Coburg - "Sie schlägt mich....". "Hab ich dich. Ich wird's dir zeigen, du Dreckstück." Danach ertönt nur noch das Besetztzeichen." Nach diesen Worten bleibt Anna Jäger starr. Starr im Bett liegen, würde sich am liebsten wieder die Decke über den Kopf ziehen und schlafen.

Es ist wieder mal kurz nach Mitternacht, und sie möchte einfach einmal eine Nacht schlafen. Ohne das Klingeln des Telefons, ohne die Stimme ihres Schwiegervaters am Ohr, dass sie sofort kommen soll. Weil er es nicht mehr aushält, weil er wieder mal mit der "Hexe" streitet, oder sie beide auch nicht schlafen können.

Und dann ist sie gefordert: Die 49-jährige Schwiegertochter Anna Jäger, eine der Hauptfiguren des Erstlingsromans der Coburger Autorin Heidi Fischer. "Laufmaschen im Strickstrumpf" heißt das Werk, das sich nicht nur schön und flüssig lesen lässt, sondern auch hoch aktuelle und brisante Themen unserer Gesellschaft aufgreift.

Keine Scheu vor Tabus

Neben Anna, die zerrissen ist zwischen absoluter Hingabe und Selbstaufopferung für die demente und pflegebedürftige 87-jährige Schwiegermama und den verbitterten, garstig gewordenen Schwiegerpapa und ihren eigenen Wünschen, die sie nicht mehr leben kann, spielen in dem über 300 Seiten umfassenden Buch noch ihr Mann Richard und Tochter Steffi mit Freundin Simone eine Hauptrolle.

Richard ist ein frustrierter Lehrer, der sich dennoch lieber in den Beruf und den Unterrichtsraum flüchtet, statt sich um seine Eltern zu kümmern. Tochter Steffi ist Flugbegleiterin, lesbisch und sprudelt vor Lebensfreude. Freundin Simone arbeitet an der Volkshochschule, liebt Meditation und Kochen, aber vor allem Steffi, die sie unbedingt heiraten möchte. Und dann gibt es noch den Schwager Ernst, der auf der Suche nach sinnvoller Lebensgestaltung ist, doch diesen Sinn nicht im Einsatz für andere sieht.

Das Familienkarussell ist schon genug durcheinander, doch dann wird Steffi auch noch schwanger, die demente Schwiegermama stirbt und Anna Jäger haut ab.

Heidi Fischers Roman spielt in Coburg, Ortskundige können sich die Protagonisten perfekt auf dem Marktplatz beim Kaffeetrinken oder beim Spaziergang im Hofgarten vorstellen. Sie zeichnet ein liebevolles, aber auch nachdenklich stimmendes Porträt unserer Gesellschaft, in der das Thema "Pflege" nach besseren Lösungen schreit und gleichgeschlechtliche Liebe nicht "normal" ist.

Fischers Sprache ist direkt und unverblümt, sie beschönigt und versteckt nichts. Weder die Schwiegermutter, die sich von oben bis unten mit Kot eingeschmiert hat und glückselig lächelnd im größten Gestank auf der Klobrille sitzt, noch die gleichgeschlechtlichen Liebesszenen und Zärtlichkeiten zwischen Steffi und Simone sind für sie literarisch tabu. Der Leser kann sich gut hineinversetzen in die verschiedenen Sichtweisen der Familienmitglieder, versteht jedes einzelne und fühlt, versteht und leidet mit.

Heidi Fischer: "Laufmaschen im Strickstrumpf". DerKleineBuchVerlag

ISBN: 13:978-3-942637-39-8, 14,95 Euro

Die Autorin

Heidi Fischer wurde 1954 in Oberfranken geboren, lebte einige Jahre in München, um dann mit Ehemann und drei Kindern wieder nach Coburg zurückzukehren. Sie arbeitete als Lehrerin, Mutter und Hausfrau und schreibt seit vielen Jahren nebenbei Gedichte und Kurzgeschichten für Anthologien und Literaturzeitschriften. Am Samstag, 15. März, liest sie im Rahmen der Buchmesse um 20 Uhr im Café Anton Hannes in Leipzig.