Berlin - Menschliche Figuren, die mit ihren langen dünnen Gliedmaßen und schlanken Körpern an Skulpturen von Alberto Giacometti erinnern: Die drei hockenden Gestalten könnten von Joan Miró gemalt worden sein, andere Motive könnten von Paul Klee oder Willi Baumeister stammen. Doch es sind unbekannte Künstler, die sie vor mehreren Zehntausend Jahren in erdigen Farben auf Felswände malten oder in den Stein ritzten. Ein deutscher Ethnologe, Leo Frobenius (1873-1938), begeistert von der prähistorischen Kunst, hatte auf zahlreichen Expeditionen in ferne Regionen Kopien anfertigen lassen. Unter dem Titel "Die Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius" zeigt der Martin-Gropius-Bau in Berlin jetzt rund 100, zum Teil wandfüllende Beispiele dieser Felsbildkopien.

Ergänzt werde diese durch zeitgenössisches Foto- und Archivmaterial. «Frobenius wollte eine, wie er glaubte, sterbende afrikanische Kultur visuell dokumentieren», erläutert Richard Kuba, Leiter des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität in Frankfurt und Kurator der Schau. Eine Weltkarte verzeichnet die Regionen, in denen Frobenius und die von ihm bezahlten Kopisten unterwegs waren: Ab 1912 ließ er auf zahlreichen Expeditionen die berühmten Felsbilder in Nordafrika dokumentieren, reiste in das Innere der Sahara und in den Süden des Kontinents.

Später entsandte er seine Dokumentaristen auch nach Indonesien, ließ Höhlenbilder in Spanien und Frankreich, in Norditalien und Skandinavien abmalen. Die letzten Expeditionen führten in den Norden Australiens. Bis zu seinem Tod 1938 trug Frobenius eine Sammlung von fast 5.000 Felsbildkopien zusammen: Aquarelle und sogar Ölbilder, abgemalt auf Papier oder auf grobem Leinen und zusammengesetzt zu Originalformaten bis zu 2,5 mal 10 Metern.
Als Kopisten engagierte Frobenius hauptsächlich Frauen. Einige, wie die Künstlerin Agnes Schulz, die als Felsbildexpertin später auch eigene wissenschaftliche Forschungen anstellte, waren an mehreren Expeditionen beteiligt, die sie teils selbsttätig organisierten. "Das Institut wurde deshalb auch als Amazonenstaat tituliert", erzählt Richard Kuba. Für die an Kunstakademien geschulten Malerinnen war es der Ausbruch aus einer bürgerlichen Welt. Auf den Fotos präsentieren sie sich modern und selbstbewusst, klettern waghalsig auf Strickleitern die Felsen hinauf, steuern sogar Autos, die Frobenius für seine Expeditionen später zur Verfügung hatte.

Die Ausstellung ist nach Regionen gegliedert. Sie zeigt stilistische Unterschiede etwa zwischen südafrikanischen Regionen und französischen Höhlenbildern, doch die Motive ähneln sich: dargestellt sind Menschen, häufig Jäger, und Jagdtiere wie der Elefant, die Elenantilope, das Bison. Die Bilder belegen, dass die prähistorischen Künstler von ihren Objekten genaue Kenntnis hatten, so naturalistisch wirken Bewegung und Farbgebung.
Eine Besonderheit bildet die australische Felsbildkunst. Hier haben die Kuratoren der Schau mit heutigen Vertretern von Aborigines-Clans zusammengearbeitet. Bis heute gibt es dort eine lebendige Kultur, so dass die Nachfahren den Anspruch erheben, auch die Deutung und Zusammenstellung der historischen Beispiele zu überwachen.

Die Felsbildkopien sind eine Quelle sowohl für die Ethnologie wie für die Kunstgeschichte. Im Gropius-Bau sind sie erstmals seit vielen Jahren wieder öffentlich zu sehen. Schon in den 1920er und 1930er Jahren tourten sie auf Ausstellungen durch Europa und die USA. Eine Schau im MOMA in New York 1937 löste einen Eklat aus. Alfred Barr, der Gründungsdirektor, hatte die Kopien gemeinsam mit Neuerwerbungen von Avantgardekünstlern präsentiert, um den Einfluss der prähistorischen Felsbilder auf die Kunst des 20. Jahrhunderts zu verdeutlichen. Dagegen lief eine konservative Kunstkritik Sturm: die ersten Surrealisten waren Höhlenmenschen, titelte eine Zeitung, das sei authentisch. Diese Wechselwirkung zwischen Kunst und Wissenschaft macht die Ausstellung in Berlin eindrucksvoll deutlich.