche Mengen Materie und Antimaterie entstanden, dominiert im heutigen Universum die Materie. Aber warum ist das so? Eine Möglichkeit wären subtile Unterschiede in den Merkmalen von Teilchen und ihren Antiteilchen – eine sogenannte Asymmetrie, wie Physiker dieses Phänomen nennen.
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Materie und Antimaterie
Doch bisher suchen Wissenschaftler vergeblich nach einer solchen Verletzung der physikalischen Symmetrie. Weder bei einfachen Antiteilchen wie dem Positron oder Anti-Proton noch bei Anti-Atomen wie dem Antiwasserstoff oder Antihelium zeigten sich bisher signifikante Unterschiede zur normalen Materie.
Allerdings ist die Auswahl an Antimaterie-Versuchsobjekten auch sehr begrenzt: Seit dem ersten Nachweis des Positrons im Jahr 1932 haben Physiker erst neun verschiedene Antimaterie-Atombausteine und -Atomkerne entdeckt. Keiner davon war schwerer als Antihelium-4 – ein Atomkern aus zwei Anti-Protonen und zwei Anti-Neutronen.
Jetzt ist ein zehntes Antiteilchen dazu gekommen: der bisher schwerste Antimaterie-Kern.
Dieser sogenannte Antihyperwasserstoff-4 besteht aus zwei Antiprotonen, einem Antineutron und als viertem Kernbaustein einem Anti-Hyperon.
Letzteres ist die Antimaterie-Entsprechung des exotischen Hyperons - einem Kernbaustein, bei dem eines der drei in allen Materiebausteinen vorhandenen Up- und Down-Quarks durch ein schwereres Strange-Quark ersetzt ist.
Seltsame Materie (englisch: strange matter) besteht aus seltsamen Teilchen (englisch: strange particles). Diese enthalten das Strange-Quark (von englisch: strange, seltsam) oder Strange-Antiquark.
Quarks verbinden sich zu zusammengesetzten Teilchen, die Hadronen genannt werden. Hierzu gehören die Protonen und Neutronen, die Bestandteile der Atomkerne sind.
Sechs Milliarden Kollisionen schwerer Atomkerne
Das Anti-Hyperon ist durch das exotische Strange-Antiquark schwerer als normale Antiprotonen und Antineutronen, aber gleichzeitig auch noch instabiler und kurzlebiger, was seinen Nachweis im Experiment besonders schwierig macht.
Um diesen schweren Antimaterie-Kern aufzuspüren, mussten Physiker der STAR-Kollaboration die Daten von mehr als sechs Milliarden Kollisionen schwerer Atomkerne auswerten.
Diese wurden im Teilchen-Beschleunigerring des Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) am Brookhaven National Laboratory (BNL) in Upton auf Long Island (US-Bundesstaat New York) mit 99,96 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen. Ihre Studie ist jetzt im Fachmagazin „Nature“ erschienen.
RHIC besteht aus zwei unabhängigen Beschleunigerringen, die einen Umfang von 3834 Meter haben und sich an sechs Punkten kreuzen. An diesen Kreuzungspunkten finden Teilchenkollisionen statt. Dort stehen auch die Experimente:
PHENIX (Pioneering High Energy Nuclear Interactions eXperiment)
„Es purer Zufall, dass bei diesen RHIC-Kollisionen die vier Bausteine dieses Antihyperwasserstoffs manchmal nah genug beieinander entstehen, um sich zu diesem Antimateriekern zu verbinden“, erklärt STAR-Sprecher Lijuan Ruan vom BNL. Entsprechend selten kommt dies vor.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Antihyperwasserstoff-4 schon nach wenigen Zentimetern Flug zerfällt. Er teilt sich in einen Antihelium-4-Kern und ein positiv geladenes Pion. Das Problem: Bei den Atomkernkollisionen im RHIC entstehen Pionen auch durch andere Zerfälle.
„Das Entscheidende ist es daher, die Pionen zu finden, deren Flugbahn sich mit denen der Antihelium-4-Kerne kreuzt und die bestimmte Merkmale aufweisen“, erläutert Ruan. Durch aufwendige, computergestützte Analysen müssen daher alle Flugbahnen der im STAR-Detektor eingefangenen Pionen rekonstruiert und mit denen der Antihelium-Teilchen abgeglichen werden.
Von Milliarden Kollisionen blieben am Schluss nur wenige Kandidaten übrig: „Wir haben das Signal von 24 Hyperwasserstoff-4- und 16 Antihyperwasserstoff-4-Kernen identifiziert“, berichten die Physiker.
Damit haben die Physiker der STAR-Kollaboration jetzt die zehnte und schwerste Sorte von Antimaterie-Atomkernen nachgewiesen – den Antihyperwasserstoff-4. Ihnen steht nun ein weiteres Antiteilchen zur Verfügung, um nach dem Grund für die Asymmetrie von Materie und Antimaterie zu suchen.
„Wenn wir die Symmetrieverletzung finden wollen, ist der Nachweis weiterer Antimaterie-Teilchen der erste Schritt“, erklärt Hao Qiu von der STAR-Kollaboration. „Das ist auch die Logik hinter unserer Studie.“
Die Physiker der STAR-Kollaboration sehen in ihrer Entdeckung eine Bestätigung dafür, dass sich Materie und Antimaterie in der Lebensdauer nicht fundamental unterscheiden. Dies bestätige theoretische Modelle, sei aber auch „ein großer Fortschritt in der experimentellen Erforschung der Antimaterie.“
Info: Dunkle Materie und Dunkle Energie
Dunkle Materie Die Dunkle Materie gehört zu den größten Rätseln der modernen Physik. Sie ist nicht sichtbar und wurde noch nie direkt beobachtet. Allerdings wissen die Forscher, dass sie da ist. Denn sie macht sich über ihre Schwerkraft bemerkbar. Ohne die zusätzliche Schwerkraft der Dunklen Materie würden beispielsweise viele Galaxien durch die Fliehkraft auseinander gerissen werden, da sie sich viel zu schnell drehen.
Galaxie Alle Sterne in unserer Galaxie, der Milchstraße, zusammengenommen machen nur nur etwa 15 Prozent der (sichtbaren) Masse aus. Der Rest – rund 85 Prozent – ist Dunkle Materie. Im Universum gibt es mehr Schwerkraft, als auf Grundlage der sichtbaren Teile angenommen würde, erklärt der französische Astrophysiker David Elbaz. „Die Sonne dreht sich mit einer so hohen Geschwindigkeit um das Zentrum der Milchstraße, dass sie aus der Galaxie ausbrechen sollte. Und wenn sie nicht ausbricht, heißt das, dass sie von einer anderen Masse, die wir nicht sehen, angezogen wird“, so Elbaz weiter. Das sei die dunkle Materie. Dunkle Energie hingegen beschreibe eine Art Anti-Schwerkraft, durch die Galaxien sich abzustoßen scheinen.
Dunkle Energie Die Geschichte der Dunklen Energie beginnt bereits 1917. Der Physiker Albert Einstein (1879-1955) hatte gerade seine Allgemeine Relativitätstheorie entwickelt und auf das Universum angewendet - allerdings nicht so erfolgreich, wie er erhofft hatte: In seiner Theorie dehnte sich der Kosmos stets entweder aus oder zog sich zusammen. Zu jener Zeit galt es jedoch als selbstverständlich, dass das Universum unveränderlich wäre. So führte Einstein eine zusätzliche Größe in seine Theorie ein: die sogenannte Kosmologische Konstante - eine dem Weltraum innewohnende Energie, die den Kosmos stabilisieren sollte.
Relativitätstheorie Doch der Kosmos ist nicht unveränderlich, wie sich bald zeigte: Je weiter Galaxien von uns entfernt sind, desto schneller scheinen sie sich von uns fortzubewegen. Tatsächlich bewegen sich die Galaxien nicht, sondern es ist der Weltraum, der sich ausdehnt. So, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie ursprünglich gezeigt hatte. Die Kosmologische Konstante schien also überflüssig und wurde von Einstein als „größte Eselei“ seines Lebens bezeichnet. Zu früh, wie sich jedoch erst lange nach seinem Tod zeigen sollte: In den 1990er Jahren erlebte die Kosmologische Konstante als Dunkle Energie ihre Renaissance.